An dem Tag, an dem das ungarische Parlament die Pressefreiheit abschaffte, spazierte der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, durch Budapest und lobte den Ministerpräsidenten Viktor Orban über den grünen Klee.
Der mache einen "ausgezeichneten Eindruck" und übernehme "gut vorbereitet" am 1. Januar den Vorsitz der EU. Kein Wort über das Gesetz, das Journalisten und Verleger bedroht und das den luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn dermaßen in Harnisch bringt, dass er Orban mit dem weißrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko vergleicht, der sich seine Wahlsiege auch durch das "Ausschalten kritischer Medien" erschleiche.
Artikel 7, der "Haider-Paragraph"
Kaum ein Wort auch aus der EU-Kommission. Man werde "die Lage beobachten und auswerten", sagt am Mittwoch ein Sprecher der Institution, die sich als "Hüterin der Verträge" rühmt. Und es fehlt nicht der Hinweis, Medienrecht sei eine nationale Angelegenheit. Das ist zwar richtig, und die Charta der europäischen Grundrechte, in deren Artikel 11 die Pressefreiheit verankert ist, kann der europäische Bürger vor Gericht nur gegen europäische Gesetze heranziehen, nicht jedoch gegen nationale.
Aber das ist eben nicht die ganze vertragsrechtliche Wahrheit. Die will Martin Schulz, Chef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, gleich nach den Feiertagen vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des Parlaments prüfen lassen.
Auf Ungarn könnte der "Haider-Paragraph", der Artikel 7 des Vertrags Anwendung finden. Der war geschaffen worden, nachdem die vertraglich nicht abgesicherte Isolierung Österreichs wegen der Regierungsbeteiligung der Haider-Partei FPÖ 1999 zu Spannungen in der EU geführt hatte. Man schuf danach klare Regeln für den Fall, dass die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der europäischen Werte "durch einen Mitgliedsstaat besteht" (Artikel 7 Absatz 1).
Diese Werte sind im Artikel 2 angegeben: "Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören". Nach bislang in der EU üblicher Lesart ist die Pressefreiheit ein Unterfall der allgemeinen Freiheit.
Die schärfste Waffe der Europäischen Union
Der Artikel 7 ist die schärfste Waffe der Union gegen ein Mitglied, das politisch gegen die gemeinsamen Werte verstößt. Im äußersten Fall kann dem betroffenen Staat das Stimmrecht entzogen werden, was einer faktischen Aussetzung der Mitgliedschaft gleichkäme. Ein Verfahren gegen Ungarn wegen Verstoßes gegen Artikel 2 könnte durch ein Drittel der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder durch die Kommission in Gang gesetzt werden. Wenn vier Fünftel der Länder Gefahr im Verzuge sehen, können sie dem betroffenen Land Hinweise geben, wie es auf den Pfad der europäischen Tugend zurückfinden kann.
Stoßen die Hinweise auf taube Ohren, kann der Europäische Rat "einstimmig" eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" der Werte feststellen. Das betroffene Land darf dabei nicht mit abstimmen. Diesem Beschluss folgen dann Sanktionen.
Ausgeschlossen werden kann aber niemand aus der EU. Wer freilich noch nicht drin ist und ein Mediengesetz wie Ungarn hätte, der würde sicherlich nicht aufgenommen.