Präsidentschaftswahl:Noch ist Frankreich nicht verloren

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Marine Le Pen könnte im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten - doch für den Sieg im zweiten dürfte das nicht reichen. (Foto: REUTERS)

Der Kampf um die Präsidentschaft wird Marine Le Pen in die Stichwahl katapultieren. Die Gegenkandidaten sind nicht perfekt. Wer wird gegen sie bestehen?

Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Wer Frankreich liebt, dem muss Angst und Bange werden dieser Tage: Ist die stolze Kulturnation, die Heimstatt der Menschenrechte, das nächste Land, das dem süßen Gift rechtspopulistischer Welt-Versimpler erliegt? Gestern Brexit und Trump, morgen Le Pen? Ein Triumph des Front National bei der Präsidentschaftswahl scheint möglich zu sein.

Das wäre das Ende des vereinten Europas. Jeder weiß das, und ein Besucher aus Berlin hat diese Furcht ausgesprochen. Gleich zweimal, auf Deutsch und Französisch: "Widerstehen Sie den populistischen Sirenenklängen", rief der designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorige Woche in Paris jungen Franzosen zu, "Résistez aux sirènes populistes!"

Noch ist Frankreich nicht verloren. Zwar dürfte es Marine Le Pen gelingen, als Kandidatin mit den meisten Stimmen in die Stichwahl vorzudringen. Nur: Wer auch immer Frankreichs nächster Präsident werden möchte, der braucht die Stimmen von ungefähr 18 Millionen Landsleuten. Bisher ergatterte die Le-Pen-Truppe nie mehr als 6,8 Millionen Stimmen.

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Von Lilith Volkert

Das Mehrheitswahlrecht der Fünften Republik mit seinen zwei Urnengängen kann den Vormarsch der französischen Madame Trump also nochmals stoppen: Rechte wie linke Demokraten dürften sich am 7. Mai aufraffen, um Le Pen das Präsidentenamt zu verwehren. Millionen Franzosen werden - so lustlos wie widerwillig - dem Zweitplatzierten des ersten Wahlgangs ihre Stimme geben. Und ohne viel Hoffnung heimtrotten.

Fillon präsentierte sich als Ehrenmann

Ein wirkliches Vertrauensvotum für Frankreichs neues Staatsoberhaupt oder gar für sein altes, zerschlissenes Parteiensystem wäre diese Wahl nicht. Der neue Monarch der Republik, als "kleineres Übel" gekürt, besäße weder die persönliche Kraft noch den politischen Rückhalt im Volk, die nötig wären, um die Nation zu erneuern und Europa zu stärken.

Noch zu Jahresbeginn sah alles anders aus. Da gab es in François Fillon einen klaren Favoriten, der ein geradezu radikales Programm propagierte: 500 000 Beamte weniger, mehr Wochenarbeit, spätere Rente. Der katholisch-konservative Republikaner bediente die in Frankreichs Geschichte stets wiederkehrende Sehnsucht nach einem Retter, einem "Sauveur". Fillon geißelte (nach gut 30 Jahren als Berufspolitiker) recht kühn "das System" in Paris. Der Ex-Premier präsentierte sich als "Kandidat der Wahrheit" und untadeligen Ehrenmann, der Fleiß, Anstand und harte Arbeit als Tugenden empfahl.

Und nun - vorbei! Binnen weniger Tage ist Fillon in den Augen seiner Landsleute zu einem gewöhnlichen Politiker verkommen. Also zu einem jener Mächtigen, die dem Volk Essig predigen, während sie sich selbst Champagner einschenken. Fillon hat nichts Unrechtes getan. Er hat (wie viele andere Abgeordnete auch) seine Frau als parlamentarische Assistentin angestellt und über Jahre recht großzügig entlohnt.

Genau diese Selbstbedienung bestätigt das Vorurteil, in der politischen Klasse sei eh alles verfault. Das ist der Nährboden, auf dem der Front National gedeiht. (Dass der FN selbst mehrere Finanzaffären am Hals hat, geht unter.) Es mag sein, dass Fillon seine Affäre durchsteht. Aber fortan fehlte ihm die moralische Legitimation, seinen Franzosen garstige Reformen abzuverlangen.

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Wer also sonst könnte Marine Le Trump ausbremsen? Frankreichs noch regierende Sozialisten (PS) verabschieden sich gerade von der Realpolitik. Ihr Spitzenkandidat Benoît Hamon, ein aufrechter Gesinnungslinker, begeistert vor allem junge Wähler. Nur, sein Versprechen, allen Franzosen bald ein Grundeinkommen von 750 Euro zu garantieren, kann die völlig überschuldete Nation niemals bezahlen. Hamon mutet an wie Frankreichs Bernie Sanders. Als Dauer-Oppositioneller ist der PS-Kandidat zwar sympathischer als der Altsozialist Jean-Luc Mélenchon. Beide wetteifern um dieselben Stimmen, schwächen sich so gegenseitig - und führen die Linke ins Abseits.

Wem vertrauen die Franzosen diese Welt voller Trumps und Putins an?

Bleibt Emmanuel Macron. Auch dieser Polit-Neuling begreift sich als "Kandidat gegen das System" und meint damit die Lager-Demokratie von rechts und links. Macron ist Jung-Millionär, Absolvent der Kaderschmieden. Der parteilose Aspirant fasziniert, ja verzaubert junge und gebildete Wähler, ist als französischer Europäer die wahre Alternative zu Marine Le Pen. Aber Zweifel bleiben, ob die Franzosen ihre Nation in einer Welt voller Trumps, Putins und Erdoğans einem 39-jährigen Novizen anvertrauen.

Eine schwere Entscheidung. Erliegen die Franzosen der populistischen Verlockung? Oder akzeptieren sie, dass ihr System den perfekten Kandidaten nicht produziert? Die Qual dieser Wahl plagt ganz Europa.

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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