Schwarz-Gelb in der Krise:Fluch und Segen des Nichtstuns

Lesezeit: 2 min

Aktuelle Umfragen belegen: Nichtstun hilft der Opposition und schadet der Regierung. Nur weiß die Regierung von Angela Merkel nicht, ob es besser wird, wenn sie anfängt zu handeln.

Thorsten Denkler

Es ist eine kleine Sensation, die die ARD zu verkünden hatte: In ihrem Deutschlandtrend, von Infratest-Dimap erhoben, liegt die SPD erstmals seit November 2006 nicht mehr hinter der Union. Rot-Grün hat in der Sonntagsfrage sogar eine eigene Mehrheit, während das sogenannte bürgerliche Lager aus Union und FDP zusammen den schlechtesten Wert zu verzeichnen hat, den die Meinungsforscher im Auftrag der ARD je für diese Konstellation gemessen haben.

Die Zustimmung für ihre Regierung schrumpft: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). (Foto: dpa)

Das alles erstaunt umso mehr, weil sich die Wirtschaft gerade spürbar erholt, die Arbeitslosenzahlen alles in allem im grünen Bereich sind und auch sonst auf schwarz-gelber Regierungsebene bisher nichts so richtig schiefgelaufen ist - trotz des Dauergezänke und der zur Schau gestellten Uneinigkeit.

Andererseits, und das dürfte das Kernproblem für Schwarz-Gelb sein: Die einst als Wunschkonstellation in den Himmel gelobte Koalition hat auch noch nichts so richtig nach vorne gebracht.

Sie regiert seit bald einem Jahr. Und noch immer ist kein größeres Projekt spruchreif. Weder die Gesundheitsreform, noch die Hartz-IV-Reform, noch die Atomfrage, noch das Sparpaket, noch die Wehrpflichtreform und so weiter: Keines ihrer Kernanliegen hat die Regierung bisher umgesetzt.

Noch ergehen sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vize von der FDP, Guido Westerwelle, in bloßer Ankündigungsrhetorik und tun so, als sei schon der Plan etwas zu tun bereits ein handfestes Ergebnis.

Genau das wiederum ist auch das Problem der SPD mit den Umfragen.

Merkel und Machtworte
:Lass die Leute reden ...

Seit zehn Jahren ist Angela Merkel Vorsitzende der CDU. Ihre Karriere zeigt, wie wenig Macht mit Machtworten zu tun haben kann. Bilder und Worte der Bundeskanzlerin. Zusammengestellt von Barbara Vorsamer

Keine Frage: Parteichef Sigmar Gabriel hat seit seinem Amtsantritt nach der desaströs verlorenen Bundestagswahl die Partei wieder beruhigt, ihr wieder Selbstachtung gegeben.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin (l.) und SPD-Chef Sigmar Gabriel bei einer Anti-Atomkraft-Veranstaltung in Berlin. (Foto: REUTERS)

Das aber erklärt nicht den momentanen demoskopischen Aufschwung der SPD.

Mit 31 Prozent liegt die SPD gleichauf mit der Union. Das ist immer noch kein besonders starker Wert für eine Partei, die weiter Volkspartei sein möchte.

Gabriel hat das ganz richtig erkannt: Im Moment profitiert die SPD von der Schwäche der Union. Die Wähler scheinen vom Nicht-regiert-werden so dermaßen die Nase voll zu haben, dass sie lieber zur SPD oder zu den Grünen gehen, die mit 17 Prozentpunkten in der Sonntagsfrage auf Wolke sieben schweben müssen.

SPD und Grüne mit eigenständiger Mehrheit, das ist - auch wenn die Umfrage andere Hoffnung macht - noch ein weit entfernter Traum. Für die beiden Parteien wäre es fatal, das Stimmungshoch eigener Kraft und Stärke zuzuschreiben. Die SPD ist mitten in einem Konsolidierungsprozess. Sie wäre im Moment noch nicht so weit, wieder regieren zu können.

Die Grünen wiederum haben Gefallen gefunden an der Oppositionsarbeit. Und dort wo sie mitregieren, in Hamburg, Bremen, im Saarland und jetzt in Nordrhein-Westfalen, geschieht dies relativ geräuschlos.

Ihnen muss allerdings zugestanden werden, dass sie programmatisch und strategisch besser aufgestellt sind als alle anderen Parteien. Der Selbstfindungsprozess, den SPD, Linke, FDP und sicher auch die Union noch vor sich haben, den haben die Grünen bereits hinter sich.

Wie belastbar die derzeitigen Umfragen sind, wird sich erst nach den nächsten Landtagswahlen im kommenden Jahr herausstellen, wenn unter anderem in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und möglicherweise auch erneut in Nordrhein-Westfalen gewählt wird. Sollte da Schwarz-Gelb versagen, die Koalition stieße es in eine tiefe Krise. Ein frühzeitiges Aus nicht ausgeschlossen.

Dann hätte, wenn der Wähler es zulässt, Rot-Grün die Chance zu handeln, die zugleich eine Bürde wäre. Bisher nämlich zeigt sich für die Opposition: Im Nichtstun liegt die Kraft.

Wo die Kraft für die Regierung liegen könnte, weiß dagegen niemand. Wenn sie allein ihre Pläne zur Privatisierung des Gesundheitssystems und längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke durchsetzt, wird sie sich möglicherweise wünschen, besser nichts getan zu haben. Denn für beide Projekte fehlen die gesellschaftlichen Mehrheiten. Ohne die aber ist das Ende von Schwarz-Gelb programmiert.

© sueddeutsche.de/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SPD: Sigmar Gabriel
:Vom Harzer Roller zum Parteichef

Sigmar Gabriel, einst Deutschlands jüngster Ministerpräsident, später verspottet als "Siggi Pop", kennt die Höhen und Tiefen der Politik. Die Karriere des Hoffnungsträgers in Stationen.

Wolfgang Jaschensky

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: