Porträtserie "Sie sind das Volk":"Sachbeschädigung" gegen "Polizeigewalt"

Lesezeit: 8 min

Was meint sie damit? "Die Polizei ist dazu da, eine Ordnung zu schützen, die ich ablehne. Deswegen steht sie manchmal zwischen mir und meinem Ziel, diese Ordnung zu beseitigen. Sie ist aber selbst nicht das Ziel." Für den einzelnen Polizisten mag es keinen Unterschied machen, ob er selbst das Ziel ist oder einfach nur zum Ziel wird, weil er seinen Job macht. Für Rehzi Malzahn macht es einen Unterschied. "Wenn es in einem angemessenen Verhältnis steht, kann ich es vertreten, wenn es bei Protesten mal heftiger wird", sagt sie.

Von "Gewalt" auf Seiten der Hamburger Demonstranten will Rehzi Malzahn aber bei aller Kritik nicht sprechen, allenfalls von Sachbeschädigung. Anders als die Hamburger Einsatzleitung. Sie meldete 231 verletzte Polizisten in der heißen Einsatzphase, also um die Ausschreitungen herum. Den Polizeieinsatz wiederum kritisiert Rehzi Malzahn mit der Bezeichnung, die Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz als "politischen Kampfbegriff" zurückgewiesen hat: "Das war ein Ausmaß von Polizeigewalt, wie ich es in Deutschland noch nie erlebt habe." Umstritten ist der Polizeieinsatz nicht nur in linksradikalen Kreisen, die politische Aufarbeitung des ganzen G20-Chaos hat gerade erst begonnen.

Linke Gruppen, die sich nach dem G20-Gipfel von Gewalt auf seiten der Demonstranten distanzierten, greift Malzahn harsch an. Zum Beispiel Campact, die die Ausschreitungen "dumm" und "kriminell" nannten. "Muss ich mich wirklich derart über 25 abgebrannte Autos aufregen, während Trump, Erdoğan und Putin 500 Meter Luftlinie entfernt sitzen?", sagt sie. Die Kritisierten finden jedoch, dass die Ausschreitungen gerade denjenigen nützten, die die Demonstranten eigentlich kritisieren wollten. Ein US-Präsident wie Donald Trump oder ein Autokrat wie der russische Präsident Wladimir Putin "werden diebische Freude an den Bildern von Hamburg haben," schreiben Campact. Denn zuhause könnten sie sie als Rechtfertigung für eine Unterdrückung von Protesten benutzen.

Wo sind die Grenzen der Radikalität?

Und es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob die Autos stinknormaler Schanzen-Bewohner wirklich das richtige Ziel sind, um gegen Trump, Erdoğan und Putin zu kämpfen. Und ob man nicht Politik der Genannten kritisieren kann und gleichzeitig das Abbrennen von Autos. Dazu sagt Rehzi Malzahn: "Ich respektiere das, wenn jemand sagt: Ich kann es nicht mit meinen Werten vereinbaren, wenn bei so einer Aktion unbeteiligte Menschen beeinträchtigt werden." Doch sie könne auch die Wut, die zum Beispiel ein griechischer Jugendlicher auf die deutsche Regierung habe, verstehen, dass dieser "aus einer anderen Verzweiflung heraus" kämpfe.

Sie findet außerdem, dass die Verhältnisse Widerstand rechtfertigen, der über das Hochhalten von Plakaten hinausgeht: Blockaden zum Beispiel oder Hausbesetzungen. Und das nicht erst seit Kurzem. Sie habe schon als Kind die Nachrichten kaum ertragen. "Ich erinnere mich, wie ich einmal im Radio hörte, dass die brasilianische Regierung weiter den Regenwald abholzen will. Ich bin weinend zusammengebrochen", sagt sie. Um die Jahrtausendwende hörte sie das erste Mal von Attac, der Anti-Globalisierungsbewegung. Sie studierte da gerade in München Geografie. Bei einem Konzert gegen Abschiebung traf sie Leute, die sie zu einer Demo gegen Nazis einluden.

Wenig später fuhr sie mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten zum G8-Gipfel in Genua. Dort kam es zu Straßenschlachten zwischen Polizei und Aktivisten, Hunderte Menschen wurden verletzt, ein Demonstrant von der Polizei erschossen. "Ich weiß noch, dass wir schon hingefahren sind mit dem Bewusstsein: Es wird jemand sterben." Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat Italien erst kürzlich wegen der Gewalt von Polizisten gegen Demonstranten verurteilt.

Mit 30 steigen viele aus der Szene aus

Ein Toter, so viele Verletzte, so viel Gewalt - und doch findet Rehzi Malzahn, dass die Demonstranten damals ihr Ziel erreicht haben: "Plötzlich sprach alle Welt über die Ziele der Anti-Globalisierungsbewegung. Es hatte sich ein riesiger Erregungskorridor geöffnet." Doch kurz danach kamen der 11. September und mit ihm umstrittene Überwachungsgesetze. Rehzi Malzahn schmiss ihr Studium. "Ich hatte den Eindruck, die Welt geht kaputt - und wir machen Verkehrszählungen in Kleinstädten", sagt sie. Seitdem lebt sie von Aushilfsjobs, in besetzten Häusern, in WGs, von Demo zu Demo, von Aktion zu Aktion.

Dass sie heute, mit 38 Jahren, immer noch dasitzt und sich als linksradikal bezeichnet, ist ungewöhnlich. Die radikale Linke ist traditionell eine Jugendbewegung, nur wenige bleiben so lange dabei wie Rehzi Malzahn. Mit Ende 20 wollen auch viele Linke endlich mal Geld verdienen, bekommen Kinder, ziehen in bessere Wohnungen, treffen im Büro und im Kindergarten ganz andere Leute, "auf einmal ist dann wichtiger, was die Kolleginnen über einen denken als die Genossinnen", so beschreibt es die Aktivistin. Das Thema treibt sie so um, dass sie im vergangenen Jahr ein Buch über diejenigen schrieb, die die linke Szene nicht verlassen haben. Es heißt "dabei geblieben".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema