Sicherheitspolitik:"Schweden mit der Waffe in der Hand verteidigen"

Lesezeit: 2 min

"Es könnte Krieg in Schweden geben": Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin von den regierenden Moderaten. (Foto: Pontus Lundahl/AFP)

Weckruf oder Panikmache? Die Schweden streiten, ob man ihr friedensverwöhntes Land wirklich "mental auf einen Krieg vorbereiten" müsse, wie das plötzlich viele Regierungsvertreter meinen.

Von Alex Rühle, Stockholm

Gleich mehrere ranghohe schwedische Politiker und Militärs ermahnten in dieser Woche die schwedische Bevölkerung, man müsse auf eventuelle kriegerische Auseinandersetzungen vorbereitet sein.

Zunächst machte der Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin von der konservativen Moderaten-Partei Schlagzeilen, als er auf der jährlichen Sicherheitskonferenz Folk och Försvar (Volk und Verteidigung) sagte: "Auf eine Nation, für die der Frieden seit fast 210 Jahren ein angenehmer Begleiter ist, wirkt die Vorstellung, dass er eine unverrückbare Konstante ist, plausibel. Aber sich mit dieser Erkenntnis zu trösten ist so gefährlich wie schon lange nicht mehr. Viele haben es schon vor mir gesagt, aber lassen Sie es mich in offizieller Funktion, deutlicher und mit nackter Klarheit tun: Es könnte Krieg in Schweden geben."

Die Opposition findet, die Kriegsrhetorik verwirre und ängstige die Menschen

Der Oberbefehlshaber der Armee, Micael Bydén, pflichtete Bohlin kurz darauf bei, Schweden und seine Bevölkerung müssten sich "mental auf einen Krieg vorbereiten, auf allen Ebenen, in der gesamten Gesellschaft." Zuletzt sagte dann noch der Premierminister Ulf Kristersson, es gehe "letztlich darum, Schweden, unsere Werte und unsere Lebensweise mit der Waffe in der Hand und mit dem Leben als Einsatz zu verteidigen".

Oppositionelle Politiker sprachen daraufhin von Kriegstreiberei und Panikmache. So kritisierte die ehemalige sozialdemokratische Außenministerin Margot Wallström, solche Rhetorik würde die Menschen nur "verwirren und ängstigen". Magnus Jägerskog, Generalsekretär der Kinderschutzorganisation Bris, schrieb, die Telefone würden in seiner Organisation nicht stillstehen, weil verängstigte Kinder und Jugendliche fragen, wie sie sich denn nun auf den Krieg vorbereiten sollten.

Die finnische Journalistin Pirjo Auvinen schrieb, in Finnland würde man derartig drastische Rhetorik "als Hysterie bezeichnen (...) Mit dem Wort Krieg spielt man nicht." Schweden bemüht sich seit bald zwei Jahren darum, in die Nato zu gelangen. Bisher verweigern die Türkei und Ungarn ihre Zustimmung. Finnland dagegen konnte dem Bündnis im Mai vergangenen Jahres beitreten.

Der Premier schließt das Thema dann auch noch mit der Migrationsdebatte kurz

Andere Politiker, wie der Verteidigungsminister Pål Jonson, verteidigten Bohlins Sätze mit dem Hinweis auf die Sicherheitssituation und den Ukrainekrieg, oder auch, wie der Sicherheitsexperte Gunnar Hökmark, mit Hinblick auf die angespannte Haushaltslage: Schweden hat im Rahmen des Nato-Antrags beschlossen, seine Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. Wurden 2021 für die Armee und den Zivilschutz insgesamt 70 Milliarden Schwedische Kronen ausgegeben, so sollen es im kommenden Jahr 126 und 2026 sogar 139 Milliarden sein, was einer Verdoppelung innerhalb von fünf Jahren entspricht. Umso wichtiger sei es da, so Hökmark, den Schweden nach jahrelanger Vernachlässigung der Landesverteidigung klarzumachen, wie wichtig eine wehrhafte Armee für die zukünftige Friedenssicherung sei.

Den größten Unmut in all der Aufregung verursachte Ministerpräsident Ulf Kristersson, weil er das Thema der Landesverteidigung mit der Migrationsdebatte kurzschloss. "Wir müssen anfangen, laut über die Erwartungen zu sprechen, die mit der schwedischen Staatsbürgerschaft verbunden sind", sagte er auf der Verteidigungstagung. Weil es letztlich darum gehe, Schweden mit der Waffe und dem eigenen Leben zu verteidigen, müsse klar sein: "Die Staatsbürgerschaft ist kein Reisedokument."

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Margarete Andersson, Vorsitzende der Sozialdemokraten und Kristerssons Vorgängerin als Ministerpräsidentin, sagte, Aufgabe des Regierungschefs sei es, das Land zu einen. Stattdessen suggeriere Kristersson, dass schwedische Bürger mit Migrationshintergrund nicht die gleiche Bereitschaft zur Selbstverteidigung hätten wie andere. "Was wir in Schweden jetzt brauchen, ist Zusammenhalt. Diese Art von spaltender Botschaft führt das Land in die entgegengesetzte Richtung."

Schweden steht nun eine hitzige Debatte darüber bevor, wo die Gelder für den gestiegenen Wehretat herkommen sollen. Während die Sozialdemokraten für eine Sondersteuer zur Finanzierung der Aufrüstung plädieren, die besonders aus Kapitalvermögen zu finanzieren wäre, macht sich Kristerssons konservative Regierung dafür stark, die fehlenden 50 bis 60 Milliarden Kronen über Schulden zu finanzieren.

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