Proteste in Syrien:Wieso der Westen der Opposition vertrauen sollte

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Der Westen betrachtet die Protestbewegung in Syrien, wo inzwischen Hunderttausende demonstrieren, mit Skepsis. Dabei sollten die Industrieländer helfen, Präsident Assad zum Rückzug zu zwingen.

Siamend Hajo

Eine der beliebtesten Floskeln, die Experten seit Beginn der Proteste in Syrien nicht müde werden zu wiederholen, lautet, Präsident Baschar al-Assad sei bei seinem Volk "beliebt". Auch diejenigen, die sein auf die Macht der Geheimdienste aufbauendes Regime ablehnten, seien nicht grundsätzlich gegen den Präsidenten eingestellt.

Seit dem Jahr 2000 herrscht Baschar al-Assad in Syrien. Zu seinem  Amtsantritt versprach er wirtschaftliche Reformen und galt vielen Syrern als Hoffnungsträger. Doch wie sein Vater lässt Baschar die Opposition mit Gewalt unterdrücken. (Foto: dpa)

Ganz offensichtlich war die syrische Propaganda erfolgreich: Vor seinem Machtantritt im Jahr 2000 verkaufte die staatliche Presse den weitgehend unbekannten Baschar al-Assad geschickt als jungen, im Ausland ausgebildeten Politiker, der Syrien modernisieren und gegenüber dem Westen öffnen würde.

Dieses Bild hat sich hartnäckig gehalten: trotz Niederschlagung der aufkeimenden Demokratiebewegung, des sogenannten Damaszener Frühlings; obwohl in Syrien weiter verhaftet und gefoltert wurde; und ungeachtet der Tatsache, dass auch wirtschaftliche Reformen durch Korruption und Klientelismus weitgehend verhindert wurden.

Womit begründen ihre Verteidiger die These von der Beliebtheit des Präsidenten? Wohl kaum damit, dass dieser jeweils mit deutlich mehr als 90 Prozent der Stimmen ins Amt gewählt wurde. Die Ergebnisse Erich Honeckers sahen ganz ähnlich aus, dennoch kam niemand auf die Idee, den Staatsratsvorsitzenden für "beliebt" zu halten.

Tatsächlich hing bis vor kurzem an fast jedem Auto, in jedem Geschäft ein Bild des Präsidenten oder seines verstorbenen Vaters, der ihm das Präsidentenamt quasi vererbt hat. Ein Zeichen der Hochachtung? Sicher, wenn man davon absieht, dass diejenigen, die auf diesen Schmuck verzichteten, Gefahr liefen, verhaftet zu werden.

Nun aber wird seit Wochen auf Demonstrationen im ganzen Land der Ruf nach einem Rücktritt Baschar al-Assads immer lauter. Es werden Bilder des Präsidenten und Statuen seines Vaters zerstört. Die Zahl der Demonstranten geht inzwischen in die Hunderttausende - und das, obwohl der Präsident den seit 1962 geltenden Ausnahmezustand aufgehoben, den verhassten Staatssicherheitsdienst ebenso aufgelöst hat wie das Hohe Staatssicherheitsgericht in Damaskus. Es gab also Zugeständnisse, aber sie reichen den Menschen nicht. Niemand glaubt mehr, dass mit Baschar al-Assad und der Baathpartei eine wirkliche Demokratisierung des Landes möglich ist.

Ein über Twitter verbreitetes Foto zeigt angeblich Proteste auf dem zentralen Platz in der nordwest-syrischen Stadt Homs. Sicherheitskräfte eröffneten in dem Ort das Feuer auf regimefeindliche Demonstranten. (Foto: dpa)

Sein Reformwille überzeugt umso weniger, als mit trauriger Regelmäßigkeit friedliche Demonstranten - inzwischen mehr als 300 - getötet werden, Scharfschützen Protestierende, fast noch Kinder, mit Kopfschüssen niederstrecken, Jugendliche halb tot gefoltert werden.

Ostermontag ging die syrische Armee zudem mit Panzern gegen Demonstranten in Deraa, Duma, Dschabla und anderen Orten vor. Diese Unzufriedenheit mit dem Regime - und seinem Präsidenten - ist nicht über Nacht entstanden. Sie bedurfte, wie in Tunesien oder Ägypten, lediglich eines Anlasses, um sich zu manifestieren.

Warum aber hat es, anders als in Libyen, erst eines massiven Einsatzes der syrischen Armee bedurft, damit der Westen darüber nachdenkt, dass Mahnungen wie "das Töten muss aufhören", nicht ausreichen könnten, um das syrische Regime zu stoppen?

Wieso hat die freie Welt dem syrischen Regime nicht längst ihre stillschweigende Unterstützung aufgekündigt - das heißt: Botschafter abgezogen, Auslandsvermögen eingefroren, Entwicklungshilfeprojekte gestoppt, Reisebeschränkungen verhängt? Wieso wurde nicht versucht, Baschar al-Assad zum geordneten Rückzug zu zwingen, zur Bildung einer Übergangsregierung mit der Opposition, zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung und zur Vorbereitung freier Wahlen?

Der am weitesten verbreitete Einwand gegen eine solche Politik lautet: Wir wissen nicht, wer Baschar al-Assad folgen wird; wer sagt uns, dass nicht radikale Islamisten die Macht in Syrien an sich reißen werden? Wer garantiert, dass es nicht zu ethnischen und religiösen Konflikten kommen wird?

Tatsächlich ist die organisierte Opposition vergleichsweise schwach, gibt es keine bekannte Führungsfigur, welche die Regierungsgeschäfte nahtlos übernehmen könnte. Doch gerade letzteres kann auch eine Chance für einen echten Neuanfang sein, dafür, dass einige der jungen Leute, die heute auf die Straße gehen, morgen einige Verantwortung übernehmen.

Ganz sicher ist, dass islamistische Gruppierungen bisher keine Rolle bei den Protesten spielen. Die Mobilisierung in Moscheen ist der Tatsache geschuldet, dass dort die Massen zusammenkommen. Der Ruf nach Gott in den Slogans der Demonstranten zeigt nicht mehr, als dass Syrien kein in weiten Teilen atheistisches Land wie die Bundesrepublik ist.

Was Konflikte zwischen Christen und Muslimen anbelangt, so haben diese in Syrien keinerlei Tradition, Christen sind seit Jahrzehnten gut in die syrische Gesellschaft integriert. Ebenso wenig besteht ein grundlegendes Problem zwischen der religiösen Minderheit der Alawiten, der auch Baschar al-Assad angehört, und den Sunniten. Hier verlaufen die Konflikte vielmehr zwischen denen, die vom System profitieren - in der Wirtschaft durchaus auch Sunniten - und der großen Menge, die außen vor bleibt.

Schließlich liegt auch ein Konflikt zwischen Kurden und Arabern, wie es ihn im Irak gibt, jenseits des Wahrscheinlichen. Die Kurden, mit circa acht bis zwölf Prozent eine eher kleine Minderheit, haben in den vergangenen Jahrzehnten neben kulturellen Rechten vor allem die Wiedereinbürgerung der rund 30.0000 staatenlosen Kurden gefordert, denen beziehungsweise deren Vorfahren 1962 die Staatsangehörigkeit aus politischen Gründen aberkannt wurde.

Autonomie oder staatliche Eigenständigkeit stehen nicht auf ihrer Agenda, es gab nie eine bewaffnete kurdische Bewegung wie in der Türkei oder dem Irak. Die Demonstranten in den kurdischen Gebieten des Landes, im Dreiländereck Syrien, Türkei, Irak, solidarisieren sich mit den Demonstranten in Deraa und anderen arabischen Städten. Sie zeigen syrische Fahnen, keine kurdischen.

Wenn die - illegalen - kurdischen Parteien nach wie vor zurückhaltend sind, offen gegen das Regime zu mobilisieren, dann vor allem, weil sie fürchten, dass der syrische Staat gegen sie mit noch größerer Härte vorgehen könnte als anderswo. Bereits bei regimekritischen Demonstrationen im Jahr 2004 wurden in den kurdischen Gebieten mehr als dreißig Menschen durch Sicherheitskräfte getötet - die Kurden wissen, wozu der Sicherheitsapparat und sein oberster Dienstherr, der Präsident, fähig sind.

© SZ vom 06.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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