Anschlagsserie in Neukölln:"Die Staatsanwaltschaft ist auf unserer Seite"

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1. Februar 2018, Berlin-Neukölln: ein brennendes Fahrzeug in der Garage von Linken-Politiker Ferat Kocak. Ein Übergriff, der als einer der mutmaßlichen von Rechtsextremisten verübten Anschläge gilt. (Foto: Ferat Kocak/dpa)

Wurde vom Berliner Justizapparat gegen rechtsextreme Tatverdächtige unsauber ermittelt? Das legen Chatverläufe nahe. Zwei der betroffenen Staatsanwälte wurden jetzt versetzt.

Von Florian Flade und Ronen Steinke, Berlin

Im Fall der rechtsextremen Anschlagsserie in Berlin-Neukölln hat es eine wichtige Wendung gegeben. Seit Jahren kommen die Ermittlungen nicht recht voran, obwohl längst zwei örtliche Rechtsextreme im Verdacht stehen, immer wieder Fahrzeuge von Linken und Sozialdemokraten anzuzünden. Die Staatsanwaltschaft und auch das Berliner Landeskriminalamt (LKA) mussten sich oft des Vorwurfs erwehren, sie nähmen die Sache nicht ernst genug.

Nun hat Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers am Dienstag zwei der mit dem Verfahren befassten Staatsanwälten das Vertrauen entzogen und sie mit sofortiger Wirkung versetzt. Gegen sie bestehe die Besorgnis der Befangenheit. Ob sie bislang sauber ermittelt hätten, werde nun "überprüft".

Es geht um zwei sehr erfahrene Staatsschützer. Der eine leitete als Oberstaatsanwalt bislang die gesamte Abteilung für Staatsschutzdelikte, der andere betreute speziell den Neuköllner Fall. Der Verdacht gegen die beiden geht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auf einen Dialog zwischen zwei Rechtsextremen zurück. In einem Chatprotokoll von März 2017 hatte der Hauptverdächtige der Anschlagsserie, der 37 Jahre alte Tilo P. - er war im Bezirksvorstand der AfD Neukölln, bis die Partei ihn wegen Kontakten ins rechtsextreme Milieu hinausdrängte -, einem Bekannten geschrieben, man solle sich wegen der Staatsanwaltschaft mal keine Sorgen machen. Der Oberstaatsanwalt sei selber AfD-Wähler. Den kenne man.

"Die Staatsanwaltschaft ist auf unserer Seite. Der ist AfD-Wähler"

"Hat er gesagt?", fragte der Bekannte.

Antwort: "Angedeutet."

Ob das stimmt und ob daraus irgendetwas folgt, was wirklich für einen seriösen Vorwurf gegen den Oberstaatsanwalt ausreichen würde, dafür gibt es bislang keinerlei Beleg. Aber: Als der ermittelnde Staatsanwalt dieses Chatprotokoll entdeckte, konfrontierte er seinen Kollegen nicht damit. Er meldete das auch keinem Vorgesetzten. Sondern der Satz landete zwischen vielen Tausend Seiten Papier einfach in der Akte 231 Js 406/18.

Erst eine Anwältin der Opfer in Neukölln, Franziska Nedelmann, hat das Chatprotokoll nun entdeckt und die Generalstaatsanwältin darauf aufmerksam gemacht. Gemeinsam mit anderen Opfervertretern verfolgt die Juristin Nedelmann schon länger die These, dass manche Berliner Ermittler eine Aufklärung blockieren, gar eine schützende Hand über die Täter halten würden. Ein Untersuchungsausschuss müsse her, um "rechte Netzwerke und Strukturen in allen Berliner Sicherheitsbehörden" und "Versäumnisse bei den Ermittlungen zum Nazi-Terror in Neukölln" zu untersuchen, beschloss der Landesparteitag der Linken schon im vergangenen Jahr. Wobei sich dieser Verdacht bis heute nirgends belegen ließ.

"Die Staatsanwaltschaft ist auf unserer Seite": Diese Behauptung des Rechtsextremen Tilo P. muss manchen Ermittlern schon länger bekannt sein. Das Handy des Verdächtigen war im vergangenen Jahr ausgelesen worden, der Auswertebericht des LKA trägt das Datum 25. September 2019. Aber auch im LKA hat niemand auf den Vorwurf gegen den Oberstaatsanwalt reagiert und etwa eine übergeordnete Stelle informiert. Schnell reagiert hat erst die Generalstaatsanwältin, die am Freitag von der Sache erfuhr.

Ein Tatverdächtiger, der mit heimlichem Wissen über einen Ermittler "auf unserer Seite" prahlt: Das könnte auch Maulheldentum sein. Beispiele dafür gibt es immer wieder. Etwa bei Ermittlungen wegen organisierter Kriminalität, gegen Rocker oder arabische Clans haben die Ermittler gelegentlich durch V-Leute oder überwachte Telefonate von Gerüchten erfahren, dass es Personen in der Berliner Polizei und Justiz gebe, die man "in der Tasche" habe. Auch bei Razzien gegen die Hells Angels in Berlin behaupteten Rocker, sie hätten das vorab von Polizisten erfahren. Gerichtsfest bewahrheitet haben sich solche Hinweise allerdings nur selten.

© SZ vom 07.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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