60 Jahre Sicherheitskonferenz:Raus aus dem Hinterzimmer

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Die Wehrkundetagung im Hotel Regina 1964 mit Zbigniew Brzezinski, Karl Theodor zu Guttenberg, Helmut Schmidt, Alfons Dalma, Ewald Heinrich von Kleist, Franz Josef Strauß, Robert E. Osgood und Jaques Baumel (v.li.). (Foto: Jankins/INTERFOTO, Bearbeitung: SZ)

Was als vertraulicher Austausch begann, ist heute die weltweit größte Show zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Wie die Münchner Konferenz zum Event wurde - und trotzdem politisch blieb.

Von Stefan Kornelius

Wenn die Sicherheitskonferenz ihren 60. Geburtstag feiert, dann ist das nicht ganz präzise: Vor 60 Jahren, im Februar 1964, fand jedenfalls keine Konferenz statt, sondern schon zweieinhalb Monate früher, Ende November 1963. Auch findet in diesen Tagen nicht die 60. Konferenz statt. Zweimal fiel sie im Laufe der Jahrzehnte aus. 1991 wurde die Veranstaltung wegen des Golfkriegs abgesagt, 1997 gab es keinen Veranstalter, weil sich der Gründer Ewald-Heinrich von Kleist zurückgezogen hatte. Ein Nachfolger stand nicht bereit.

Was als "Internationale Wehrkunde-Begegnung" gegründet wurde, heißt heute Münchner Sicherheitskonferenz, kurz Siko. Oder aber Munich Security Conference (MSC), häufig auch nur Munich Conference. Die Community der Außen- und Sicherheitspolitiker verabredet sich jedenfalls in "Munich". Zum Jubiläum in diesem Jahr dürften wieder 50 Staats- und Regierungschefs dabei sein, fast einhundert Minister, Hunderte Experten und Beamte. Es wird viel geredet, oft wenig gesagt und doch viel erreicht.

Großer Ringelreihen um Krieg und Frieden

Ewald-Heinrich von Kleist, der Gründer und Taktgeber über 34 Jahre hinweg, hätte heute vermutlich wenig Freude an der Konferenz. Sein aus dem Widerstand gegen Hitler und im tiefen Vertrauen auf die amerikanischen Befreier (die ihn selbst aus den Fängen der Nazis geholt hatten) begründetes Verständnis von Sicherheit ist krebsartig gewuchert. Was im Kalten Krieg eine Runde von (ausnahmslos) Männern zur Bewahrung des Friedens und zur Abschreckung diskutierte, ist heute zur komplexen, super-öffentlichen, dann aber auch geheimnisumwölkten Tanzveranstaltung mutiert. Hier wird der große Ringelreihen um Krieg und Frieden aufgeführt.

"Es geht mir um das Verhältnis zum Krieg", hatte Ewald-Heinrich von Kleist kurz vor seinem Tod in einem bewegenden Gespräch mit der grünen Politikerin Antje Vollmer gesagt, denn man "merkt schon, dass es Brücken zwischen den Lagern gab". In dem Zitat steckt zumindest der Kern der Idee, die die Sicherheitskonferenz heute noch antreibt. Krieg und Brücken - wie also lässt sich das Ur-Übel der Menschheit mit der Sehnsucht nach Frieden vereinen?

Ewald-Heinrich von Kleist, ein Vorbild der Integrität und Strenge, versuchte es mit den Mitteln seiner Zeit: einer Fachzeitschrift, einer Konferenz, der Autorität des Widerstandskämpfers. Die Idee wurde mit Unterstützung der CIA umgesetzt, wie eine Dissertation einmal herausfand. Es herrschte der Kalte Krieg, und Kleist versammelte im Saal der Handwerkskammer in München 30, vielleicht 40 - heute würde man sagen - Entscheider aus der Herzkammer der Nato: Minister, Abgeordnete, Generäle, Strategen.

Die Idee: ein offenes Forum für vertraulichen Austausch

Kleist wollte jenseits der protokollarisch streng geregelten Formate von Staatsbesuchen oder Ministerreisen ein offenes Forum für den Austausch schaffen. Strikt vertraulich, fast schon geheimbündlerisch. Die Probleme der Siko, überhaupt der sicherheitspolitischen Community, mit der Öffentlichkeit besonders in Deutschland , rühren aus dieser Hinterzimmerzeit, als Außenpolitik ein Elitenprojekt war, das Geschäft von wenigen. Henry Kissinger wurde nicht zufällig zum Leitbild dieser Zeit. Er war mit dem späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt unter den ersten Gästen.

Heute ist aus der ehemaligen Wehrkundetagung ein Event geworden, ein Pflichttermin für Außenpolitiker, ob sie nun aus China oder Chile anreisen. Maßgeblichen Anteil haben daran Wolfgang Ischinger und einige Helfer im Hintergrund. Ischinger wurde 2008 - nach Kleist und Horst Teltschik - der dritte Siko-Chef. Er war machtbewusst genug, um eine Schwachstelle in der Organisation der Konferenz zu erkennen.

Unter seinem Vorgänger Teltschik stammte der größte Anteil der Finanzierung aus dem Etat des Bundespresseamts. Bayerische Staatsregierung und Bundeswehr sorgten für Sicherheit und Logistik. Doch die Konferenz hatte weder eine eingetragene Rechtsform, noch gab es ein Namenspatent.

Ischinger machte die Siko zu einem Marktplatz für Informationen und Kontakte

Ischinger nutzte dies. Der ehemalige Staatssekretär und Botschafter ließ die Rechte auf den Konferenznamen auf seine Person eintragen, die Sicherheitskonferenz wurde zur Firma. Die Bundesregierung, die eigentlich ein großes politisches Interesse an der Ausrichtung dieses Treffens auf deutschem Boden hatte, verlor auch deswegen an Einfluss, weil Ischinger private Geldgeber anwarb und die Konferenz zu einem gewaltigen Marktplatz für Informationen und Kontakte ausbaute. Die finanziellen Beiträge aus Berlin wurden weniger wichtig, die Konferenz spielte nach eigenen Regeln.

Da trägt er noch Zivil: Wolodimir Selenskij rüttelt 2022 mit seiner Rede vor der Siko den Westen auf. Fünf Tage danach überfällt Russland die Ukraine. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Viel Kritik wurde in dieser Phase an Ischingers Ausdehnungsstrategie laut. Die Konferenz würde zu groß, zu beliebig, hieß es. Davos, das gewaltige Wirtschaftstreffen in den Schweizer Bergen, wurde zum warnenden Vorbild: zu voll, zu viel Champagner, zu wenig Substanz. Doch die Präsidenten, Regierungschefs und mächtigen Minister kamen auch weiterhin nach München.

In den Suiten des Bayerischen Hofs wurden zarte Kontakte geknüpft, Erzfeinde zusammengeführt, Papiere ausgetauscht. Auf der Bühne wurden programmatische Reden verlesen und Symbole in die Höhe gereckt. Bundespräsident Joachim Gauck las der Nation die Leviten, Angela Merkel sprach aus der Tiefe ihrer Überzeugung, frei und wuchtig. Und Wolodimir Selenskij trat 2022 nur wenige Tage vor dem russischen Überfall in München auf die Bühne und rüttelte den Westen auf. Show und Politik - in Kleists Zeiten ein Paar aus der Hölle.

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Ischinger löste die Spannung, indem er seine Rechte an der Sicherheitskonferenz zunächst in eine Stiftung mit der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH übertrug und aus der wilden Wohngemeinschaft eine rechtlich saubere Konstruktion schuf, die größtmögliche Unabhängigkeit schafft. Heute ist die Siko eine Stiftung, die immer noch von Ischinger geprägt ist, aber auch unter dem Einfluss der Bundesregierung und des Freistaats Bayern steht, die als Stifter Kapital eingebracht haben. Der Wunsch eines Widerstandskämpfers nach informellem Austausch hat einen Stiftungskonzern hervorgebracht, der Jahr für Jahr unzählige Minister, Sicherheitsgrößen, Thinktank-Bewohner und Wichtigtuer nach München lockt.

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