Porträtserie "Sie sind das Volk":Wenn schon sterben, dann im Frühling

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Florida Eis Geschäftsführer Olaf Höhn (Foto: dpa)

Olaf Höhn hat mit seiner Firma Florida Eis Millionen verdient. Steuern? Zahlt er gern. Doch der Mittelständler fürchtet um sein Lebenswerk. Warum, erzählt er in der ersten Folge unserer Reportageserie "Sie sind das Volk".

Von Jakob Schulz, Berlin

Seinen Tod verbindet Olaf Höhn mit einer Hoffnung. Wenn er schon sterben müsse, sagt der 67-Jährige, dann am besten im April. Spätestens im Mai. Auf keinen Fall aber im Oktober. Dann nämlich wäre sein Lebenswerk in Gefahr. Höhn ist Chef von Florida Eis. Sein Geschäft mit der Herstellung von Eiscreme folgt dem Lauf der Jahreszeiten. Im Frühjahr sind die Konten leer. Nach dem Sommer sind sie voll. Der Puffer muss den Winter über reichen. Sollte Höhn nun unglücklicherweise im Herbst "die Augen zumachen", wie er sagt, dann liefe sein Sohn Gefahr, auf diese Reserven Erbschaftsteuer zahlen zu müssen. Was, wenn die Banken dem jungen Firmenerben die dafür nötigen Kredite verweigerten? Eine Frage, die Höhn umtreibt.

"Wer unten liegt, kann nicht mehr kieken", sagt der Unternehmer. Anders gesagt: Was nach seinem Tod mit Florida Eis passiert, kann er nicht mehr beeinflussen. Höhn will das nicht akzeptieren. Er mag Familienunternehmer sein, ein Familienmensch im üblichen Sinne ist er nicht, Ehefrau und Sohn zum Trotz. "Die Firma ist mein Kind, mein Hauptkind", sagt er. Der Gedanke, dass seine Familie die geliebte Firma durch hohe Erbschaftsteuerzahlungen verlieren könnte, ist ihm unerträglich. Seit einigen Jahren wird in Deutschland diskutiert, ob Erben von Familienunternehmen bevorzugt werden. Höhn sieht das ganz anders. Er denkt: Unternehmenserben müssten besser vor dem gierigen Staat geschützt werden.

Vieles in der Manufaktur hat Höhn selbst konstruiert

Olaf Höhn ist seit mehr als 30 Jahren Eisunternehmer. 1985 übernimmt der studierte Maschinenbauingenieur eine kleine Eisdiele in Berlin-Spandau. Anfangs hat er zwei Angestellte. Vanille, Erdbeere, Stracciatella - das Eis rührt er noch selbst an, beschriftet unzählige Eispackungen von Hand. Bald eröffnet er weitere Filialen, liefert sein Eis an Supermärkte, baut schließlich eine eigene Eismanufaktur. Das Geschäft floriert. Heute beschäftigt Florida Eis 260 Mitarbeiter und macht mit der Produktion von Speiseeis und zwei eigenen Cafés mehr als elf Millionen Euro Umsatz im Jahr. In Berlin gilt Höhn als erfolgreicher wie umweltbewusster Vorzeigeunternehmer, Bürgermeister und Minister kommen regelmäßig zu Besuch. Höhn ist stolz darauf, was er geschaffen hat.

Das Förderband in seiner Produktionshalle hat der Ingenieur selbst konstruiert, ebenso die mannshohen, metallenen Tanks, in denen pro Stück 350 Liter Eiscreme angerührt werden. Am Förderband stehen Höhns Angestellte, sie füllen Eis in Becher, rösten Nüsse und rühren Kirschen in frische Eiscreme. Zwei Türen weiter, im Lager, tragen die Mitarbeiter bei minus 20 Grad Celsius Winterstiefel und Thermoanzüge. Trotz der Kälte referiert Höhn über die Schicht aus Glasschaumschotter, die unter dem Betonboden liegt. Das Material wird aus recycelten Glasflaschen hergestellt. Das erspare ihm nicht nur eine teure Fußbodenheizung, sondern pro Jahr auch noch bis zu 100 000 Kilowattstunden Strom.

Unternehmer Olaf Höhn, "Ein Familienunternehmen entwickelt einen gewissen Stolz" (Video: Süddeutsche Zeitung)

Seit gut vier Jahren arbeiten die Mitarbeiter von Florida Eis auf dem Areal im westlichsten Zipfel der Hauptstadt. In dem zweigeschossigen Gebäude manifestiert sich Höhns Spleen für Technologie, Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Auf dem Dach sind Photovoltaik und Solarthermieanlagen installiert, eine Anlage wandelt Wärme in Kälte um, die Heizung läuft mit Holzpellets. Die vielen Laster werden auf dem Hof über Nacht heruntergekühlt, brauchen unterwegs also keinen ständig laufenden Kühlkompressor. Das Ziel: weitgehend CO2-neutral arbeiten. Obwohl das Unternehmen heute viel größer ist als früher, sei die Stromrechnung nicht gestiegen. Mittlerweile arbeitet Florida Eis in einem E-Mobilität-Forschungsprojekt mit einem Fraunhofer-Institut und drei Universitäten zusammen. Den Traum der grünen Manufaktur hat sich der 67-Jährige etwas kosten lassen. Sogar seine Rente habe er sich auszahlen lassen, um die Hallen und Büros zu finanzieren, sagt er.

Olaf Höhn fällt es schwer, sein Unternehmen an die nächste Generation abzugeben. Nicht weil er an seinem Sohn Björn zweifelt: Der 35-Jährige ist als künftiger Chef fest eingeplant, er kümmert sich schon heute um das Marketing. Höhn sorgt sich vielmehr, dass die Erbschaftsteuer die Firma in die Knie zwingen könnte. Er wird laut: "Wer hat denn das Erbrecht entwickelt? Die haben von der Praxis keinerlei Ahnung", schimpft er.

Wird derzeit in Deutschland ein Familienbetrieb vererbt, reduziert sich die Arbeit der Unternehmerfamilie auf eine einzige Zahl: den geschätzten Wert des Betriebs: Abhängig davon entscheidet sich, wie viel Erbschaftsteuer für die Firmenerben fällig wird.

Olaf Höhn über die Erbschaftsteuer, "Hier ist man falsch beraten worden" (Video: Süddeutsche Zeitung)

Genau das ist in Deutschland seit einiger Zeit ein Politikum. 2014 bemängelte das Bundesverfassungsgericht, dass Unternehmenserben gegenüber anderen Erben bevorzugt werden und forderte Änderungen. Seit einer Reform im vergangenen Jahr sollen Steuertricks schwieriger sein. Nach wie vor aber bleiben Betriebsvermögen bis 26 Millionen Euro pro Erbe steuerfrei, wenn die Belegschaft über einen bestimmten Zeitraum erhalten wird. In jedem Fall voll besteuert wird Betriebsvermögen erst ab 90 Millionen Euro pro Erbe. Unter dieser Grenze liegen in Deutschland aber 99 Prozent der Familienunternehmen. Kritiker bemängeln deshalb, dass die meisten Unternehmenserben weiter viel zu gut wegkommen. Im Bundestagswahlkampf haben sich einige Parteien dazu positioniert. Die Grünen kritisieren, dass noch immer zu viele Unternehmenserben von Steuerfreiheit profitieren und streben deshalb eine nochmalige Reform an. Auch die SPD will sehr große Erbschaften stärker besteuern.

Höhn will als Macher gesehen werden, nicht als Gourmet

Olaf Höhns Meinung dazu: Alles viel zu kompliziert, kurz gesagt "Murks". Ein Familienunternehmen ist für den 67-Jährigen mehr als nur die Summe aller Maschinen, Mitarbeiter, Gebäude und Investitionen. Jahrzehntelanger Fleiß, Einsatz und Herzblut lassen sich schlecht in Zahlen fassen, findet er. Sein Standpunkt: Ein Unternehmen bedeutet für einen Erben keinen unverdienten Reichtum, sondern vor allem eine Verpflichtung; gegenüber der Familientradition und gegenüber den Mitarbeitern und deren Familien. Wie das Erbrecht stattdessen aussehen soll? Eine ausgereifte Alternative kann Höhn nicht anbieten, nur einen Ansatz. Statt die Erbschaftsteuer gesondert zu zahlen, könnte ein bestimmter Teil des Unternehmenswerts auf mehrere Jahre verteilt auf die Einkommensteuer des Erben umgelegt werden, schlägt Höhn vor. Dann müsste der Erbe für die fällige Steuer keinen Kredit aufnehmen.

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Nach aktuellem Stand könnte es sein, dass das durchdachte Gebäude, der energieeffiziente Fuhrpark und die ausgeklügelten Anlagen von Florida Eis den geschätzten Wert des Betriebs nach oben treiben. Und je höher der Unternehmenswert, desto höher auch die möglichen Erbschaftsteuerzahlungen für seinen Sohn, fürchtet Höhn. "Schön blöd, der alte Herr Höhn, hätte er nur mal eine Blechhalle hier hingestellt, da käme auch Eis raus", grummelt der Unternehmer. Trotzdem muss er zugestehen, dass Florida Eis von den derzeit geltenden Verschonungsregeln für Firmenerben profitieren dürfte. Je nachdem, wie hoch der Wert des Unternehmens letztlich geschätzt wird, muss sein Sohn unter Umständen keinen Cent Steuern zahlen. So ist der Eisunternehmer auch im weiteren Sinne ein typischer mittelständischer Familienunternehmer: Viele von ihnen empören sich über die Erbschaftsteuerregelungen, tatsächlich betroffen dürften letztlich aber die wenigsten sein.

Zuletzt hat ein TV-Sender Höhn gefragt, ob er im Fernsehen Eis verkosten wolle. Das hat er abgelehnt, sein Bild in der Öffentlichkeit ist ihm wichtig. Er will nicht als Gourmet wahrgenommen werden, sondern als umweltbewusster Macher. Nach Feierabend holt er sich oft ein Vanilleeis aus dem Lager und setzt sich in Ruhe in sein Büro. Dort kann er nachdenken. Über seine schlaue Kühltruhe, die sich meldet, wenn wieder Florida-Eis nachgefüllt werden muss. Oder über sein jüngstes Projekt: eine wirklich CO2-neutrale Fabrik. Ein Modell davon steht auf dem Konferenztisch. In fünf Jahren soll das neue Gebäude stehen. So lange will er noch weiterarbeiten. Mindestens.

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