Prozess um Attentat am Frankfurter Flughafen:Dschihad-Gesänge begleiteten ihn zum Tatort

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Für den Psychiater unreif, auf der Anklagebank gleichgültig. Nur einmal in seinem Leben hat Arid U. scheinbar wirklich Energie entwickelt: Als er in Frankfurt zwei US-Soldaten erschoss und zwei weitere schwer verletzte - es war der erste islamistische Terroranschlag in Deutschland, der nicht verhindert werden konnte. Nun fällt das Urteil.

Marc Widmann und Annette Ramelsberger

Der Psychiater war harsch, aber ziemlich treffend. Arid U. sei ein unreifer und gehemmter Junge. Ein 22-Jähriger, der sich am liebsten zurückziehe, wenn es schwierig wird, der sich nie angestrengt habe im Leben, und der das Gymnasium aufgab, obwohl er einen Intelligenzquotienten von 115 hat.

Arid U., Attentäter vom Frankfurter Flughafen: Bevor er auf die US-Soldaten feuerte, soll er sie noch nach Zigaretten gefragt haben. Während des Prozesses wirkte er meist teilnahmoslos. (Foto: dpa)

So wie Arid U. in den vergangenen Monaten auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts Frankfurt saß, kann man sich gut vorstellen, wie er einst in der Schule wegdämmerte. Nur die Tischplatte vor ihm schien ihn zu interessieren. Wichtig war ihm vor allem, dass er in der Haft Computerspiele benutzen durfte.

Es scheint, als habe Arid U. nur einmal wirklich Energie entwickelt in seinem Leben: Am Mittwoch, dem 2. März 2011, als er am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss und zwei weitere schwer verletzte. Erst eine Ladehemmung stoppte ihn, als er gerade auf den Kopf eines fünften Soldaten zielte. Sonst hätte er noch mehr Menschen getötet. Es war der erste islamistische Terroranschlag in Deutschland, der nicht verhindert werden konnte.

Doch Arid U.s Teilnahmslosigkeit war wohl die falsche Strategie vor einem Gericht, das an diesem Freitag ein Urteil über ihn sprechen wird. Schon am ersten Verhandlungstag im Sommer wurde der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel immer ärgerlicher, je einsilbiger Arid U. antwortete. "Ich will mir diesen beschönigenden Singsang nicht mehr anhören müssen", schimpfte Sagebiel. Und fragte Arid U., warum er sich schon lange vor der Tat eine Pistole gekauft habe. Der schlaksige Mann schloss nur die Augen, schaute dann sekundenlang auf den Tisch. Und schwieg. "

Sie tun sich keinen Gefallen damit", sagte der Richter, "Sie stellen sich in einem etwas verstockten Licht da, ich weiß nicht, ob Verstocktheit hier das richtige Verhalten ist."

Opfer in den USA beobachten den Prozess

Das Verfahren wird auch in den USA beobachtet. Dort versuchen die Opfer, einen Weg zurück ins Leben zu finden: ein junger GI mit einem zweifachen Kopfdurchschuss, dessen Gesicht rekonstruiert werden musste und dem heute die halbe Schädeldecke fehlt. Er ist auf einem Auge blind.

Ein GI, der einen Schuss in den Kiefer erlitt und ein schweres Trauma. Und der GI, der den sicheren Tod vor Augen hatte - und nur überlebte, weil die Pistole klemmte. Als er vor Gericht sagte: "I'm fine", erkannte man, wie groß die Selbstdisziplin sein muss, die diesen jungen Mann aufrecht hält.

Auf der Anklagebank dagegen sitzt ein junger Mann, der sich offenbar nicht anstrengen will. An die Tat, sagt Arid U., könne er sich nicht erinnern. "Sonderbar", findet das der erfahrene Richter, der schon mit einigen Islamisten zu tun hatte, viele gaben sich offener, vor allem, wenn die Beweise so erdrückend waren wie in diesem Fall. Arid U. quälte sich nur stockend durch eine "Erklärung zur Sache", in der er alles bedauerte, aber im Wesentlichen mitteilte: "Heute verstehe ich es selbst nicht mehr."

Dabei ist seine Geschichte nicht übermäßig kompliziert. Mit vier Jahren zog er mit seiner Familie aus Kosovo nach Frankfurt, die Eltern stritten viel, trennten sich zeitweise, und womöglich, so urteilt der Psychiatrie-Professor Norbert Leygraf, "mag die sehr instabile Situation in den ersten Lebensjahren eine teilweise Erklärung sein, warum er noch nicht zur inneren Stabilität gefunden hat".

Ein Gerüst fürs Leben suchte sich Arid U. dann selbst zusammen, auf den Seiten radikal-islamischer Prediger im Netz, die labile Seelen mit einem klaren Weltbild und strikten Regeln ködern. Er saß fast nur noch vor dem Computer. Schon ein Dreivierteljahr vor der Tat löschte er auf Facebook seine alten Schulfreunde und ersetzte sie teils wahllos durch Leute mit islamischen Namen. Zwei Wochen, ehe er seine Pistole einpackte und zum Flughafen fuhr, schaute er sich Propagandafilmchen an, die das Märtyrertum feierten. Auf seinem iPod fanden die Ermittler schließlich 229 dschihadistische Gesänge, teils mit Maschinengewehr-Salven unterlegt, einige davon hörte Arid U. noch in der S-Bahn zum Tatort.

In seinen ersten Verhören, wenige Tage nach den Morden, gab er zu Protokoll, er habe sich die Tat reiflich überlegt. So schilderte es ein BKA-Beamter vor Gericht. Später erst hat er in der Verhandlung dazu aufgerufen, ihn nicht nachzuahmen und warnte vor der Wirkung dschihadistischer Propaganda. Daher werden die Richter ihm wohl kaum abnehmen, dass die tödlichen Schüsse eine reine Affekttat waren, eine Art Amoklauf, wie seine Verteidiger meinen - nachdem er am Vorabend ein Gräuelvideo gesehen hatte, in dem US-Soldaten angeblich afghanische Frauen vergewaltigten. Für einen Amoklauf ging er zu durchdacht vor.

Ehe er das Feuer eröffnete, bat er noch einen Soldaten um eine Zigarette und fragte, ob die Truppe tatsächlich auf dem Weg nach Afghanistan sei. Dann ließ er alle in den Flughafenbus einsteigen, sodass sie in der Falle saßen. Der radikale Islam hatte die Macht übernommen über Arid U. Er betete fünf Mal am Tag, und wenn ihn sein Arbeitgeber, die Post am Frankfurter Flughafen, ermahnte, dies nicht während der Arbeit zu tun, dann betete er trotzdem. Er kürzte sich die Hose über dem Knöchel, wie es radikale Prediger ihren Zuhörern auftragen.

Und in seinen Ego-Shooter-Spielen erklärte er schon mal, er gehe jetzt "Kuffar messern". Kuffar ist ein abfälliger Ausdruck für Ungläubige. Vor seinen Eltern versuchte Arid U. bis zum Schluss eine Fassade aufrechtzuerhalten: Er log ihnen vor, er habe das Abitur bestanden.

Eine lebenslange Haft scheint sicher zu sein. Es geht nur noch darum, ob das Gericht auch die besondere Schwere der Schuld erkennt - das schließt die vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren aus.

© SZ vom 10.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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