Russland:10 000 Rubel für den zweiten Piks

Lesezeit: 2 min

Ein Friedhofsmitarbeiter in Omsk - die Übersterblichkeit in Russland ist extrem hoch. (Foto: AP/AP)

Fast tausend Menschen sterben täglich an Covid-19, so viele wie noch nie in Russland. Grund ist die große Impfskepsis, auf die der alarmierte Staat nun mit ungewöhnlichen Angeboten reagiert.

Von Silke Bigalke, Moskau

Was hat sich Sergej Sobjanin nicht schon alles ausgedacht, um mehr Moskauer zur Impfung zu bewegen. Der Bürgermeister hat Autos verlost unter denjenigen, die sich im Sommer ihre erste Dosis abholten. Als das nicht ausreichte, führte er eine Impfpflicht für viele Berufsgruppen ein. Jetzt nimmt er sich die Senioren vor: Jedem Moskauer über 65 Jahren schenkt die Stadt 10 000 Rubel, etwa 120 Euro, sobald er sich zum zweiten Mal piksen lässt.

Die Impfrate im gesamten Land ist beunruhigend niedrig, und die Zahl der Neuinfektionen alarmierend hoch. Pro Woche würden sich drei Mal so viele Menschen anstecken wie zur selben Zeit vor einem Jahr, warnte Anfang Oktober die zuständige Vize-Premierministerin, Tatjana Golikowa. Noch erschreckender ist die Zahl der Corona-Toten, die seit Wochen fast täglich neue Rekorde erreicht. Inzwischen liegt sie bei knapp tausend Todesfällen am Tag, so hoch war sie seit Beginn der Pandemie noch nie in Russland.

Nun sind die offiziellen Zahlen zwar gerade in den ersten Pandemiemonaten oft künstlich niedrig gehalten worden. Die russischen Corona-Statistiken dürften heute deutlich realistischer ausfallen. Trotzdem werfen sie immer wieder Fragen auf. Auffällig ist beispielsweise, dass die steil steigenden Zahlen erst zum Thema wurden, nachdem der Kreml die Wahl zur Staatsduma gut hinter sich gebracht hatte.

Russland
:Sieg ohne Freudentaumel

Bei der Parlamentswahl in Russland geht die Kremlpartei als klarer Gewinner hervor - auch dank heftiger Manipulationen. Warum die Regierung über das Ergebnis dennoch nicht glücklich sein kann.

Von Silke Bigalke

Laut Behörden sind in Russland inzwischen mehr als 220 000 Menschen an den Folgen von Covid-19 gestorben. Die Übersterblichkeit seit Beginn der Pandemie ist allerdings drei Mal so hoch. Der russische Demograf Alexej Rakscha, der früher die Statistikbehörde Rosstat beraten hatte, stellte eine weitere Rechnung auf: Er geht davon aus, dass die russische Bevölkerung zwischen Oktober 2020 und September 2021 um eine Million Menschen geschrumpft ist, Auswanderer nicht mitgezählt. Es wäre der größte Rückgang in Friedenszeiten.

Nicht mal ein Drittel der Bevölkerung ist geimpft

Als Hauptgrund dafür nennt der Demograf die hohe Sterblichkeit. Und: "Fast der gesamte Anstieg der Sterblichkeit ist auf Covid-19 zurückzuführen", sagte Rakscha der Zeitung Nesawissimaja Gaseta. Mehr Verkehrsunfälle oder Krebstote beispielsweise habe es in dieser Zeit nicht gegeben. Die Sterblichkeit sei dort gestiegen, wo sie "mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht werden konnte: Atemwege, Kreislauf, Diabetes".

Ein Grund für die steigenden Neuinfektionen dürfte die große Impfskepsis der Russen sein. Weniger als ein Drittel von ihnen haben sich eines der russischen Vakzine spritzen lassen, obwohl die meiste Zeit über kein Mangel daran herrschte. Dafür droht der Platz in den Covid-Krankenhäusern nun wieder knapp zu werden, laut Gesundheitsministerium sind aktuell 235 000 der landesweit 255 000 Betten belegt. Das staatliche Raumfahrtunternehmen Roskosmos erklärte sogar, es werde wegen dieser Lage einige Raketentests verschieben. Roskosmos-Chef Dmitrij Rogosin nannte "die wachsende Nachfrage nach medizinischem Sauerstoff zur Behandlung der Kranken" als Grund dafür. Sein Unternehmen spende täglich bis zu 33 Tonnen Sauerstoff an medizinische Einrichtungen.

Von einem neuen Lockdown dagegen ist bisher keine Rede. Die Corona-Regeln in Russland sind seit vergangenem Sommer deutlich lockerer als etwa in Deutschland. Der Kreml hat die Regionen selber über Schutzmaßnahmen entscheiden lassen, viele ließen ihre Geschäfte und Restaurants nicht lange geschlossen. Dafür führen nun immer mehr Regionen eine Impfpflicht ein, zumindest für Berufsgruppen mit viel Kundenkontakt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGesundheitswesen
:Wo der digitale Arztbesuch schon funktioniert

Die Corona-Pandemie hat die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems schonungslos offengelegt. Viele andere Länder sind da schon weiter. Vier Blicke ins Ausland, die sich lohnen.

Von Silke Bigalke, Claus Hulverscheidt, Karin Janker, Alexander Mühlauer und Angelika Slavik

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: