Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr liegt ein wenig abseits von Dresdens kulturtouristischer Hauptroute. Aber seit seinem Umbau nach den Plänen von Daniel Libeskind, der einen gewaltigen Pfeil durch das gründerzeitliche Arsenalgebäude treiben ließ, ist das einstige Armeemuseum der DDR einen Umweg wert. Auch wer mit der soldatischen Welt fremdelt und das Thema Krieg am liebsten verdrängt, wird aus dem 2011 eröffneten Haus, das seinen Gegenstand kulturgeschichtlich ambitioniert und zugleich beeindruckend kritisch präsentiert, viel Stoff zum Nachdenken mitnehmen.
Verlässt man das weitläufige Gelände jedoch nach einem abendlichen Vortrag mit seinen Gastgebern, darunter ein Offizier in Uniform, dann fragt der sich für einen Moment, ob er vor dem Restaurantbesuch nicht doch besser noch die Jacke wechseln soll; in der linksalternativen Äußeren Neustadt jedenfalls würde er den grauen Rock nicht tragen. Und er würde dorthin auch nicht mit seinem Dienstwagen fahren, denn der bescheidene Opel trägt seitlich das Logo: "Bundeswehr. Wir. Dienen. Deutschland". Die übliche Graffiti-Antwort der Szene: "Wir nicht".
Das alles sind eher zufällige Beobachtungen, gewiss. Aber sie sagen doch etwas aus über das Verhältnis von Militär und Zivilgesellschaft in unserem Land. Wir sind zwar bereit, längst schal gewordene Kabarettnummern über Truppenmangel und Mängeltruppen zu beklatschen und uns über am Boden bleibende Maschinen der Flugbereitschaft zu mokieren. Eine ernsthafte Debatte hingegen über die Sinnhaftigkeit einer Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushalts ist so populär wie die Pest - nicht anders als die eigentlich dringend gebotene Diskussion über die innere Verfassung der Bundeswehr und ihre Verankerung in der Gesellschaft.
Marine:Endlich abwärts
Die Bundeswehr hat seit Jahren ein ernstes Materialproblem. Bis vor Kurzem lagen auch alle U-Boote auf dem Trockenen. Ein erster Tauchgang mit der "U 34".
Manche Gründe für dieses Desinteresse sind erklärlich: vor allem jene, die aus unserer Geschichte resultieren und aus der weitgehenden Entmilitarisierung des öffentlichen Lebens seit 1945 (jedenfalls in der Bundesrepublik, in der "preußischen" DDR lagen die Dinge noch einmal anders). Bundeswehr und Nationale Volksarmee entstanden trotz des längst entflammten Kalten Krieges nicht zufällig erst ein Jahrzehnt nach Ende des NS-Regimes und ein Jahrfünft nach Gründung der beiden deutschen Staaten; beide Armeen waren fest vertäut im jeweiligen Bündnis. Wenig Anlass also, mit großer Genugtuung oder gar patriotischem Stolz auf die neuen militärischen Formationen zu blicken, zumal durch deren Reihen noch lange reichlich Geist der alten Wehrmacht wehte, allen anfänglichen Personalüberprüfungen zum Trotz.
Doch das alles kann heute keine Rechtfertigung mehr dafür sein, dass eine deutliche Mehrheit unserer Gesellschaft den Streitkräften buchstäblich aus dem Weg geht. Indem wir uns in schlichter Ignoranz oder in selbstgenügsamem Pazifismus einrichten, überlassen wir das Thema Militär und Verteidigung einer daran allzu oft nur aus unguten Gründen interessierten Minderheit. Aber die Bundeswehr ist - auch das eine historische Errungenschaft der zweiten deutschen Demokratie - eine fest an die Beschlüsse des Bundestags gebundene Armee, und worüber dieser befindet, das sollte uns nicht nur aufhorchen lassen, wenn die Genehmigung oder Verlängerung eines Auslandseinsatzes ansteht.
Die faktische Abschaffung der Wehrpflicht war aus vielerlei Gründen ein Fehler
Wahr ist freilich auch, dass die Politik in den letzten Jahrzehnten viel dafür getan hat, der "Parlamentsarmee" ihre öffentliche Sichtbarkeit zu nehmen. Oder erinnert sich jemand an eine breite gesellschaftliche Debatte, in der 2010 die Vor- und Nachteile der bis dahin geltenden Wehrpflicht erörtert worden wären, ehe ein forscher junger (und ansonsten längst vergessener) Verteidigungsminister keine sechs Monate nach seinem Amtsantritt deren überstürzte "Aussetzung" organisierte? Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer nun die mitnichten neue Idee eines sozialen Pflichtjahres ins Spiel bringt, ist dies auch eine Reaktion auf die Probleme, die Karl-Theodor zu Guttenberg der Bundeswehr eingebrockt hat und die Ursula von der Leyen mit der Einrichtung von Kitas nicht wieder einzufangen vermochte.
Die faktische Abschaffung der Wehrpflicht war aus vielerlei Gründen ein Fehler: nicht nur, weil die Streitkräfte seitdem auf einem demografisch engen Markt nach Personal suchen müssen, sondern auch weil damit ein gleichsam automatisch wirksames Integrationsangebot an junge Menschen aus sozial weniger begünstigten Verhältnissen entfallen ist; vor allem aber, weil unter denen, die nun zur Bundeswehr streben, mehr von jener stramm rechten Gesinnung sein dürften, die in einer demokratischen Armee nichts zu suchen hat. Der ominöse Fall des 2017 festgenommenen Oberleutnants Franco A., gegen den es laut BGH-Beschluss jetzt doch noch zum Prozess wegen Terrorverdachts kommt, bleibt ein Alarmzeichen - über die Amtszeit von der Leyens hinaus.
Schlechte Nachrichten mit guten erschlagen zu wollen, ist freilich keine Spezialität von Verteidigungsministerinnen. Aber angesichts der nervösen Taktik schneller Themenwechsel, die Annegret Kramp-Karrenbauer von ihrer Vorgängerin zu übernehmen scheint, fragt man sich doch, ob unter ihren Generälen niemand ist, der eine Strategie entwickeln könnte (Generalinnen gibt es auch 18 Jahre nach der allgemeinen Öffnung des Wehrdienstes für Frauen wegen der langen Aufstiegszeiten bisher nur im Sanitätsdienst). Strategie, nicht Taktik nämlich wäre nötig, um Militär und Gesellschaft endlich in einen Dialog zu bringen.
Ob die vom nächsten Jahr an geltende (Wieder-)Einführung kostenloser Bahnfahrten für uniformierte Soldaten dazu beitragen kann, bleibt abzuwarten. Möglicherweise entstehen im Gezerre um Sitzplätze in den am Wochenende oft übervollen Zügen hier und da tatsächlich Gespräche. Kramp-Karrenbauers zweite (ebenfalls nicht neue) Idee hingegen, die gesellschaftliche Präsenz der Bundeswehr vermittels "öffentlicher Gelöbnisse" zu steigern, kann nicht funktionieren. Solange sich diese Inszenierungen lediglich als steife Rituale hinter dichten Absperrungen vollziehen und das "Publikum" vor allem aus Politikern besteht, verstärken sie im Gegenteil den Eindruck einer Simulation von Sichtbarkeit. Echte Gespräche sehen in der Demokratie anders aus.