Russland und die Ukraine:Der Westen muss Putin Grenzen setzen

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Ohne Abzeichen oder ähnliche Kennzeichnung umstellen mutmaßlich russische Soldaten eine Militärbasis auf der Krim. (Foto: Getty Images)

Die Gespenster haben Europa eingeholt: 2014 ist nicht 1938 oder 1968. Aber Russlands Präsident Wladimir Putin hat nicht nur das Völkerrecht gebrochen, er hat klargemacht, dass sein Machtwille auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion kaum Grenzen kennt. Der Westen muss nun Entschlossenheit zeigen.

Ein Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Die Europäer sind daran gewöhnt, gelegentlich von den Gespenstern ihrer Geschichte gejagt zu werden. Am Wochenende aber haben die Gespenster Europa eingeholt. Wenn eine Großmacht nach einem orchestrierten Hilferuf Truppen in Bewegung setzt und, angeblich zum Schutz von Landsleuten, sich Teile eines Nachbarn einverleibt, werden böse Erinnerungen lebendig.

2014 ist nicht 1938 oder 1968, und die Krim ist nicht das Sudetenland und Kiew nicht Prag. Aber Russlands Präsident Wladimir Putin hat nicht nur das Völkerrecht gebrochen, er hat klargemacht, dass sein Machtwille auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion kaum Grenzen kennt.

Nach gut zwei Jahrzehnten sieht es so aus, als sei in Europa das Glück, das der Mauerfall gebracht hat, in Gefahr. Russland - so ist oft zu hören - sei gedemütigt, seine Interessen seien missachtet worden. Der Westen habe sich als Sieger aufgespielt. Schuld sei eine Mentalität des Kalten Kriegs. Das ist insofern bemerkenswert, als das Argument ja nur in der Logik des Kalten Krieges funktioniert.

Nach dieser Logik leuchtet ein, dass bestimmte Nationen über ihr Schicksal nicht frei bestimmen können, weil sie sich in einer von Russland definierten Einflusszone befinden. Putin hat den Untergang der Sowjetunion als größte geostrategische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Daran sollte sich erinnern, wer als tiefere Ursache der russischen Aggression gegen die Ukraine westliche Überheblichkeit vermutet.

Ende einer Illusion

Für den Westen ist die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen von der Illusion, dass das im Inneren von autoritärer Herrschaft, Willkür, Machtmissbrauch, Nationalismus und imperialem Phantomschmerz geprägte Russland im Äußeren ein zwar schwieriger, aber doch berechenbarer Partner sein kann, den mit der EU und den USA zentrale Interessen verbinden.

Diese Illusion hielt sich auch nach dem Georgien-Krieg 2008, für den nicht zu Unrecht auch der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili verantwortlich gemacht worden war. Und diese Illusion hat bei aller Missbilligung der russischen Waffenhilfe für Baschar al-Assad auch das syrische Drama überdauert. Die Krim-Krise zeigt nun aber, wie wenig sich innen und außen in Russland trennen lassen. Putin respektiert hier wie dort nur Macht, nicht Recht.

Amerikaner und Europäer stehen nun vor schwierigen Entscheidungen. Denn in der Ukraine droht ein Krieg, in den der Westen militärisch nicht eingreifen wird. Zwar garantiert viel bedrucktes Papier die territoriale Unversehrtheit der Ukraine, etwa das Budapester Memorandum von 1994, das den Verzicht des Landes auf Atomwaffen besiegelt. Die Nato aber kann dem Nichtmitglied keinen Beistand gegen die Atommacht Russland leisten. Weil das so ist, darf der Westen sich keine Passivität erlauben. Die Moskauer Aggression muss ohne jede militärische Drohung eingedämmt werden.

Das erfordert eine Entschlossenheit, die Putin dem Westen vermutlich nicht zutraut. Diplomatisch muss gegenüber Russland der Ausnahmezustand verhängt werden. Jedes Gespräch kann sich nur um die Lösung der Krim-Krise drehen. Spitzentreffen wie der geplante G-8-Gipfel in Sotschi im Juni sind undenkbar. Es geht dabei weniger darum, Putin zu beeindrucken, als jeden Anschein von Normalität zu vermeiden. Das Kalkül des Kremlchefs, dass sich der Westen ein Weilchen aufregen und dann beruhigen wird, darf nicht aufgehen. Außerhalb der Grenzen der Nato wäre sonst in Osteuropa und Zentralasien niemand mehr vor Putin sicher.

Schwierige Frage nach Sanktionen

Daraus ergibt sich eine der schwierigsten Fragen: die nach Sanktionen. Sie waren gegenüber Staaten mit Schurkenanführern zuletzt häufig das Mittel der Wahl, gelegentlich mit Erfolg. Als Atommacht, als Veto-Staat im UN-Sicherheitsrat und als unverzichtbarer Energielieferant scheint Russland nicht in diese Reihe zu passen. Und in der Tat könnten Sanktionen gegen Russland auch für jene enorm teuer werden, die sie verhängen.

Drehte Russland den Gashahn ab, hätte das erhebliche Folgen für viele Länder Europas. Eines dieser Länder aber wäre Russland selbst. Schon jetzt ist die wirtschaftliche Lage Russlands schwierig. Korruption und Kommandopolitik hemmen die Entwicklung. Sollte Putin nicht zur Besinnung kommen, muss die Europäische Union den Mut aufbringen, ihn und vor allem die mit ihm verbündeten Oligarchen wirtschaftlich unter Druck zu setzen.

Das Europa des Jahres 2014 ist in Gefahr. 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges muss der Kontinent sich seinen Gespenstern stellen. Er hat keine andere Wahl.

© SZ vom 03.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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