Brandenburg:Ein Toter und viele Fragen

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Mitarbeiter der Spurensicherung ermitteln am Tatort im brandenburgischen Vieritz. (Foto: Cevin Dettlaff/dpa)

Anderthalb Tage belagert die Polizei ein Haus im brandenburgischen Dorf Vieritz. Am Ende ist ein Mann tot. War er vielleicht ein Reichsbürger?

Von Jan Heidtmann, Berlin

Fast zwei Tage nach dem stundenlangen SEK-Einsatz im brandenburgischen Vieritz sorgt sich Felix Menzel um die Betreuung der Bewohner. Menzel ist Bürgermeister des Dorfs und der Gemeinde Milower Land. Als Feuerwehrmann habe er selbst Lehrgänge in psychologischer Erstversorgung hinter sich, erzählt er am Telefon. An den zwei Grundschulen der Gemeinde, aber auch in der Verwaltung stünden nun Mitarbeiter zur Verfügung - für jeden, der Hilfe benötige.

Von Freitagabend bis Sonntagfrüh hatte die Polizei, unterstützt durch Mitglieder eines Spezialeinsatzkommandos, das Haus in der Dorfmitte umstellt. Vieritz war dafür abgesperrt worden, die Bewohner durften ihre Häuser nicht verlassen. Die Belagerung des Einfamilienhauses endete erst am Sonntag kurz nach Mitternacht mit dem Tod eines Mannes. Um herauszufinden, ob er bei einem Schusswechsel mit der Polizei umgekommen war oder sich selbst erschossen hatte, wurde seine Leiche noch am selben Tag obduziert. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wird der Obduktionsbericht noch ausgewertet. Auch untersuche die Spurensicherung weiterhin das Haus.

Mehrere Waffen und eine Handgranate

Eine Polizeisprecherin hatte am Sonntag erklärt, dass mehrere Waffen im Haus gefunden worden seien, darunter auch eine Handgranate. Einige Medien berichteten zudem, dass der getötete Mann ursprünglich aus Kasachstan stamme. Vermutungen, dass er zu den sogenannten Reichsbürgern zähle, haben sich bisher nicht bestätigt. Der Verdacht war vom Sender RBB und in einigen digitalen Nachrichtendiensten geäußert worden, nicht aber von den Strafverfolgern, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Potsdam gegenüber der Süddeutschen Zeitung betont. Dennoch werde auch dieser Vermutung nachgegangen.

Auslöser für den Großeinsatz der Polizei war am Freitagnachmittag der Versuch eines Polizisten, einen Gerichtsbeschluss wegen Kindeswohlgefährdung durchzusetzen. Der Mann hatte sich offenbar geweigert, sein Kind in die Schule zu geben, und sich in dem Haus verschanzt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort neben ihm noch ein weiterer Mann, offenbar sein Bruder, das Kind und dessen Mutter.

Die Polizei rückt mit 14 Mannschaftswagen an

Der mutmaßliche Bruder gab bereits kurz darauf auf und wurde festgenommen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wird gegen ihn wegen Besitzes von größeren Mengen Cannabis und "einsatzfähiger Schusswaffen" ermittelt. Um Mitternacht rückte die Polizei mit 14 Mannschaftswagen an, kurz darauf konnten auch die Mutter und ihr Kind das Haus verlassen; das Kind sei dem Jugendamt übergeben worden.

Der nach Polizeiaussagen "hochgradig aggressive" Mann schoss in den darauffolgenden Stunden immer wieder auf die Polizei. Ein Versuch des SEK, das Haus zu stürmen, wurde abgebrochen, nachdem der Mann aus einer Maschinenpistole auf die Beamten gefeuert hatte. Es bestand auch die Sorge, der Schütze könnte sich und das Haus in die Luft sprengen. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 80 Beamte an dem Einsatz beteiligt, neben dem Spezialeinsatzkommando aus Magdeburg auch die Bundes- und die lokale Polizei. Um 1.21 Uhr am Sonntagmorgen teilte die Polizei schließlich mit, der Mann sei tot auf dem Dachboden des Hauses gefunden worden.

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Bis jetzt zeigten sich die Menschen in Vieritz "sehr gefasst", sagt der Gemeindebürgermeister Felix Menzel. Viele bewege jedoch die Frage, wie so etwas in diesem kleinen Dorf mit seinen 300 Einwohnern geschehen könne. Wie also einer Waffen horten könne, ohne dass es jemand mitbekomme. Menzel selbst wohnt in einem Dorf mit rund 100 Einwohnern, sagt er. Auch da sei es so: "Wenn man nicht an der Dorfgemeinschaft teilnehmen will, dann nimmt man auch nicht teil." Aufgefallen ist in Vieritz nur, dass rund um das Haus in jüngster Zeit mehrere Kameras installiert worden sind.

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