Italien:Aperitivo anarchico

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In Rom nimmt die Außengastronomie leise und kreativ immer mehr Flächen in Beschlag. Nun regt sich Widerstand.

Von Oliver Meiler, Rom

Im ganz Kleinen, man wagt diesen Satz ja kaum laut zu denken, hat die Pandemie auch neue Freiheiten geschaffen, ein bisschen Anarchie. Zum Beispiel in der Außengastronomie. In Rom etwa hat die städtische Verwaltung den Restaurants, den Trattorien und Pizzerien, den Bars und Pubs und Cafés so viel zusätzlichen Ausbreitungsraum ohne Mietaufschlag zugestanden, dass die sich mit ihren Tischen, Sofas und improvisierten Blumentöpfen mit der Zeit immer mehr öffentlichen Boden nahmen. Vor allem im historischen Zentrum wucherten sie bald nicht mehr nur über Piazze und durch Gassen: Über Nacht besetzten sie da und dort auch noch Gehsteige, blaue Parkzonen und Bushaltestellen.

"Dehors" sagen die Italiener mit einer Entlehnung aus dem Französischen, wenn sie die Terrassen der Gastronomiebetriebe meinen. Alles war jetzt draußen, 5000 Lokale nutzten das Angebot. Die Römer besaßen ihre Stadt, im engen Wortsinn. Sommer und Herbst? Sie waren noch schöner als sonst. Ein Hauch Bohème wehte durch Rom, gerade zur blauen Stunde mit orangenem Aperitif.

Wichtig war natürlich - wie in anderen Ländern auch -, dass die Betriebe mit doppelter Kundschaft einen schönen Teil ihrer Ausfälle aus Zeiten der Lockdowns, Shutdowns und Ausgehsperren wieder wettmachen konnten. Das gelang, sagen die meisten. Nun aber ist Winter, und Winter sind auch in Rom kalt, windig, feucht. Viele Restaurants und Bars haben ihre neuen Bewirtungszonen in Plastikplanen gehüllt, zu Zelthütten haben sie sie umgebaut.

Aus dem Draußen wurde ein Pseudodrinnen. Damit man im verpackten Draußen nicht friert, stehen nun überall diese Heizpilze und Flammensäulen, von denen man gerne wüsste, ob sie auch brandtechnisch den Sicherheitsstandards genügen. Interessanter ist die Frage, ob das neue Draußendrinnen nicht die Regelung mit dem "Super Green Pass" unterläuft. Der steht für 2 G und gilt nur für das Drinnendrinnen. Aber was ist mit Draußendrinnen? Es gibt schon Rufe nach strengeren Regeln. Irgendwo hört die Freude an der Anarchie schließlich auf.

Widerstand regt sich auch unter den ständigen Bewohnern des Zentrums. Im Zuge von Gentrifizierung und Airbnbisierung sind die zwar weniger geworden, doch sie mobilisieren sich in militanten Vereinigungen. Besonders aktiv sind etwa die Bürgerbewegung "Emergenza Trastevere" aus dem gleichnamigen Ausgehviertel und der "Verein für eine lebenswerte Stadt" - ein Name, der sich wie ein lohnendes politisches Programm anhört. Mit zwanzig weiteren Gruppen fordern sie die neue, sozialdemokratische Stadtregierung von Bürgermeister Roberto Gualtieri auf, gegen die Wucherung vorzugehen und den öffentlichen Raum wieder öffentlich zu machen. Wenigstens ein bisschen. Bezahlen sollen die Lokale auch, für jeden zusätzlich besetzten Quadratmeter, so würden ihnen die Flausen schon vergehen. Man komme nämlich nicht mehr durch die Straßen, finde keinen Parkplatz, es ist ein Jammer.

Nun, Gualtieri schiebt die Verantwortung auf die nationale Regierung ab, die soll mal entscheiden. Es braucht nur wenig, dann ist die Bohème wieder weg.

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