Reha für Gotteskrieger:Mit Maltherapie Köpfe und Herzen gewinnen

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Eine Kombination aus Angebot und Drohung: In einem saudischen Camp bekommen Terroristen die Möglichkeit, sich zu rehabilitieren.

Tomas Avenarius, Kairo

Gedruckt auf Büttenpapier, den Einband zieren goldene Lettern. Normalerweise liegen solche Broschüren in Juwelierläden aus, in denen die Eingangstüren nur auf Klingeldruck aufgehen und Armbanduhren 3500 Euro kosten.

In den saudischen Umerziehungsprogrammen wird den ehemaligen Al-Qaida Terroristen und Guantanamo-Häftlingen der "wahre Inhalt" des Islam gezeigt. (Foto: Foto: AFP)

Aber Geld spielt beim saudischen Umerziehungsprogramm für Al-Qaida-Terroristen keine Rolle, was sich auch am Selbstdarstellungsprospekt des "Prinz-Mohamed-bin-Naif-Zentrums für Hilfe und Betreuung" zeigt. Mit Hilfe von Psychologen, Islamgelehrten, Sicherheitsexperten und Sozialarbeitern sollen hier ehemalige Gefolgsleute von Osama bin Laden wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.

"Eine neue Idee fürs Leben"

Mit einigem Erfolg: Die Rückfallquote ist niedriger als in westlichen Resozialisierungseinrichtungen für normale Kriminelle, wie die saudischen Verantwortlichen betonen. Doch jetzt stellte sich heraus, dass auch mindestens zwei der Hintermänner des gescheiterten Flugzeugattentats von Detroit die Besserungsschule durchlaufen haben. Ein US-Sicherheitsexperte urteilte: "Diese Programme sind ein Witz."

Das Prinz-Naif-Zentrum am Stadtrand der saudischen Hauptstadt Riad wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Gefängnis: hohe Mauern, Stacheldraht, Suchscheinwerfer. Dahinter liegen flache Gebäude ohne Gitter vor den Fenstern, ein Sportplatz, eine Moschee. Auf dem Rasen steht eine Gruppe Betreuer mit zwei ehemaligen Guantanamo-Häftlingen in der Sonne und betet das islamische Abendgebet.

Der Umgangston zwischen Betreuern und Betreuten ist locker. Abdul Hakim al-Buchari sagt: "Nach sechs Jahren in Guantanamo nenne ich das hier ein Erholungsheim. Hier haben sie uns neue Lebenskraft gegeben und eine neue Idee für unser Leben."

Therapieangebote für die Familie

Das Besserungsprogramm beruht auf zwei Annahmen. Die erste: Eine Ideologie wie die der al-Qaida lässt sich nur mit einer "überzeugenden Gegenideologie" bekämpfen, wie der für die Islam-Erziehung zuständige Scheich Achmed Hamid Dschelani sagt: "Im Zentrum der Al-Qaida-Ideologie steht ein verzerrter, falscher Islam. Also unterrichten wir die Leute über den wahren Inhalt unserer Religion."

Die zweite: Kern der saudischen Gesellschaft ist die Großfamilie. Um Gewalttäter in die Pflicht zu nehmen, muss der gesamte Clan für das Handeln des Ex-Militanten mitverantwortlich sein. Weshalb die mehrmonatigen Programme mehr bieten als Koranunterricht und theologische Debatten über den Dschihad. Der Militante wird wieder in die Familie integriert, diese in die "Therapie" mit einbezogen: Die Rückkehr in den Untergrund würde die Familie entehren.

So ist das saudische Resozialisierungsprogramm eine Kombination von Angebot und Drohung, ausgestreckter Hand und erhobener Faust: Therapieangebote für die ganze Familie und Sippenhaftung für Väter, Brüder und Cousins, falls der ehemals verlorene Sohn doch wieder aus dem Ruder läuft.

Islam-Unterweisung und Rehabilitation

Wer mitmacht, findet zurück in die Gesellschaft. Wer sich verweigert, bleibt hinter Gittern. Neben der Islam-Unterweisung kommt das klassische Repertoire westlicher Drogen- und Alkoholentziehungs- und Rehabilitationsprogramme zum Einsatz: Gesprächsgruppen, Psychodrama, Maltherapie, Einzelbetreuung. Häufig fallen Begriffe wie Vertrauensaufbau, Selbstkritik, Persönlichkeitskontrolle.

Zugelassen wird nur, wer seine Haftstrafe abgesessen hat und freiwillig teilnimmt. Der Aufenthalt im Reha-Zentrum selbst ist zeitlich unbegrenzt: Erst wenn das Expertenteam den Ex-Militanten für ungefährlich erklärt, kommt dieser frei, ansonsten bleibt er in Haft. Der Scheich sagt: "Wir geben den Klienten Urlaub, lassen sie an Wochenenden das Leben in Freiheit ausprobieren. Sie können uns Tag und Nacht anrufen, wenn sie Probleme haben."

Neben lokalen Militanten aus Saudi-Arabien haben die Behörden inzwischen auch frühere Guantanamo-Häftlinge in das Reha-Programm geschickt. Mit begrenzten Erfolgen: Deren Rückfallquote ist mit 18 Prozent weit höher als die der einheimischen Terroristen. Von denen suchen nur fünf Prozent wieder Kontakt zu anderen Militanten.

Umstrittene saudische Programme

120 Häftlinge aus Guantanamo sind inzwischen nach Saudi-Arabien zurückgekehrt. Manche hatten sechs oder sieben Jahre in dem berüchtigten US-Gefangenenlager gesessen. Ihre Ankunft erinnerte an einen Staatsempfang: Kaum war der Jumbo-Jet der saudischen Luftlinie am Flughafen zum Stehen gekommen, schüttelte der für die innere Sicherheit des Landes verantwortliche Prinz Mohamed bin Naif jedem einzelnen Terroristen die Hand.

Scheich Dschelani rezitierte aus dem Koran. Ein Ärzteteam untersuchte die ausgemergelten Gestalten, gab Spritzen und Energiegetränke. Der im Innenministerium für das Programm zuständige Beamte betont dennoch: "Nein, wir haben sie nicht als Helden begrüßt. Diese Männer sollen dankbar sein, dass sie dank der Hilfe ihrer Regierung wieder zu Hause sind."

Die saudischen Programme sind umstritten. Zum einen korrigiert die Regierung nur, was sie vor 30 Jahren falsch gemacht hat. Die Radikalisierung der saudischen Gesellschaft war von oben angeordnet: Mit dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979 schickte die Regierung Tausende Saudis in den Heiligen Krieg, um sie von Kritik am Königshaus und der Idee auf einen Untergrundkampf im eigenen Land abzuhalten.

"Im Kampf gegen den Terror braucht es Härte"

Mit staatlicher Billigung und dem Segen der wahhabitischen Islamgelehrten wurde so die Keimzelle für al-Qaida gelegt. Die Folge davon bekam das Land zu spüren, als sich die aus den Kriegen in Afghanistan und Bosnien heimgekehrten Dschihadis gegen ihre Regierung stellten.

Zum anderen zweifeln viele, dass sich Terroristen mit Maltherapie und theologischen Debatten in ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft verwandeln lassen. Scheich Dschelani sagt: "Im Kampf gegen den Terror braucht es Härte. Aber man darf auch die Wirkung weicher Methoden nicht unterschätzen. Wir wollen Köpfe und Herzen gewinnen." Fünf weitere Reha-Zentren sollen gebaut werden: mit Gebetsräumen, Swimmingpools, Jacuzzi-Bädern und Computerräumen.

© SZ vom 31.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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