Prozesse:Schily und Özdemir streiten um die gefühlte Wahrheit

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Otto Schily (links) und Cem Özdemir streiten vor Gericht um einen Satz. (Foto: dpa/imago)
  • Özdemir hat im Vorwort zu einem Buch über den NSU-Anschlag in Köln geschrieben, Schily habe einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen.
  • Tatsächlich sprach der damalige SPD-Innenminister lediglich öffentlich von einem "kriminellen Milieu".
  • Vor dem Landgericht München prozessieren die Politiker nun. Doch es geht um mehr als diesen einen Satz.

Von Annette Ramelsberger

Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind weit, man kann vieles meinen, bewerten. Aber wenn man jemanden zitiert, dann sollte das stimmen. So einfach ist eigentlich der Streit zwischen dem früheren SPD-Innenminister Otto Schily und dem Grünen-Politiker Cem Özdemir - rein juristisch gesehen. Aber es gibt da auch noch eine politische Sichtweise.

Der Fall: Özdemir hat in einem Vorwort zu einem Buch der NSU-Opfer aus der Kölner Keupstraße geschrieben, Schily habe bereits einen Tag nach dem NSU-Anschlag im Jahr 2004 einen terroristischen Hintergrund ausgeschlossen. Das hat Schily nicht. Das kann man in Aufzeichnungen seiner Pressekonferenz nachhören. Aber er hat von einem "kriminellen Milieu" gesprochen und so die öffentliche Interpretation des Anschlags beeinflusst. Das hat sich festgesetzt in der Erinnerung, offenbar auch bei Cem Özdemir. Es ist die gefühlte Wahrheit. Aber vor dem Landgericht München geht es an diesem Mittwoch um die nachprüfbare Wahrheit. Die Richter werden wohl im Sinne Schilys entscheiden.

Schilys Ausspruch prägte die öffentliche Wahrnehmung

Das haben sie schnell deutlich gemacht. Doch es gibt auch noch die politische Wahrheit: Sieben Jahre lang haben die Sicherheitsbehörden in die falsche Richtung ermittelt. Erst dann kam heraus, dass Rechtsterroristen den Anschlag begangen haben. Genau das betont Özdemirs Anwalt Mehmet Daimagüler, der auch Opfer im NSU-Prozess vertritt: "Wenn sich ein Bundesinnenminister der Bundesrepublik Deutschland hinstellt und sagt: eher kein terroristischer Hintergrund, dann ist er doch keine Privatperson. Wenn er von einem kriminellen Milieu spricht, dann hat das eine unglaubliche Wirkungsmacht." Schilys Anwalt Maximilian Ott geht dazwischen: "Sie versuchen hier, einen neuen Untersuchungsausschuss aufzumachen." Ott hat Özdemir vorgeworfen, er wolle das Lebenswerk Schilys diskreditieren - eines Mannes, dem es wichtig war, sich gegen Rechtsradikale zu stellen.

"Es geht nicht um das Lebenswerk Schilys, es geht um die historische Wahrheit", entgegnet Daimagüler. Schily versuche, ein geschöntes Bild von sich zu konservieren. Dabei habe Schily zugegeben, mit seiner Einschätzung damals einen schweren Fehler gemacht zu haben. Die Richter versuchen zu beschwichtigen: "Es spielt keine Rolle, ob Schily einen Fehler eingeräumt hat oder ob der Untersuchungsausschuss Fehler bei den Ermittlungen aufgedeckt hat." Hier gehe es nur darum, ob Schily korrekt zitiert wurde. Anwalt Daimagüler wird das alles sicher wissen, aber er will nicht nachgeben, notfalls will er bis zum Bundesgerichtshof gehen. "Vielleicht überlegt mein Mandant es sich anders, wenn Herr Schily sich bei den Bewohnern der Keupstraße entschuldigt." Schilys Anwalt will diese Nachricht seinem Mandanten überbringen.

Sich Schily in der Keupstraße vorzustellen, gelingt ihm nicht.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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