Schleswig-Holstein vor Neuwahlen:Carstensen: Ich lüge nicht

Lesezeit: 3 min

Die Vertrauensfrage ging verloren, Schleswig-Holstein wählt am 27. September neu: Ministerpräsident Carstensens Plan ist aufgegangen - er und sein SPD-Rivale Stegner gifteten einander kräftig an.

Der Weg zu Neuwahlen in Schleswig-Holstein am Tag der Bundestagswahl ist endgültig frei. Nach dem Bruch der großen Koalition und der Entlassung aller vier SPD-Minister ist der Plan von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen gelungen. Der CDU-Politiker verlor, wie von ihm angestrebt, die Vertrauensfrage im Kieler Landtag.

Kurzdialog in der Landtagskantine: SPD-Chef Stegner (re.) und Ministerpräsident Carstensen von der CDU (Foto: Foto: Reuters)

Nun soll das Landesparlament am 27. September neu gewählt werden. Danach wollen CDU und FDP gemeinsam regieren. Dies wäre nach den neuen Umfragen gut möglich.

In der namentlichen Abstimmung votierte die Opposition aus SPD, FDP, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) geschlossen mit Nein und verweigerte dem Ministerpräsidenten damit das Vertrauen. Bis auf einen enthielten sich alle CDU-Abgeordneten der Stimme, auch der Ministerpräsident selbst. Nur Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) stimmte mit Ja.

Unmittelbar nach der Vertrauensabstimmung im Kieler Landtag kündigte Carstensen an, die Wahlperiode vorzeitig für beendet zu erklären. Der CDU-Politiker sagte, es habe sich nicht um eine unechte Vertrauensfrage gehandelt.

Es sei ganz deutlich geworden, "dass das Vertrauen nicht mehr vorhanden ist". Eine Zusammenarbeit mit der SPD sei nicht mehr möglich. "Das hat die Debatte gezeigt."

Carstensen wies den Vorwurf des SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Ralf Stegner zurück, im Zusammenhang mit der HSH-Nordbank gelogen zu haben. "Ich habe nicht gelogen, ich lasse mich nicht der Lüge bezichtigen."

Stegner zeigte sich nach der Abstimmung zuversichtlich, dass seine SPD bis zur Wahl aus dem Stimmungstief heraus ist. "Das sind kluge Leute, die Schleswig-Holsteiner", sagte er am Donnerstag nach der gescheiterten Vertrauensfrage in Kiel. Ein Drittel der Wähler entscheide sich zudem erst am Wahltag.

Stegners Selbstkritik

Er sei überzeugt, dass das Ergebnis ganz anders ausfallen werde, als jetzt von vielen angenommen. Stegner schlug auch selbstkritische Töne in Bezug auf sein Verhältnis zu Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) an. "Wir haben die Auseinandersetzung wechselseitig übertrieben", räumte der SPD-Mann ein.

Vor der Abstimmung lieferten sich Carstensen und Stegner noch einen Schlagabtausch. Beide machten in einer teils hitzigen Debatte, aber auch mit mahnenden Worten geführten Debatte gegenseitig für das Scheitern der großen Koalition verantwortlich. Außerdem warfen sie einander vor, die Unwahrheit gesagt zu haben.

Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) sprach Carstensen abweichend von der Fraktionsmehrheit das Vertrauen aus: "Ich bin der Meinung, dass das eine unechte Vertrauensfrage ist", sagte Kayenburg vor der Abstimmung.

Auch Stegner sprach von einer fingierten Vertrauensfrage. Stegner warf dem Regierungschef und CDU-Landesvorsitzenden vor, er habe den Koalitionsbruch aus wahltaktischen Gründen herbeigeführt und seit Monaten vorbereitet. In den letzten Tagen habe Carstensen alles getan, um den letzten Rest von Vertrauen in ihn und seine "Rumpfregierung" zu zerstören.

Carstensen: Schätze entlassene SPD-Minister menschlich

Die Entlassung der SPD-Minister sei verantwortungslos gewesen. Carstensens Vertrauensfrage sei unehrlich; vieles spreche dafür, dass dieses Vorgehen verfassungswidrig sei. Der ehrlichste Weg wäre ein Rücktritt gewesen, sagte Stegner. "Ihnen fehlt jede Legitimation und Moral."

Carstensen sagte, Stegner habe das Regieren unberechenbar gemacht und einen Dauerkonflikt mit Winkelzügen und Hintertürchen betrieben. Carstensen betonte, dass er die von ihm entlassenen vier SPD-Minister fachlich und menschlich sehr schätze. Mit dem Nein zur Auflösung des Landtages habe die SPD ihn aber zur Entlassung und zur Vertrauensfrage gezwungen.

Nicht persönlicher Streit zweier gegensätzlicher Charaktere habe zum Bruch geführt, sagte Carstensen. Vielmehr sei es um Auseinandersetzungen zwischen Parteien und Fraktionen, um verschiedene Konzepte und Grundhaltungen gegangen. "Es ist eine Auseinandersetzung über Verantwortung."

Stegner wertete Carstensens Vorgehen auch als eine Flucht vor der Umsetzung der weitreichenden Sparbeschlüsse der Koalition, sagte Stegner. Er selbst habe sich ohne Wenn und Aber zu diesen bekannt.

Nach langer Koalitionskrise hatte die CDU in der vergangenen Woche das seit 2005 bestehende Regierungsbündnis mit der SPD aufgekündigt.

Beim Versuch, den Landtag aufzulösen, verfehlten CDU und Opposition am Montag wegen des Widerstandes der SPD die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Danach stellte Carstensen die Vertrauensfrage und entließ die vier SPD-Minister. Es war das erste Mal, dass in einem Land das Instrument der Vertrauensfrage angewendet wurde. In allen bisherigen Fällen von vorgezogenen Landtagswahlen hatten sich die Parlamente selbst aufgelöst.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki schloss erneut aus, dass die Liberalen eine Regierung mit der SPD unter Stegner bilden würden. Grünen-Kollege Karl-Martin Hentschel sagte, die "Scharfmacher" in der CDU-Fraktion hätten Carstensen den Weg diktiert. Hentschel äußerte verfassungsrechtliche Bedenken an der Korrektheit der Vertrauensfrage. Machterhalt sei Carstensen wichtiger gewesen als das Wohl des Landes.

© dpa/AP/AFP/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Koalitionskrach in Kiel
:Erdbebengebiet Schleswig-Holstein

Schubladen voll Geld, Ehrenworte und ein Putsch im Landtag: Politische Skandale haben Tradition im hohen Norden. Eine Chronik der Affären.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: