Salisbury:May: "Die Polizei wird keinen Stein auf dem anderen lassen"

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  • Zwei Briten sind in Salisbury mit einer schweren Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden.
  • Bei beiden wurde der Kampfstoff Nowitschok als Ursache der Vergiftung ermittelt.
  • Mit dem gleichen Gift wurde Anfang März der Anschlag auf den Ex-Agenten Skripal verübt, für den die britische Regierung Russland verantwortlich macht - was Moskau jedoch zurückweist.
  • Die britische Premierministerin May kündigte an, die Polizei werde den Fall untersuchen und "keinen Stein auf dem anderen lassen".

Von Björn Finke, London

Eine Überdosis Heroin vielleicht. Oder verunreinigter Stoff. Das war die Vermutung von Ärzten und Polizei, als am vergangenen Samstag ein Paar ins Salisbury District Hospital eingeliefert wurde. Doch seit Mittwochabend ist klar, dass die lebensbedrohliche Vergiftung der beiden einen noch viel beunruhigenderen Hintergrund hat. Denn da verkündete Neil Basu, Chef der Anti-Terror-Abteilung von Scotland Yard, dass Dawn Sturgess, eine 44-jährige Frau mit Alkoholproblemen, und ihr Freund Charlie Rowley, ein 45-jähriger Drogensüchtiger, mit Nowitschok vergiftet worden sind.

Mit diesem chemischen Kampfstoff wurden Anfang März der russische Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia vergiftet. Die beiden wurden bewusstlos auf einer Parkbank im englischen Salisbury gefunden. Der Ex-Spion, der zu den Briten übergelaufen war, und seine Tochter überlebten den Anschlag und konnten das Salisbury District Hospital im April und Mai verlassen

Statement von Julia Skripal
:"Intensiv, schmerzhaft und bedrückend"

Die Tochter des Ex-Doppelagenten Sergej Skripal schildert zum ersten Mal öffentlich ihr Leben nach dem Giftanschlag. Sie hoffe, nach Russland zurückkehren zu können.

Sturgess und Rowley mussten am Samstag von Krankenwagen von Rowleys Wohnung in Amesbury abgeholt werden, einer Gemeinde weniger als 15 Kilometer entfernt von Salisbury. Am Vortag hatte das Paar die Stadt besucht und Zeit in den Queen Elizabeth Gardens verbracht, einem Park ganz in der Nähe der Stelle, wo die beiden bewusstlosen Russen saßen. Außerdem lebt Sturgess in einer Herberge in Salisbury, die sich nahe des Restaurants befindet, in dem die Skripals vor ihrem Kollaps aßen.

Zeitungen zitieren einen Freund, Rowley habe aus dem Mund geschäumt und sich "wie ein Zombie" verhalten. Die Ärzte und Ermittler vermuteten eine Überdosis oder verunreinigte Drogen als Ursache. Allerdings erschienen manche Symptome verdächtig, weswegen das Krankenhaus Proben an das staatliche Labor Porton Down schickte. Dort hatten Chemiewaffen-Experten bereits im Fall der Skripals das Gift identifiziert. Nun kamen die Fachleute wieder zum Schluss, dass Nowitschok der Auslöser war. Sie versetzten damit die Bürger von Salisbury in Angst - und Medien und Politik in helle Aufregung.

Die britische Premierministerin Theresa May hat eine umfassende Untersuchung zu dem Fall in Großbritannien angekündigt. "Die Polizei, das weiß ich, wird keinen Stein auf dem anderen lassen", sagte May zum Auftakt ihres Treffens mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag. Die Polizei sperrte die Queen Elizabeth Gardens und andere Orte, die Sturgess und Rowley aufgesucht hatten, vorsorglich ab; der Krankenwagen, der sie transportierte, wurde erst einmal außer Dienst gestellt. Die Ermittler gehen dem Verdacht nach, dass das Paar mit jenem Nowitschok in Berührung kam, das für die Vergiftung der Skripals genutzt wurde. Die Täter könnten Reste des starken Nervengifts weggeworfen oder versteckt haben.

Basu, der Terrorbekämpfer von der Londoner Polizeibehörde Scotland Yard, sagte, es gebe keine Hinweise, dass das Paar Opfer eines gezielten Anschlags wurde. Allerdings sei ebenfalls noch unklar, ob das Nowitschok, das sie berührt haben, wirklich aus der gleichen Charge stamme wie im Fall der Skripals.

Dekontaminierung kostete Millionen Pfund

Nach der Attacke auf die Russen hatten die Behörden neun Orte, welche die Skripals kurz vor ihrem Zusammenbruch besucht hatten, für Millionen von Pfund dekontaminiert. Die höchste Konzentration wurde an Skripals Haustür in Salisbury gefunden - vermutlich kamen seine Tochter und er dort mit dem Gift in Berührung. Sollten Sturgess und Rowley tatsächlich Opfer des gleichen Nowitschok sein, das die Täter damals nutzten, würde das die Wirksamkeit des teuren Großreinemachens in Frage stellen. Es wäre ein Schock für die Bewohner von Salisbury und der umliegenden Gemeinden.

Die neuerliche Vergiftung wird auch die Debatte über die Beteiligung Russlands neu anheizen. Der Kampfstoff Nowitschok wurde während des Kalten Krieges in sowjetischen Laboren entwickelt. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte Überläufern wie Skripal öffentlich mit der Ermordung gedroht. Daher beschuldigt die britische Regierung den Kreml, den Anschlag angeordnet und dabei auch das Leben vieler Unbeteiligter in Gefahr gebracht zu haben. Russland streitet das ab. Sicherheitsminister Ben Wallace wiederholte die Vorwürfe gegen Russland am Donnerstag in einem Interview mit der BBC und forderte Aufklärung.

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Von Paul-Anton Krüger

Tatsächlich besitzen auch staatliche Labore anderer Länder Nowitschok, aber die Frage ist, welche anderen Regierungen ein Motiv für den Anschlag gehabt hätten. Der britische Innenminister Sajid Javid wird am Donnerstag eine Sitzung von COBRA, dem Krisenkabinett, leiten und den Fall besprechen.

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