Regierungsbildung:SPD drückt gleichzeitig aufs Gas und auf die Bremse

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Schulz dementiert Gerüchte, nach denen er in Sondierungsgespräche mit der Union eingewilligt habe. (Foto: dpa)
  • Die Sozialdemokraten wollen mit der Union über eine mögliche Regierungsbeteiligung sprechen.
  • SPD-Chef Martin Schulz dementiert aber nach dem Treffen mit den Chefs der Union Berichte, wonach er bereits in Gespräche über die große Koalition eingewilligt habe.
  • Ein Parteitag soll Ende nächster Woche den Kurs der SPD festlegen.

Von Nico Fried, Berlin

Dieser Mann hat's eilig. Er war der Sozialdemokrat, der nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen von der SPD am vehementesten Bewegung forderte. Er hat sie bekommen. Am Freitag plädierte er dann noch vor der Sitzung der SPD-Spitze dafür, politische Projekte umzusetzen, wenn man die Chance dafür habe. Das wurde ihm zurecht als Bereitschaft auch für eine große Koalition ausgelegt. Johannes Kahrs, der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, ist seiner Parteiführung derzeit immer mindestens eine Nasenlänge voraus und treibt die Sozialdemokraten so vehement in Richtung Regierungsbeteiligung, dass man fast meinen könnte, er wolle noch was werden.

Am Freitagmittag sieht es kurze Zeit so aus, als habe auch der SPD-Vorsitzende Martin Schulz inzwischen Kahrs' Entschlossenheit übernommen. Da kursiert eine Meldung der Bild-Zeitung, die den Eindruck erweckt, Schulz habe beim Treffen mit Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagabend bereits eingewilligt, Gespräche über ein große Koalition zu führen. "Grünes Licht für GroKo", lautet die Überschrift. Stimmt nicht, so Schulz, als er am Mittag vor die Presse tritt. Er ist sauer und macht Unions-Kreise für die Falschmeldung verantwortlich.

Etwa drei Stunden hat der Parteivorsitzende am Vormittag mit dem SPD-Präsidium getagt. Er habe eine "breite Unterstützung" dafür bekommen, mit Blick auf die Regierungsbildung "keine Option auszuschließen", sagt Schulz. Weiter kann er sich derzeit noch gar nicht vorwagen, selbst wenn er es wollte. Denn noch ist die Stimmung in der Partei eher kritisch gegenüber einer großen Koalition. Wenn der Eindruck entstünde, die SPD-Spitze um Schulz oder gar der Vorsitzende alleine schaffe Fakten, dann würde Schulz riskieren, auf dem am Donnerstag beginnenden Parteitag in Berlin sang- und klanglos unterzugehen.

Deshalb ein klares Dementi. Er habe Merkel deshalb auch angerufen. Die Verbreitung solcher Falschmeldungen sei inakzeptabel und zerstöre Vertrauen. Die Kanzlerin habe ihm in dem Telefonat bestätigt, dass alle drei Parteivorsitzenden in dem Einvernehmen Schloss Bellevue verlassen hätten, es werde ergebnisoffene Gespräche geben. Wobei es kein Geheimnis ist, dass Merkel, Seehofer und wohl auch Steinmeier eine große Koalition und damit eine stabile Regierung schon mit Blick auf die internationale Rolle Deutschlands einer wie auch immer gearteten Minderheitsregierung klar vorziehen. Gleichwohl schickt die CDU-Vorsitzende später auch noch ihren Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler vor die Mikrofone, um Schulz' Version zu bestätigen. Die CDU sei bereit, über eine große Koalition zu sprechen, gibt er den Tenor einer Schaltkonferenz der Parteispitze wieder. Aber es gelte jetzt abzuwarten, "wie die SPD sich positioniert". Soll heißen: Es ist noch nicht so weit.

Wie genau die anderslautende Meldung zustande kam und wer damit womöglich auch einer Annäherung von Union und SPD schaden wollte, darüber weigert sich Martin Schulz zu spekulieren. Das müsse man Frau Merkel fragen. Das ist wohl als Anspielung darauf zu verstehen, dass eine große Koalition im Merkel-kritischen Lager der CDU auch keine Begeisterungsstürme hervorruft. Jene, die genug haben von ihrer Kanzlerschaft, sähen am liebsten eine Minderheitsregierung mit einer wackeligen Regierungschefin, weil das die Option baldiger Neuwahlen erhöhen würde - ohne eine Kanzlerkandidatin Merkel. In einer großen Koalition hingegen hätte Merkel durchaus die Chance, noch einmal vier Jahre zu regieren.

Als nächstes passiert nun erst einmal wieder einige Tage nichts. Oder jedenfalls nicht viel. Die SPD bereitet einen Antrag für den Parteitag vor, mit dem sie sich ihren vorsichtigen Kurs von der Basis genehmigen lassen will. Nach dem SPD-Parteitag soll es dann eine Vorstandssitzung der CDU geben, um die Lage zu bewerten. Und danach läuft es dann sehr wahrscheinlich so, wie es Kahrs empfohlen und Schulz nicht gesagt haben will.

Kahrs Beweglichkeit ist übrigens bemerkenswert, weil seine letzte öffentlich sichtbare Begegnung mit Angela Merkel bleibenden Eindruck hinterlassen hat. In der Bundestagsdebatte vor der Abstimmung über die Ehe für alle am 30. Juni, wütete er gegen die Kanzlerin, nannte ihr Verhalten erbärmlich und peinlich, zieh sie in Sachen Gleichstellung von Homosexuellen einer Schwurbelei, die ihm bis zum Hals stehe, und schloss seinen Auftritt mit dem Ruf: "Frau Merkel: Vielen Dank für nichts!".

Damals durfte man aus ein paar guten Gründen vermuten, dass Kahrs der Kanzlerin in seinem Leben kein Stück Brot mehr gönnen würde. Und eigentlich gab er das Empfinden vieler Sozialdemokraten wieder. Auch Martin Schulz war ja in der Fernseh-Elefantenrunde am Wahlabend alles andere als freundlich zu Merkel. Doch siehe da: Wenn Merkel irgendwann 2018 noch einmal von Union und SPD zur Bundeskanzlerin gewählt werden sollte, dann hätte Kahrs ein wenig den kurvigen Weg geebnet, auf dem Schulz dann die Partei hinter sich hergezogen hat.

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