Rettungsschiff "Aquarius":Ohne Flagge, ohne Hafen

Lesezeit: 3 min

  • Binnen kurzer Zeit verliert das private Rettungsschiff Aquarius erneut seine Flagge.
  • Nach Gibraltar hat ihm nun Panama die Registrierung entzogen. Nach Auskunft der Schiffbetreiber hin soll dies auf Druck Italiens hin geschehen sein.
  • Die Aquarius ist das letzte private Seenotrettungsschiff für Migranten im Mittelmeer.

Von Oliver Meiler, Rom

Der nächste Hafen wird auch der vorläufig letzte sein. Das private Rettung s schiff Aquariu s, betrieben von den humanitären Organisationen "Ärzte ohne Grenzen" und "SOS Méditerranée", verliert in kurzer Zeit zum zweiten Mal seine Flagge. Findet es nicht sehr schnell eine neue Registrierungsheimat, muss es seinen Dienst an den Flüchtlingen in Not zwischen Libyen und Italien einstellen. Es ist das einzige Helferschiff, das geblieben ist im zentralen Mittelmeer.

An Bord befinden sich 58 gerettete Flüchtlinge, unter ihnen Kinder und eine Schwangere. Am Montagabend gaben die beiden Organisationen bekannt, das Schiff sei inzwischen auf dem Weg nach Marseille. Die französische Regierung reagierte zurückhaltend auf die Bitte der Helfer um Anlegeerlaubnis - und erklärte, nötig sei "eine europäische Lösung".

Seenotrettung im Mittelmeer
:Panama entzieht "Aquarius" die Zulassung

Auf Druck Italiens verliert das letzte nichtstaatliche Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer seine Flagge. Die betreibenden Hilfsorganisationen zeigen sich entsetzt.

Die Aquarius fährt erst seit August unter panamaischer Flagge, nachdem Gibraltar sie aus seinem Schifffahrtsregister gestrichen hat. Nun entzieht Panama ihr die Zulassung schon wieder. Die Aquarius sei ein "politisches Problem" geworden, hieß es in der Ankündigung aus Panama. Man sei aufgefordert worden, "sofort" zu handeln, und habe keine Wahl. Die Aufforderung, so geben sich jedenfalls die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) überzeugt, kam aus Italien. Rom habe "starken politischen und wirtschaftlichen Druck" auf Panama ausgeübt. "Der Entzug der Flagge", schreiben die Organisationen, "verurteilt Hunderte Männer, Frauen und Kinder zum Tode, die verzweifelt nach Sicherheit suchen."

Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini stritt am Wochenende ab, Panama zu dem Beschluss gedrängt zu haben. "Ich kenne nicht einmal die Vorwahl für Panama", sagte er. In einem Tweet schickte er hinterher, dass er NGOs, die den Schleppern helfen, fortan wegen Begünstigung illegaler Einwanderung anzeigen werde. Bei anderer Gelegenheit nannte er die Hilfsorganisationen "Taxidienste" und "Vizeschlepper". Beweise, dass sie sich mit libyschen Schleuserbanden absprechen, wie Salvini unterstellt, wurden trotz etlicher Ermittlungen bisher keine gefunden.

Seitdem Italien auf Salvinis Geheiß begonnen hat, die Häfen für Rettungsschiffe zu schließen, haben sich nach und nach alle NGOs aus dem zentralen Mittelmeer zurückgezogen. Die katalanische "Proactiva Open Arms" verlegte ihre Aktivitäten an die Straße von Gibraltar, weil sich ein Teil des Migrationsflusses dorthin verschoben hat. Die Boote der maltesischen Organisation "Migrant Offshore Aid Station" kreuzen vor Myanmar und Bangladesch. Die Sea Watch 3 und die Lifeline liegen beschlagnahmt in Malta vor Anker. Auch die Iuventa der deutschen Organisation "Jugend Rettet" sitzt schon lange fest.

Die Migranten verkamen zum Spielball europäischer Divergenzen

Die Aquarius operierte als letztes Schiff. Es hatte seine Mission im Februar 2016 aufgenommen und hat seither nach Angaben der Betreiber mehr als 29 000 Migranten aus Seenot gerettet. International bekannt wurde das Schiff aber erst im vergangenen Juni. Damals beschloss Salvini, kaum im Amt, an der Aquarius ein politisches Exempel zu statuieren. Die Welt sollte erfahren, dass die neue italienische Regierung nicht mehr bereit sein würde, alle Zuwanderer aufzunehmen, die Europa auf dieser Route ansteuern, nur weil Italien geografisch gerade am nächsten liegt. Es folgte ein trübes Hin-und-Her. Die Migranten verkamen zum Spielball europäischer Divergenzen.

Erst nach tagelangen Polemiken fand sich in Valencia ein Anlandehafen für die 629 Migranten. Die Aquarius wurde Symbol der Politik der geschlossenen Häfen. Wochenlang lag sie im Hafen von Marseille, bevor sie im August unter neuer Flagge ihre Einsätze wieder aufnahm. Bei ihrer jüngsten Mission nahm die Aquarius Menschen auf, die auf zwei Gummibooten unterwegs waren. Wo genau, darüber gibt es jetzt Streit.

Die Italiener behaupten, die Aquarius habe die Migranten in libyschen Gewässern gerettet und sich geweigert, sie der libyschen Küstenwache zu übergeben. Der Kapitän des Schiffes aber beteuert, die Rettungsaktionen hätten sich in internationalen Gewässern zugetragen. Zudem respektiere man stets alle technischen und juristischen Standards. Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée appellieren nun an "europäische Regierungen", damit die sich bei Panamas Schifffahrtsbehörde für sie einsetzten oder eine neue Zulassung eines anderen Landes begünstigten. Salvini twitterte, die Aquarius sei ein "Geisterschiff".

Italiens Kabinett billigte nun sein Gesetzesdekret zu "Immigration und Sicherheit", das den Umgang mit Flüchtlingen weiter verschärfen soll. Besonders brisant ist der Passus, in dem es heißt, strafrechtlich angeklagte Migranten sollten aus dem Land geworfen werden, schon bevor sie rechtskräftig verurteilt sind. Gut möglich, dass der Artikel verfassungswidrig ist. Staatspräsidium und katholische Bischofskonferenz sind schon besorgt. Am Ende trugen aber auch die Regierungspartner der Cinque Stelle Salvinis Dekret mit, obschon manche unter ihnen die Linie als allzu hart und herzlos empfanden.

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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