Unabhängigkeit:Darf Schottland noch mal abstimmen?

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"Westminster hat keinen Respekt", meint die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon. (Foto: Michal Wachucik/Reuters)

Der britische Supreme Court steht vor einer Entscheidung, die das Vereinigte Königreich spalten könnte: Ob das schottische Parlament erneut ein Unabhängigkeitsreferendum ansetzen darf.

Von Alexander Mühlauer, London

Vom Parteitag der Scottish National Party (SNP) dürften vor allem zwei Dinge über Nicola Sturgeon in Erinnerung bleiben. Erstens: eine SNP-Chefin, die sagte, dass sie die Tories hasse. Und zweitens: eine SNP-Chefin, die sich nicht davon abhalten lassen will, Schottlands Unabhängigkeit zu erreichen. Doch nun muss sie erst einmal abwarten, was der Supreme Court des Vereinigten Königreichs dazu sagt.

Die Richter des Obersten Gerichtshofs befassen sich am Dienstag und Mittwoch mit der Frage, ob das schottische Regionalparlament die Befugnis hat, ein Unabhängigkeitsreferendum ohne Zustimmung der britischen Zentralregierung anzusetzen. Die Regionalregierung in Edinburgh hatte das Gericht um eine endgültige Klärung gebeten. "Hätte Westminster auch nur den geringsten Respekt vor der schottischen Demokratie, wäre diese Gerichtsverhandlung nicht nötig", sagte SNP-Chefin Sturgeon am Montag zum Abschluss des Parteitags in Aberdeen. "Aber", so fügte die schottische Regierungschefin hinzu, "Westminster hat keinen solchen Respekt."

In Westminster ist die britische Premierministerin Liz Truss davon überzeugt, dass die Londoner Zentralregierung einem zweiten Referendum zustimmen muss. So war es auch bei der ersten Volksabstimmung im Jahr 2014. Damals hatte sich die Mehrheit der schottischen Bevölkerung für einen Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen. Aus Londoner Sicht ist die Frage damit entschieden. Truss' Amtsvorgänger Boris Johnson hatte ein zweites Referendum vehement abgelehnt und darauf verwiesen, dass Sturgeon selber gesagt habe, die Abstimmung 2014 sei einmalig gewesen ("once in a generation").

Sturgeon hat die Abstimmung schon auf den 19. Oktober 2023 datiert

Diese Aussage bestreitet Sturgeon nicht, sie ist allerdings der Meinung, dass sich mit dem Brexit die Geschäftsgrundlage für die Union mit Großbritannien fundamental verändert hat. Sie argumentiert, dass die schottische Bevölkerung beim Referendum über den EU-Austritt mehrheitlich für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Gemeinschaft gestimmt habe. 2016 war das, also zwei Jahre nach dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum.

Sturgeons Ziel ist es, ein unabhängiges Schottland zurück in die EU zu führen. Um das zu erreichen, hat sie - vorbehaltlich der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs - für den 19. Oktober 2023 ein neues Referendum angekündigt. Sollten die Richter dem Regionalparlament das Recht zubilligen, ein sogenanntes Indyref 2 durchzuführen, würde das die Unabhängigkeitsbefürworter massiv stärken. Lehnen sie die Befugnis ab, will Sturgeon die nächste britische Parlamentswahl im Jahr 2024 zu einem De-facto-Referendum machen.

In der SNP gibt es auch Stimmen, die fordern, nicht so lange zu warten, sondern einfach eine Abstimmung anzusetzen. Damit bestünde allerdings die Gefahr, dass sich der gescheiterte Versuch Kataloniens wiederholt. Die spanische Region hatte 2017 eine Volksabstimmung abgehalten, obwohl das spanische Verfassungsgericht unmissverständlich klargemacht hatte, dass ein solches Referendum rechtswidrig sei. Die damalige Regionalregierung scherte das nicht. Sie zog die Abstimmung einfach durch, die jedoch weder von der Zentralregierung in Madrid noch international anerkannt wurde.

Solange Sturgeon schottische Regierungschefin ist, dürfte es in Schottland keine Wiederholung dieses Versuchs geben. Sturgeon ist Juristin und kennt die rechtlichen Fallstricke nur zu gut. Kein Wunder, dass sie sich dafür stark gemacht hat, die Frage an den britischen Supreme Court zu verweisen. Dorothy Bain, die Leiterin der Rechtsabteilung der schottischen Regierung, begründete diesen Schritt so: Es handele sich um eine Rechtsfrage, die, wenn sie nicht jetzt von diesem Gericht beantwortet werde, wahrscheinlich überhaupt nicht entschieden werden könne.

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Und so werden die Richter sich die Argumente der schottischen Regionalregierung und jener der britischen Zentralregierung zwei Tage lang anhören. Sturgeon zeigte sich "optimistisch", dass der Supreme Court ihrer Rechtsauffassung folgen werde, wonach die Entscheidung, ob ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten werden darf, in den Kompetenzbereich des schottischen Regionalparlaments falle.

Eine Sprecherin der britischen Regierung sagte, dass ein Gesetzentwurf für ein Unabhängigkeitsreferendum außerhalb der legislativen Kompetenz des schottischen Parlaments liegen würde. Davon abgesehen "wollen die Menschen in Schottland, dass ihre beiden Regierungen zusammenarbeiten und sich auf die Themen konzentrieren, die für sie wichtig sind, und nicht über ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum reden."

Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wird in einigen Wochen erwartet. Eines steht allerdings schon fest: Sollte es zu einer weiteren Abstimmung über Schottlands Unabhängigkeit kommen, ist der Ausgang völlig ungewiss.

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