Regierungskrise in Italien:Wenn ein Land kopflos wird

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Berlusconis Erfolg bei der Vertrauensfrage kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Italiens Ministerpräsident ausgelaugt ist und die Zersetzungserscheinungen bei seiner Partei dramatisch sind. Er muss gehen, und mit ihm sollte eine ganze Politikergeneration abtreten. Allerdings wäre es ungefährlicher, der "Cavaliere" würde noch ein ganz klein bisschen bleiben.

Andrea Bachstein, Rom

Silvio Berlusconi zeigt sich wieder einmal als Sieger: Noch einmal hat er den Kopf aus der Schlinge gezogen mit einer gewonnenen Vertrauensabstimmung im italienischen Abgeordnetenhaus. Die Schlinge hatte er ganz und gar selbst geknüpft, und gewonnen hat er höchstens eine neue, kurze Frist für seine längst angezählte Regierung. Eine Pause bis zum nächsten "Unfall" einer parlamentarischen Niederlage, dem dann wohl wieder ein Vertrauensvotum folgen wird.

Ideenlos und ausgelaugt: Silvio Berlusconi bleibt nur noch eine Gnadenzeit als Ministerpräsident. (Foto: AP)

Das Votum vom Freitag war eine nur mit größter Anstrengung erreichte Vertuschung der wahren Verhältnisse. Denn das Vertrauen für Berlusconi ist zerbrechlich, wie die Mehrheit, auf die sich der Premier für den Augenblick stützen kann. In Wahrheit hat nicht nur der große Teil der Bürger kein Vertrauen mehr in den Ministerpräsidenten, auch vielen Mandatsträgern in seiner Partei PDL ist es längst abhandengekommen.

Einige von ihnen haben denn auch drohend klargemacht, dass sie Berlusconi jetzt nur noch eine Gnadenzeit gewähren, dass sie den Daumen auch senken könnten. Die Geduld ist selbst bei langen Getreuen erschöpft, mit Berlusconis unendlichen privaten Sexaffären, mit dem Premier, der nicht handelt. Der Woche um Woche verstreichen lässt, während der dramatischen Finanzkrise, die Italien mit seinen Staatsschulden von 1900 Milliarden Euro besonders trifft.

Freunde wie Gegner Berlusconis wissen dabei ganz genau, dass der Premier selbst ein nicht unwesentlicher Grund dafür ist, warum in der Europäischen Union und auf den Weltmärkten nur noch so wenig Vertrauen in Italien herrscht. Dass Italien unter diesem Regierungschef in Agonie verfallen ist, daran herrscht kein Zweifel mehr, nur der Tag des Endes der Ära Berlusconi steht noch nicht fest.

Der 75-Jährige hat seit seinem Eintritt in die Politik im Jahr 1994 nichts von seinen großen Reformvorhaben realisiert, und er wird es auch nicht mehr schaffen, selbst wenn er sich noch bis 2013 über die Runden hangeln sollte. Es ist offenkundig, dass er keine Antworten hat für die in Italien immer lauter gestellte soziale Frage, kein Ohr für den immer heftigeren Protest junger Italiener, die sich betrogen fühlen von der Politik.

Nicht nur Berlusconi selbst wirkt ausgelaugt und ideenlos, auch seine zerschlissene Partei ist verbraucht. Sie zeigt galoppierende Zerfallserscheinungen, weil ihr Daseinsgrund Berlusconi eigentlich erledigt ist. Die PDL splittert sich auf in widerstreitende Gruppen, die verzweifelt das Schiff vor dem Sinken retten wollen, damit sie nicht selbst untergehen. Aber auf welchem Kurs und mit welchem Kapitän das gehen sein soll, weiß keiner.

Irrwitziges Tempo

Auch der Koalitionspartner Lega Nord kämpft mit inneren Verwerfungen. Beide Regierungsparteien sind mit sich selbst beschäftigt, während das Land mit einer tiefen wirtschaftlichen, politischen und moralischen Krise ringt. Es wäre dringend an der Zeit, dass nicht nur der gescheiterte Silvio Berlusconi endlich den Weg freimacht für eine Erneuerung der Politik. Mit ihm müsste quer durch die Parteien eine ganze Generation von Politikern abtreten, Politiker, die seit Jahrzehnten das italienische Kasten- und Gefälligkeitssystem betreiben.

Nur was geschieht, wenn der Premier plötzlich wirklich geht, oder gehen muss? In seiner PDL gibt es keinen starken Nachfolger. Die Opposition bietet weder personell noch inhaltlich glaubwürdige Alternativen an. In Zeiten, in denen die Finanzpolitik das irrwitzige Tempo des Handelns vorgibt, dürfte eine größere Regierungsumbildung kaum für eine Beruhigung sorgen. Aber auch Neuwahlen mit einem zeitraubenden Wahlkampf kommen da nicht wirklich gelegen. Auch das gehört zur tristen politischen Wirklichkeit Italiens: Selbst wenn man Berlusconis Abgang herbeisehnt, vielleicht wäre es tatsächlich weniger gefährlich, wenn er noch ein bisschen bleibt. Aber nur ein bisschen.

© SZ vom 15.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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