Schleswig-Holstein nach der Wahl:Ein Hauch von Stegner

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Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hofft nach dem Ausscheiden der SPD auf friedlichere Zeiten - doch auch die FDP dürfte kein bequemer Koalitionspartner werden.

J. Schneider u. R. Wiegand

Die FDP war wild entschlossen, sich diesen Moment nicht nehmen zu lassen. Diesmal nicht. Die Hochrechnungen jonglierten zwar noch mit Überhang- und Ausgleichsmandaten, und eine ganze Weile sah es danach aus, dass ein wackliger Sitz im Parlament den gelben Traum vom Bündnis mit der CDU in Schleswig-Holstein noch würde platzen lassen können.

Wolfgang Kubicki und Peter Harry Carstensen: Die FDP dürfte kein bequemer Koalitionspartner für den Ministerpräsidenten werden. (Foto: Foto: dpa)

Wie vor viereinhalb Jahren, als sich kurz vor Mitternacht das entscheidende fünfte Mandat für die FDP noch im Nichts auflöste, wegen 700 fehlender Stimmen. "Na und", sagte aber an diesem Abend voller Glück Wolfgang Kubicki mitten hinein in die liberale Euphorie an der Waterkant, "für uns reicht es auf jeden Fall." Die FDP würde nach einer gefühlten Ewigkeit wieder einmal in die Regierung einziehen - und wer mit ihnen mitkommen darf, war ihnen in diesem Moment schnurzpiepegal.

An der 15-Prozent-FDP hätte es tatsächlich nicht gelegen, wenn am Tag danach der Landeswahlleiter doch etwas anderes verkünden hätte müssen als eine schwarz-gelbe Zukunft. Musste er aber nicht, CDU und FDP haben im künftigen Parlament sogar drei Stimmen Vorsprung, hatte das Rechenzentrum um 3.30 Uhr endlich ermittelt. Peter Harry Carstensen war da schon auf dem Weg nach Berlin, "vier Stunden Fahrt und zwei Stunden Schlaf" hatte sich der CDU-Ministerpräsident verordnet, als er in der Nacht das Landeshaus verließ. Im Fonds seiner Staatskarosse hatte er besondere Eindrücke zu verarbeiten.

Da war zum Beispiel seine persönliche Niederlage. Carstensen, Typ gütiger Landesvater, war im Wahlkampf dem bissigen Opponenten Stegner auf den Leim gegangen und gelegentlich aus der Rolle gefallen. Unehrenhafte Ministerentlassung, flegelhaftes TV-Duell, solche Sachen. Seine Popularität schwand und mit ihr der Vorsprung der CDU.

"Ich habe das nicht gehört"

Schon hieß es am Sonntag im Landeshaus, ein CDU-Funktionär habe seinen Rücktritt gefordert. "Ich habe das nicht gehört", blaffte Carstensen, "ich habe keine Veranlassung, persönliche Konsequenzen zu ziehen." Aber sein Nimbus der Unantastbarkeit in den eigenen Reihen schwindet, zumal Kronprinz Christian von Boetticher, bisher Landwirtschaftsminister, als künftiger Fraktionsvorsitzender eine weitere Aufwertung erfahren dürfte.

Da war zum anderen aber auch ein persönlicher Sieg. Es war Carstensen vor viereinhalb Jahren anzumerken, dass er in stillen Momenten durchaus in der Lage war, Mitgefühl für Heide Simonis zu empfinden. Er hatte damals, als 1,95 Meter großes, sturmerprobtes Nordlicht, gegen die zierliche Rheinländerin einen harten Wahlkampf geführt. Als die schon angeschlagene Simonis schließlich in vier verzehrenden Wahlgängen nicht zur Ministerpräsidentin gewählt wurde und sich gebrochen zurückzog, begann die Eiszeit zwischen Union und SPD.

Im Grunde fing damit alles Übel an, das zu diesen vorgezogenen Neuwahlen geführt hatte. Carstensen, ein harmoniebedürftiger Mensch, begegnete jetzt Simonis wieder, und die Gegnerin von einst habe ihm "mehr als nur förmlich herzliche Gratulationen ausgesprochen", sagte er. "Wir haben ein paar Minuten miteinander gesprochen. Natürlich war für sie als Sozialdemokratin viel Wehmut dabei, umso mehr schätze ich diese Geste."

Der Ministerpräsident hofft jetzt auf friedlichere Zeiten an der Förde. Die SPD habe in der Regierung mitmachen und gleichzeitig Opposition sein wollen, sagte er, "das wird mit der FDP besser laufen". Dass er sich mal nicht täuscht: Die FDP kommt gerade aus einer langen, langen Zeit der Opposition, in der sie auch die CDU-Minister nicht schonte.

Ringen ums Finanzministerium

So einfach wird sie sich das nicht abgewöhnen, zumal Wolfgang Kubicki, der Ex-Oppositionsführer, Fraktionschef bleiben wird und gut aufpassen will, was das nächste Kabinett so veranstaltet. Schon die Verhandlungsstrategie verheißt viel Spaß. "Ich bin Anwalt", sagt Kubicki, "da muss ich für die andere Seite immer mitdenken."

Die Liberalen werden sich, nachdem die neue, von vier auf 15 Köpfe gewachsene Fraktion für zwei Tage in Klausur geht, von Freitag an wohl um drei Ministerien verhandeln. Soziales und Bildung gilt als abgemacht, interessant wird das Ringen ums Finanzministerium. Dort wird, bisher von Rainer Wiegard (CDU), auch die Zukunft der maroden HSH-Nordbank gestaltet. Hier steht die noch nicht mal geschlossene Koalition vor ihrer ersten großen Prüfung. Carstensen wähnt die Bank auf einem guten Weg und will deren Vorstand Dirk Jens Nonnenmacher im Amt belassen. Kubicki hält Nonnenmacher für eine Fehlbesetzung - und Minister Wiegard ebenso. Da dürfte durchaus ein Hauch von Stegner durch den Verhandlungssaal wehen.

Dessen künftige Bedeutung für die SPD erscheint derweil offen. Am Sonntagabend applaudierten die meisten Genossen im dritten Stock des Kieler Landtags ihrem Vorsitzenden noch einmal demonstrativ heftig. Doch schon da fühlten sich einige nicht mehr verpflichtet, dem Parteichef und Spitzenkandidaten noch besondere Zuneigung zu zeigen. Distanziert betrachteten sie den Auftritt eines dramatisch gescheiterten Spitzenkandidaten, der zwar deutlich von einem katastrophalen Wahlergebnis sprach, aber auch positive Bilanz ziehen wollte. "Wir haben mächtig aufgeholt", sagte Stegner über die Wochen des Wahlkampfs und: "Was mir an Sympathien entgegengebracht wurde, das kann ich gar nicht beschreiben."

"Es gibt keine Eile"

Die Sache mit der Sympathie sahen einige Genossen anders. An den Info-Ständen hätten sie oft Klagen von Wählern gehört, dass Stegner als Person nicht ankomme. Es spricht kaum für ihn, dass die Nord-SPD bei der Bundestagswahl besser abgeschnitten hat als bei der Landtagswahl. In den Gremien der Partei werde sich Wut auf Stegner entladen, dem einige Kritiker vorwerfen, dass er die SPD zu sehr auf sich selbst ausrichtete.

Nur wenige glauben freilich, dass sofort nach der Wahl die Machtfrage gestellt wird. Stegner soll bereits an diesem Dienstag wieder zum Fraktionschef gewählt werden, bisher gibt es keinen Gegenkandidaten. "Es gibt keine Eile", sagt sein bisheriger Vize Jürgen Weber. Der Kieler hat als einer der wenigen Sozialdemokraten seinen Wahlkreis gewonnen und wird als möglicher Nachfolger Stegners gehandelt. "Ich gehe davon aus, dass er wieder gewählt wird. Aber damit fangen die Diskussionen über das Personal erst an." Die stark auf Stegner ausgerichtete Partei müsse wieder lernen, breiter und offener zu diskutieren. "In wichtigen Gremien", sagt Weber, "war das tägliche Einüben des Schulterschlusses wichtiger als die offene Diskussion." Auf lange Sicht erwartet er, dass über eine Trennung der Führungsfunktionen nachgedacht wird. "Es tut der SPD nicht gut, wenn die Führung von Partei und Fraktion in einer Hand sind."

Stegner bekennt sich "ohne Wenn und Aber zu meiner Verantwortung" für das schlechte Ergebnis. Die Partei müsse eine sehr offene Diskussion über Inhalte, Organisationsstrukturen und auch das Personal führen. Dabei betont er freilich auch Erfolge. So sei es in Schleswig-Holstein gelungen, die Linkspartei eher klein zu halten. Ans Aufgeben denkt er nicht. "Ich bin kein Schönwetter-Kapitän", sagt er.

Ihm könnte zugute kommen, dass der SPD im Norden derzeit namhafte personelle Alternativen fehlen, die in fünf Jahren attraktive Spitzenkandidaten abgeben könnten. In Ruhe solle nach Kandidaten mit Potential gesucht werden, auch außerhalb des Landes, heißt es in der Parteiführung. Als Kandidat mit Potential wird immerhin schon Torsten Albig genannt, der sozialdemokratische Bürgermeister von Kiel.

Der frühere Sprecher von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück imponierte im Frühjahr, als er überraschend klar die dortige OB-Wahl gewinnen konnte. Albig ist aber erst etwa hundert Tage im Amt und hält sich zurück. Der SPD rät er von übereilten Schritten ab. "Wir müssen nicht ohne Not Diskussionen führen, die die Partei noch weiter schwächen", sagt er. Die SPD müsse sich für Wahlen ab 2013 gut aufstellen und sich für diese Entscheidungen Zeit nehmen. "Wir sind nicht in der Situation, dass wir die Entscheidung schon morgen getroffen haben müssen."

© SZ vom 29.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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