Sonderrechtszonen in Hamburg:Willkommen im Gefahrengebiet

Innenstadt von Hamburg zum Gefahrengebiet

Szenen wie diese vom 21. Dezember häufen sich in Hamburg: Die Polizei zeigt starke Präsenz.

(Foto: dpa)

Seit Tagen herrscht Ausnahmezustand in weiten Teilen von Hamburg. Ganz offiziell, von der Polizei verfügt, womöglich für mehrere Monate. Im "Gefahrengebiet" dürfen die Beamten ohne Anlass kontrollieren. Die Bürger wehren sich. Mit Spott - und mit "Spaziergängen".

Von Carsten Eberts, Hamburg

Der "Spaziergang" beginnt am Neuen Pferdemarkt, wo die Stadtteile St. Pauli und Sternschanze aufeinandertreffen. Erst sind es etwa 50 Menschen, dann werden es mehr, schließlich laufen mehrere Hundert Hamburger durch die Straßen.

Die Gruppe bahnt sich ihren Weg in Richtung Reeperbahn, über die Wohlwillstraße zur Talstraße. Dort wartet die Polizei, begleitet den Zug. Später teilen Beamten die Gruppe in Grüppchen, überprüfen Personalien, transportieren einige Spaziergänger in einem Bus ab. Böllerschüsse sind zu hören. Feuerwerk wird gezündet. Am Ende spricht die Polizei 37 Aufenthaltsverbote und drei Platzverweise aus.

Es ist kein normaler Spaziergang, der da in der Nacht von Sonntag auf Montag in Hamburg stattgefunden hat. Sondern eine Demo, ein "Spaziergang durchs Gefahrengebiet". Veranstaltet von Menschen, die sich dagegen wehren, was gerade in ihrer Stadt passiert.

CDU-Gesetz hilft der SPD

Ein Gefahrengebiet mitten in Hamburg. Seit Samstag darf die Polizei in der Hansestadt ohne besonderen Anlass Bürger kontrollieren, die ihnen verdächtig vorkommen - oder auch nicht. SPD-Innensenator Michael Neumann, der oberste Chef der Hamburger Polizei, unterstützt das Vorgehen. Die Polizei spricht von einer Reaktion auf die schweren Zusammenstöße mit Demonstranten kurz vor Weihnachten, als nach offiziellen Angaben knapp 170 Beamte verletzt wurden.

Nicht zuletzt ein angeblicher Angriff auf die Davidwache auf der Reeperbahn am 28. Dezember wurde als Anlass genannt, das Gefahrengebiet einzurichten. Doch nun räumte die Hamburger Polizei laut Spiegel Online ein, dass besagte Aktion anders ablief als zunächst dargestellt: Die Opfer der Attacke, drei Beamte, seien nicht vor der Wache, sondern 200 Meter weiter angegriffen worden. Zudem habe es sich um eine Streifenwagenbesatzung gehandelt, nicht um Beamte der Davidwache selbst.*

Trotz der Unstimmigkeiten ist ein Ende der Maßnahmen nicht absehbar. "Wir bewerten das jeden Tag neu", sagt Polizeisprecherin Sandra Levgrün, "es muss langfristig zu erkennen sein, dass sich etwas tut."

Seit 2005 kann die Polizei in Hamburg solche Sonderzonen einrichten, bislang wurde davon etwa in den Stunden vor und nach Fußballspielen Gebrauch gemacht. Das entsprechende Gesetz stammt aus der Zeit der CDU-Alleinregierung in Hamburg, jetzt nutzt es die SPD mit ihrer absoluten Mehrheit in der Bürgerschaft. Innensenator Neumann hat ganze Stadtteile zu Sonderrechtszonen erklärt. Der Hamburger Morgenpost zufolge soll die Maßnahme bis zum Frühjahr andauern. Noch mehrere Monate also.

Ins Visier der Polizei geraten vor allem Gruppen junger Menschen, die dunkel gekleidet sind, aber auch Anwohner, die zufällig auf der Straße unterwegs sind. Am vergangenen Wochenende wurden in Hamburg mehr als 400 Personen kontrolliert, wie die Polizei mitteilt. Sichergestellt wurden unter anderem Schlagwerkzeuge, Pyrotechnik, auch schwarze Masken.

Bürger antworten mit "Spaziergängen" und Spott

Die Polizei und Befürworter des Gefahrengebiets fühlen sich dadurch bestätigt, doch viele Hamburger protestieren. Insbesondere die Anwohner der betroffenen Stadtteile Altona-Altstadt, Altona-Nord, St. Pauli und Sternschanze. Vor allem die linke Szene macht mobil, trifft sich zu den sogenannten Spaziergängen, verabredet sich im Internet, organisiert SMS-Ketten. Im Internet macht sich Entrüstung breit, aber auch Spott.

Einer, der gegen die Einrichtung des Gefahrengebiets kämpft, ist der Anwalt Andreas Beuth, ein angesehener Jurist in der linken Szene. "Die Leute werden unter Generalverdacht gestellt, potenzielle Straftäter zu sein", sagt Beuth. Er hat mit vielen Leuten gesprochen, die auf der Straße angehalten wurden, die durchsucht wurden, ihre Taschen für die Beamten öffnen mussten. Beuth sagt: "Die Menschen fühlen sich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt."

Die "Rote Flora" mittendrin

Es ist kein kleines Gebiet, das angeblich gefährlich ist. Etwa zwölf Quadratkilometer in der Fläche. Es beginnt nördlich der S-Bahn-Station Diebsteich, führt entlang der Gleise der Deutschen Bahn hinunter bis zum Altonaer Balkon, nach Osten die Elbe entlang, von den Landungsbrücken hinauf bis zur Sternschanze, südlich von Eimsbüttel zurück zum Holstenkamp. Mittendrin liegt die Sternschanze mit dem linksalternativen Kulturzentrum "Rote Flora", das nach jahrzehntelanger Besetzung geräumt werden soll. Dort kam es am 21. Dezember zu den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten.

Beuth war bei "Spaziergängen" durch dieses Gefahrengebiet dabei. Er berichtet von einer einigermaßen friedlichen Atmosphäre, weiß aber nicht, wie lange sich die Stimmung noch kontrollieren lässt. "Die Leute wollen sich das Recht, auf den Bürgersteigen unterwegs zu sein, nicht nehmen lassen", sagt Beuth. Der Anwalt befürchtet, dass die Stimmung irgendwann kippt. "Je länger die Maßnahme dauert, desto gefährlicher wird es", sagt Beuth. Die Zone trage nicht zur Befriedung bei, eher im Gegenteil.

In der Politik wird heftig diskutiert. Noch am Montagabend tagte der Innenausschuss der Stadt, um die Geschehnisse bei den Krawallen kurz vor Weihnachten aufzuarbeiten. Die Kritik am heftigen Eingreifen der Polizei wies Innensenator Neumann dabei zurück. "Die Schuldfrage stellt sich überhaupt nicht", erklärte Neumann. Die Randalierer seien von Anfang an auf Gewalt aus gewesen: "Man hätte machen können, was man wollte."

Senat und Polizei verteidigen deshalb die Einrichtung der Gefahrenzone. Auch die CDU ist mit dabei. Linke und Grüne kritisieren jedoch die Maßnahmen. "Wir haben Freiheitsrechte in dieser Republik", sagt die Grünen-Innenexpertin Antje Möller gegenüber der Mopo. "Ein so großes Gebiet zum Gefahrengebiet zu erklären, ist ein massiver Eingriff."

Die Nacht zum Dienstag verlief sehr ruhig, teilte die Polizei mit, doch das Gefahrengebiet bleibt vorerst bestehen. Vielleicht tatsächlich noch mehrere Monate. So lange ist Hamburg nicht die Stadt, die sie vorher einmal war.

*Update: Inzwischen hat die Polizei ihre Darstellung korrigiert. Wir haben den Text entsprechend geändert.

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