Ukraine:Poroschenko warnt vor der Gefahr eines "vollständigen Kriegs"

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Poroschenko wirbt während einer Parlamentssitzung für das Kriegsrecht. (Foto: AFP)
  • Der ukrainische Präsident Poroschenko spricht von einer möglichen Invasion seines Landes durch Russland.
  • Moskau habe die Zahl seiner Panzer an der Grenze verdreifacht.
  • Für die EU steht in dem Konflikt "Aussage gegen Aussage", sagt die Außenministerin Österreichs. Das Land hat den EU-Ratsvorsitz inne.

Von Florian Hassel, Warschau, und Daniel Brössler, Berlin, Berlin/Warschau

Der Präsident stellte die Lage bedrohlich dar. Es gebe, so Petro Poroschenko im ukrainischen Parlament, eine "extrem ernsthafte Gefahr" eines russischen Angriffes auf die Ukraine. "Ich halte ein Geheimdienstdokument in Händen", sagte Poroschenko den Abgeordneten. "Hier steht auf mehreren Seiten eine detaillierte Beschreibung der Kräfte des Feindes, auf einer Entfernung von buchstäblich nur ein paar Dutzend Kilometer von unserer Grenze; in jedem Moment bereit für eine unverzügliche Invasion der Ukraine", warnte Poroschenko, bevor das Parlament der Verhängung des Kriegsrechts zustimmte.

Am Dienstag legte er nach und sagte einem ukrainischen Fernsehsender, die russische Armee habe die Zahl der Panzer entlang der Grenze zur Ukraine verdreifacht. Poroschenko warnte vor der Gefahr eines "vollständigen Kriegs". Auch in Moskau gab es Töne, die man als Aufgalopp zu einem schärferen Konflikt interpretieren könnte. Die Verhängung des Kriegsrechts habe "das Potenzial", die Feindseligkeiten im Osten der Ukraine neu anzufachen, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow.

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"Mir gefällt diese Aggression nicht": Der US-Präsident überlegt nach den neuen Spannungen zwischen Moskau und Kiew, Russlands Präsidenten am Wochenende doch nicht zu treffen.

Dabei sind die Feindseligkeiten auch nach vier Jahren Krieg, mindestens 15 000 Toten und mehr als 35 000 Verletzten nie eingeschlafen. Die Beobachtermission der OSZE freut sich schon, wenn sie im Kriegsgebiet an einem Tag - etwa vom 23. auf den 24. November - allein in Donezk und Lugansk nur 250 Explosionen verzeichnet, weitere Vorfälle wie Minenlegen, das Auftauchen von Raketenwerfern, Panzern oder Nachschub aus Russland nicht mitgezählt. Freitag vergangener Woche: Die Kräfte der Russen und ihrer Stellvertreterarmee beschießen zwei ukrainische Stellungen, die Ukrainer schießen zurück und schätzen die Zahl der Toten auf drei Soldaten beider Seiten nur bei diesem Gefecht.

Nachrichten über Vorbereitungen zu einer neuen russischen Großoffensive aber fehlen: Dass Russland im Westen umfassende Streitkräfte stationiert hat, auch an der Grenze zur Ukraine, ist nicht neu. Im Kiewer Parlament, der Rada, werteten Abgeordnete Poroschenkos Warnung als missglückten Versuch, seiner Verhängung des Kriegsrechts plausibler zu begünden. "Das Ziel dieses Abenteuers war die Verschiebung von Wahlen", kommentierte Parlamentarier Serhii Leschtschenko, nachdem die Rada das Kriegsrecht nur für Teile der Landes und nur bis 27. Dezember statt bis Ende Januar 2019 bewilligt hatte - und dem unpopulären Poroschenko so die Möglichkeit nahm, den Beginn des Wahlkampfes am 31. Dezember und die Präsidentschaftswahl am 31. März zu verschieben.

Unbestritten ist, dass die von Russland beanspruchte alleinige Kontrolle über die Küstengewässer und die Durchfahrt durch die Kertsch-Meerenge schon angesichts der international nicht anerkannten Annexion der Krim illegal ist. Das selbe gilt für die im Mai eröffnete Brücke über die Meerenge, die Russland nun mit der Krim verbindet. Seit Eröffnung der Brücke ist eine 185 Meter breite Öffnung einzige Durchfahrtsmöglichkeit für größere Schiffe in und aus dem Asowschen Meer.

Ukrainer sollen wegen "illegalen Grenzübertritts" vor Gericht

Russland kontrolliert seither rechtswidrig den Schiffsverkehr und hat seine Küstenflotte der Ukraine zufolge auf 120 Schiffe ausgebaut. Das gewaltsame Vorgehen der russischen Küstenwache gegen drei Boote der ukrainischen Marine verstieß sowohl gegen internationales Recht wie gegen einen Vertrag zwischen Moskau und Kiew von 2003. Zugleich ist möglich, dass die Ukraine den Zwischenfall provozieren wollte: So gab der ukrainische Geheimdienst SBU am Dienstag zu, seine Offiziere seien auf den beschlagnahmten Boote gewesen: Sie dürften kaum zur Standardbesetzung kleiner Kanonenboote gehören. Russland will etliche der 24 Ukrainer wegen "illegalen Grenzübertritts" vor Gericht stellen, neun wurden am Dienstag in Simferopol für zwei Monate in U-Haft genommen.

Die EU erwartet mehr Informationen aus Moskau und Kiew. "Gegenwärtig steht Aussage gegen Aussage", sagte Karin Kneissl, Außenministerin Österreichs, das der EU vorsitzt. Zur Frage "Wer hat was wann getan?", habe der Chef des EU-Analysezentrums Intcen, Gerhard Conrad, die Vertreter der EU-Staaten unterrichtet. Intcen führt Geheimdiensterkenntnisse aller EU-Staaten zusammen.

Merkel habe "die Notwendigkeit von Deeskalation und Dialog" betont, so Regierungssprecher Seibert

Die Bundesregierung versucht, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln. Am Montag telefonierte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Poroschenko, am Dienstag mit Kremlchef Wladimir Putin. Merkel habe "die Notwendigkeit von Deeskalation und Dialog" betont, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Merkel und Putin hätten auch "die Option einer Analyse des Vorfalls unter Beteiligung russischer und ukrainischer Grenzschutzexperten" diskutiert.

Außenminister Heiko Maas bot an, die Lage im Normandie-Format zu besprechen. In dem Kreis aus Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland geht es sonst um das Minsker Abkommen zur Befriedung der Ostukraine. Man müsse "alles für eine Deeskalation tun, um zu verhindern, dass aus diesem Konflikt eine noch schwerere Krise für die Sicherheit in Europa wird", so Maas.

© SZ vom 28.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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