Koalition:Neue SPD-Spitze betreibt Klimapflege

SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken

Vor dem Fest: das neue SPD-Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf dem Weg zum Treffen mit den Chefs von CDU und CSU.

(Foto: dpa)
  • In Berlin hat der erste Koalitionsgipfel mit der neuen SPD-Führung stattgefunden.
  • Teilnehmer berichten von einem guten Treffen in angenehmer Atmosphäre.
  • Die neuen Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans hätten nicht Marschbefehle erteilen wollen, sondern neugierig nachgefragt.

Von Michael Bauchmüller, Daniel Brössler, Cerstin Gammelin und Nico Fried, Berlin

Saskia Esken hat geduldig gewartet, sie ist erst als Zehnte dran. Der Bundestag berät in einer Aktuellen Stunde über den Klimagipfel in Madrid, auch Esken hat sich auf die Rednerliste setzen lassen. Als Digitalpolitikerin ist Klimaschutz nicht so ihr Thema, und besonders flammend soll der Auftritt auch nicht werden. Wichtiger ist das Symbol: Esken sucht den Kontakt zu den anderen Sozialdemokraten, denen in Fraktion und Regierung. Die SPD habe mit ihrem Klimaschutzgesetz ein Beispiel für "nachhaltiges Regierungshandeln" gegeben, sagt Esken: "Da darf man sich auch einmal dafür loben." Sie sagt wirklich: sich.

War da was? Esken und Norbert Walter-Borjans waren gerade mit ihrer Distanz zur Regierungsbeteiligung an die Spitze der SPD gelangt. Jetzt aber suchen sie einen Modus, mit den eigenen Regierungsmitgliedern und Abgeordneten zusammenzuarbeiten, ohne gleichzeitig allzu viel Enttäuschung bei den Mitgliedern zu produzieren, die sie wegen ihrer kritischen Haltung zur großen Koalition gewählt hatten. Es ist ein Drahtseilakt, denn Misstrauen gibt es auf allen Seiten.

Die beiden Neuen versuchen es mit Gesprächen. Alle sechs Genossinnen und Genossen im Kabinett hatten Esken und Walter-Borjans ins Willy-Brandt-Haus einbestellt, zu Einzelgesprächen. Ein Rapport der Minister bei der neuen Parteispitze? Offenbar nicht. Es seien jedenfalls "keine Chef-Mitarbeiter-Gespräche" geführt worden, verlautet aus Kreisen der geladenen Minister. Man rede, um sich anzunähern - "und nicht nach dem Motto: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft bei uns vor?" Teilnehmer berichten übereinstimmend, man habe freundliche Informationsgespräche geführt. Die neuen Vorsitzenden hätten nicht Marschbefehle erteilen wollen, sondern neugierig nachgefragt, in welche Felder sie sich in nächster Zeit vertiefen müssen. "Sehr angenehm" sei das Gespräch gewesen, erinnern sich Teilnehmer.

Das sieht auch die neue Parteispitze so. Unspektakuläre Treffen seien das gewesen, heißt es dort. "Wir haben uns als Vorsitzende der SPD mit den Ministerinnen und Ministern, die unsere Partei in die Bundesregierung entsandt hat, über die Vorhaben in ihren jeweiligen Geschäftsbereichen ausgetauscht. Das ist die Pflicht von Parteivorsitzenden, die die Regierungskoalition bilden", sagt Walter-Borjans der Süddeutschen Zeitung.

Bundesminister sind formal nicht einer Parteispitze verpflichtet; eine Parteispitze kann sie allenfalls austauschen lassen. Aber darum geht es offensichtlich nicht. "Wir wollen das sozialdemokratische Profil der SPD schärfen", sagt Walter-Borjans, "und zwar unter Einbeziehung der konkreten Themen, an denen unsere Kabinettsmitglieder in ihren Zuständigkeiten zum Wohl der Menschen in unserem Land arbeiten." Es sei doch "das gute Recht" der Wähler, wissen zu wollen, woran sie mit den Parteien sind. Das gelte insbesondere für jene Parteien, die die Regierung tragen.

Dass da dennoch ein Machtkampf stattfindet zwischen neuer Parteispitze und etabliertem Regierungslager, wird allenfalls in den Zwischentönen deutlich. Etwa, wenn Gesprächsteilnehmer darauf hinweisen, wie "selbstbewusst" Minister, Fraktionsspitze und Abgeordnete bei den Gremientreffen der SPD der vergangenen Tage aufgetreten seien. Auch Hubertus Heil und Franziska Giffey.

Vor kurzem schien die Karriere von Olaf Scholz am Ende zu sein - doch davon ist keine Rede mehr

Aber es muss sich eben noch einiges finden - bei den Sozialdemokraten, aber auch innerhalb der Koalition. Mit dem Außenminister redet die neue Parteispitze dem Vernehmen nach über die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die im zweiten Halbjahr 2020 ansteht. Von der Umweltministerin hören sie einiges rund um die Windkraft, wo sich in den vergangenen Wochen ein offener Konflikt mit der Union aufgeschaukelt hat. In den Gesprächen mit dem Arbeitsminister soll es auch um den Strukturwandel gegangen sein, der in einigen Branchen Jobs kosten könnte.

Das sind lauter Themen, mit denen sich auch die Koalition als Ganzes befassen muss. Am Donnerstagabend kamen deren Spitzten zusammen. Erst trafen sich Esken und Walter-Borjans mit den Unions-Chefs Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU) zum Kennenlernen. Söder brachte Lebkuchen mit und freute sich selbst am meisten darüber. Der Koalitionsausschuss sei in guter Atmosphäre verlaufen, hieß es später. Augenzeugen wollen Beteiligte hinterher sogar "gut gelaunt" erlebt haben. Das markiert fast schon eine neue Normalität. Zu denen, die sich in der SPD noch in ihre neue Rolle finden müssen, gehört ganz sicher Olaf Scholz. Die Niederlage im Rennen um den Parteivorsitz war für ihn ein Schock. Sollte er abtreten? Sollte er sich den siegreichen Parteilinken unterordnen? Gleich am Montag nach dem Mitgliedervotum hatte Scholz die beiden Sieger getroffen. Das Ende der politischen Karriere des Vizekanzlers, den die Parteimitglieder mehrheitlich nicht als Chef gewollt hatten, schien greifbar.

Doch es kam nicht zum Bruch. Stattdessen stellte die Parteispitze seinerzeit eine klare Bedingung für Scholz' Verbleib im Amt: "Es geht darum, dass Olaf Scholz künftig noch mehr davon umsetzt, was die Partei will", sagte Saskia Esken der SZ. Es sei klar, dass sich die Minister hinter der Partei zu versammeln hätten. Das hörte sich nach einer ziemlich klaren Rollenverteilung an; hier die Köche, dort der Kellner.

Wer ist grüner?

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und die SPD-Landtagsfraktion haben sich im Landtag einen hitzigen Streit darüber geliefert, welche Partei den Kompromiss von Bund und Ländern zum Klimapaket ermöglicht haben. Laschet widersprach am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde scharf einer Aussage des neuen SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans. Dieser hatte gesagt, das Vermittlungsergebnis sei nicht auf den Einfluss der Grünen zurückzuführen. "Natürlich war es ein Ergebnis grüner Einflussnahme", sagte Laschet, der bei den entscheidenden Verhandlungen dabei gewesen war. Der SPD-Abgeordnete André Stinka warf Laschet vor, sich in NRW als "Klimaretter" aufzuspielen. Die Grünen-Abgeordnete Wibke Brems kommentierte den Streit: "Man hat das Gefühl, hier ist einer grüner als der andere, und einer sozialer als der andere." DPA

Doch auch dafür findet sich am Donnerstag kein Anzeichen. Esken spendiert Scholz einen "besonderen Dank" für seine Arbeit im Vermittlungsausschuss. Und lange bevor sie selbst ans Rednerpult tritt, hat ein anderer die Debatte zum Klimagipfel eröffnen dürfen. Genau: Olaf Scholz.

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