Streit um Hamburger Kulturzentrum:Kampf um die kleine Freiheit

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Mehrere Tausend Demonstranten wollen an diesem Samstag für den Erhalt des linksalternativen Kulturzentrums Rote Flora auf die Straße gehen (Archivbild). (Foto: dpa)

In Hamburg eskaliert der Streit um das besetzte linke Kulturzentrum "Rote Flora", am Wochenende werden heftige Krawalle erwartet. Doch vielen gilt der Konflikt als Beleg für wachsende soziale Kälte in der Hansestadt

Von Charlotte Parnack, Hamburg

Vor ein paar Tagen parkte auf einmal ein Wasserwerfer vor der Polizeiwache am Neuen Pferdemarkt. Stand still da, wie eine beiläufige Notiz. Ein Wasserwerfer mit Bremer Kennzeichen. Mitten in Hamburg, im Schanzenviertel.

"Wer das hier kaufen will, muss Stress mögen." Seit Monaten hängt dieses Transparent an der "Roten Flora", dem von Linksautonomen besetzten Kulturzentrum in der Schanze. An diesem Samstag dürften sie den Hamburgern zeigen, was sie genau meinen mit "Stress": Die Polizei richtet sich auf eine der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre in der Stadt ein. Allein zur Flora-Solidaritäts-Demo werden 6000 Teilnehmer aus ganz Deutschland erwartet, davon laut Polizei 3000 gewaltbereite. Für den gleichen Tag ist eine Kundgebung gegen die Flüchtlingspolitik des Senats angemeldet. Weitere 800 Menschen werden bei der Versammlung "Die Stadt gehört allen" erwartet. Daneben ist die Polizei bei einem Heimspiel des Fußballvereins HSV eingespannt.

Das gibt Stress. Aber als ob der Druck nicht eh groß genug wäre, hat auch noch der Besitzer der Roten Flora den Linksautonomen ein Ultimatum gestellt - das just am Freitag, einen Tag vor der lange angekündigten Demonstration also, auslief: "Sollten Sie mein Eigentum nicht bis zum 20.12.2013 geräumt haben, werde ich die zuständigen Hamburger Behörden und Gerichte bitten und auffordern, mein Eigentum zu gegebener Zeit räumen zu lassen", schrieben Flora-Eigentümer Klausmartin Kretschmer und sein Berater Gert Baer vergangene Woche.

"Bitte friedlich und gewaltfrei"

"Wir begrüßen Gert Baers konstruktive Mithilfe für die Mobilisierung zur Demonstration, ziehen es aber im Weiteren vor, so weiterzumachen wie bisher", spotteten die Rotfloristen daraufhin. Wie bisher? "Die Rote Flora ist das historische Ergebnis militanter Auseinandersetzungen. Es würde sie nicht mehr geben, wenn wir immer nur am Kaffeetisch flauschig diskutiert hätten", sagt ein Mitglied der Kampagne "Flora bleibt unverträglich". Ein Sprecher der Roten Flora sagt: "Wir rechnen mit einer kämpferischen, entschlossenen Demonstration."

Hinter der erwarteten Mobilisierung steht aber mehr als die Wut einiger auf Krawall gebürsteter Autonomer. Dahinter steht das Unbehagen ganz unterschiedlicher Menschen in der Stadt. Die Mobilisierung fällt in eine Zeit, in der in Hamburg die Esso-Hochhäuser wackeln - marode Blöcke an der Reeperbahn, die Gentrifizierungsgegner seit Jahren zum Symbol ihres Kampfs hochstilisieren. Nun mussten die Mieter evakuiert werden. Sie fällt in eine Zeit, in der die Stadt seit Monaten keine Lösung für ihr drängendes Flüchtlingsproblem findet, in der die Mieten immer weiter steigen, kurz: in der sich der Eindruck wachsender sozialer Kälte aus so unterschiedlichen Quellen nährt, dass sich nicht mehr nur Linksautonome fragen: Wie wollen wir eigentlich zusammen leben?

Inzwischen haben Politiker aller Bürgerschaftsfraktionen einen gemeinsam Aufruf unterzeichnet: "In Sachen Flüchtlingspolitik und Rote Flora kann man streiten und demonstrieren - aber bitte friedlich und gewaltfrei." Mehrere Abgeordnete mussten in der angeheizten Stimmung dieses Winters bereits erfahren, wie sich die Anspannung in Aggression entlädt: "In den vergangenen Wochen hat es in unserer Stadt Angriffe auf Polizeiwachen, andere öffentliche Einrichtungen, Anschläge auf Wohnungen von Entscheidungsträgern, Drohungen gegen Abgeordnete, Steinwürfe und Schmierereien bei Abgeordnetenbüros gegeben", heißt es in dem Appell. "Damit muss Schluss sein."

Und wie um den ersten Schritt in diese Richtung zu tun, hat Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, in dieser Woche erklärt, die Stadt könne sich vorstellen, die Rote Flora zurückzukaufen. Aber Kretschmer lässt ausrichten: "Ein Rückkauf an die Stadt kommt nicht mehr infrage." Das Angebot müsse "ein Aprilscherz" sein.

Es wird jetzt in Hamburg viel von einer "gezielten Provokation" gesprochen, quer durch alle Parteien. Selbst der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders, kritisierte, Kretschmer lasse die Situation "gezielt eskalieren". "Das Ganze ist ein durchschaubares Manöver nach allem, was in den vergangenen Wochen passiert ist", sagt Mark Classen (SPD), der Vorsitzende des Planungsausschusses im Bezirk Altona. Er ist einer von denen, die in den vergangenen Wochen viel dafür getan haben, dass es rund um die Rote Flora eben nicht zu Gewalt kommt - unter anderem mit einem neuen Bebauungsplan, der den Erhalt der Flora im jetzigen Zustand vorsieht.

Die Rote Flora, 1888 als "Concerthaus Flora" erbaut, ist eines der am längsten besetzten Gebäude Deutschlands. Als dort 1989 das Musical "Phantom der Oper" einziehen sollte, rebellierten die Linken. Seitdem halten sie das Gebäude fest in ihrer Hand. Heute genießt es in der Autonomenszene einen Ruf wie einst die berühmte autonome Kommune Christiania in Kopenhagen - und steht immer wieder im Zentrum heftiger Auseinandersetzungen.

"Droht jetzt Krieg?", fragt die Lokalzeitung

Um das Jahr 2000 hatte der damalige rot-grüne Senat genug davon und wollte angesichts des Aufkommens des Rechtsagitators Ronald Schill den Streit um die losen Sitten in der Stadt aus dem Wahlkampf heraushalten. Also verkaufte die Stadt 2001 die Flora für 370.000 D-Mark an Kretschmer. Der Kaufvertrag hielt fest, dass dieser die Nutzung durch die Rotfloristen dulden müsse: "Der Käufer tritt in dieses Nutzungsverhältnis ein". Der wackelige Frieden währte ein paar Jahre. "Wir halten es für juristisch plausibel, dass die Duldung der Besetzer schon vor Jahren abgelaufen ist", sagt Kretschmers Berater Gert Baer nun. Deshalb hätten er und Kretschmer die Beendigung der Duldung nun schriftlich dokumentieren müssen. Die Fristsetzung bis zum Tag vor der Demonstration sei dabei keineswegs als Provokation zu verstehen.

"Wir bieten den Besetzern regelmäßig Gespräche an. Wir arbeiten transparent", sagt Baer. Weshalb er den Vorwurf der Provokation nicht mehr hören könnte. "Irgendwann müssen wir ja weitermachen." Der 20. Dezember sei einfach das letztmögliche Datum in diesem Jahr.

Schon im Herbst hatten Baer und Kretschmer Umbaupläne für die Flora vorgestellt, aus der sie ein "echtes Kulturzentrum" machen wollen. Also nicht so eines wie jetzt, in das laut Baer "ein elitärer Kreis linksextremistischer Personen" nur Leute ließe, deren politische Ziele ihnen passten. Konkret wollen sie das bestehende Flora-Gebäude in einen fünf- bis sechsgeschossigen Neubau integrieren, dessen Zentrum ein Veranstaltungssaal mit bis zu 2500 Plätzen bilden sollte. Schon damals fragten Lokalzeitungen: "Droht jetzt Krieg?"

Nun, kurz vor der Demonstration, schrieb Kretschmer den Rotfloristen: "Sollten Sie allerdings mein Eigentum weiterhin rechtswidrig nutzen, werde ich eine monatliche Nutzungsgebühr berechnen und Ihnen in Rechnung stellen, und zwar 25.000 Euro plus 19 % Mehrwertsteuer monatlich." Für den Monat Dezember verlange er "kulanterweise" nur die Hälfte.

Die Autonomen ignorieren das geflissentlich. Am Freitag wurde das besetzte Gebäude keineswegs geräumt. Zu Rechnung und Räumung heißt es aus der Flora nur: "Uns ist das wurscht."

Offenbar nicht wurscht genug, um mit Gelassenheit zu reagieren. "Wir gehen nicht von einer Friedhofsruhe am Samstag aus", sagt ein Sprecher der Roten Flora. Dazu kämen in Hamburg derzeit zu viele Konflikte zusammen. Um die Demonstration spanne sich "wie eine Klammer" die Frage: Nach welchen Interessen richtet sich das Leben in dieser Stadt eigentlich? "Die Verhältnisse spitzen sich zu. Das wird in der Demonstration seinen Ausdruck finden", sagt ein Sprecher des Demo-Vorbereitungsteams. Man möge bitte aber auch nicht so tun,, "als würde am Wochenende der zweite Hamburger Feuersturm durch die Stadt tosen".

Die Hamburger Polizei kündigte an, sie werde am Samstag mit mehr als 2000 Beamten im Einsatz sein. Die Beamten werden von Kollegen aus ganz Deutschland unterstützt.

© SZ vom 21.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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