Mordversuchs-Prozess:Angeklagter gesteht Schuss durch Wohnungstür

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Der Angeklagte (vorne, M) steht bei einem Mordversuchs-Prozess im Gerichtssaal. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa Pool/dpa)

Ein Mann soll mit einem Gewehr durch die geschlossene Wohnungstür seiner Nachbarin geschossen haben - laut Staatsanwaltschaft aus rechtsradikaler Gesinnung. Vor Gericht muss er sich nun wegen versuchten Mordes verantworten.

Von Franziska Spiecker, dpa

Hamburg (dpa/lno) - Zunächst spricht nur die Rechtsanwältin des Angeklagten beim Auftakt des Prozesses wegen Mordversuchs gegen einen 49-Jährigen. Ihr Mandant sei zu aufgeregt, deshalb lese sie seine Einlassung vor, sagt Anke Marten-Enke am Dienstag vor einer Schwurgerichtskammer am Landgericht Hamburg. Wenig später äußert sich der angeklagte Deutsche auf Nachfragen des Gerichts dann aber doch ausführlich.

Am Tattag, dem 27. Mai dieses Jahres, habe er „aus der Hüfte“ auf die Wohnungstür seiner pakistanischen Nachbarin geschossen - ohne jemanden treffen zu wollen, betont er. Die Staatsanwältin hingegen sagt, genau das sei das Ziel gewesen - und zwar „aufgrund seiner ausgeprägten rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Gesinnung“.

Laut Anklage soll der 49-Jährige am Tattag mit einem Repetiergewehr auf die geschlossene Wohnungstür seiner Nachbarin geschossen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe aus niedrigen Beweggründen versucht, einen Menschen zu töten. Zudem habe er vorsätzlich ohne waffenrechtliche Erlaubnis eine Schusswaffe samt Munition besessen und geführt, so der Vorwurf.

Die abgefeuerte Kugel habe die Tür in Höhe von einem Meter sowie eine Kommode durchschlagen und sei in der Wand steckengeblieben, heißt es. Menschen seien nur deshalb nicht getroffen worden, weil sich diese entgegen der Erwartung des Angeklagten nicht im Wohnungsflur aufgehalten hätten, argumentiert die Staatsanwältin.

Zu Beginn des Prozesses äußern sich auch die inzwischen ausgezogene Nachbarin des Angeklagten und ihre Schwiegermutter. Beide Zeuginnen geben an, sich zum Tatzeitpunkt im Wohnzimmer der Wohnung befunden zu haben. Sie sei durch den Krach aufgeschreckt worden, sagt die 25 Jahre alte Nachbarin, der es nach eigenen Angaben wegen ihrer Schwangerschaft am Tattag nicht gut ging. Als sie durch den Türspion den Angeklagten mit einer Waffe gesehen habe, habe sie „ein Schwindel“ erfasst. Ihre 57 Jahre alte Schwiegermutter berichtet, dass sie ihre zitternde Schwiegertochter erst habe beruhigen müssen, bevor diese die Polizei habe rufen können.

„Ich wundere mich auch, wie ich es in dieser Situation geschafft habe, die Polizei zu rufen“, erzählt die 25-Jährige. Im Anschluss sei sie ins Krankenhaus gefahren, weil sie Rückenschmerzen, ein Ziehen im Unterleib und Angst gehabt habe - wegen ihrer Schwangerschaft. Aktuell wohne sie bei ihrer Mutter, sie habe sich nicht mehr in die alte Wohnung getraut und bald solle das Baby kommen, berichtet die Pakistanerin. Seit dem Sommer ist sie nach eigenen Angaben in Therapie wegen eines Traumas. Von beruhigenden Medikamenten habe man ihr wegen ihrer Schwangerschaft abgeraten - die stattdessen empfohlenen Übungen hälfen so „na ja“.

„Meistens - so ist jedenfalls unsere Erfahrung - wird das ein bisschen besser, wenn man hier die Aussage gemacht hat“, sagt daraufhin die Vorsitzende Richterin, Jessica Koerner. Den Angeklagten konfrontiert sie mit dem Bericht eines Beamten nach der Tat: Demnach hat der 49-Jährige mehrfach wiederholt, dass er es bereue, nicht getroffen zu haben. Zudem habe er wiederholt gesagt, dass er es noch einmal versuchen werde - wenn er wieder rauskomme - und zum „Massenmörder“ werde.

„Das widerspricht so ein bisschen der Intention, jemanden nur erschrecken zu wollen“, sagt die Richterin. Zuvor betont der Angeklagte, hinsichtlich des Tattags habe er „wirklich enorme Lücken, aber ich weiß, dass ich in der Kneipe war“. Anders als an anderen Tagen, an denen er sich nach eigenen Angaben wiederholt durch die angebliche Lautstärke der Nachbarn gestört gefühlt habe, sei es an diesem Tag ruhig gewesen. Er habe deshalb nicht geahnt, dass jemand da sei, und nur gedacht: „Da muss mal jemand erschrocken werden.“ An die Schilderungen des Beamten könne er sich nicht erinnern - es könne aber gut sein, dass diese zuträfen.

Die Vorsitzende Richterin konfrontiert den Angeklagten zudem mit rassistischen Äußerungen, die er unter anderem in Videos und Chatnachrichten - sowie in Kommunikation mit dem Ehemann der Nachbarin getätigt haben soll. Der 49-Jährige räumt ein, dem Ehemann gegenüber angemerkt zu haben, sein traditionelles pakistanisches Gewand könnte „Taliban-Kleidung“ sein.

Zudem könne es gut sein, dass er die Chatgruppe „Dimensionsrandalierer“ gegründet habe. „Das war eher so der Kanal zum Hetzen oder Dampf ablassen“, so der Angeklagte. Er selbst habe für den Kanal aber nur Videos erstellt, um andere zu belustigen. Er habe eine Neonazi-Vergangenheit - das sei aber nicht die Gegenwart.

Der Angeklagte wurde kurz nach der Tat festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Er ist nach eigenen Angaben seit vergangenem Jahr arbeitslos und hat phasenweise täglich Alkohol getrunken. Das Gericht hat acht weitere Verhandlungstermine angesetzt - das Urteil könnte am 26. Januar verkündet werden.

© dpa-infocom, dpa:231120-99-17977/5

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