Präsidentschaftswahl in Italien:Barocke Ränkespiele

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Matteo Renzi gibt sich überzeugt: Am Samstag habe Italien ein neues Staatsoberhaupt. (Foto: dpa)
  • Italien beginnt am Donnerstagnachmittag, einen neuen Präsidenten zu wählen. 1009 "große Wähler" sollen einen Nachfolger für Giorgio Napolitano bestimmen.
  • Italienische Präsidentschaftswahlen gelten traditionell als Ränkespiel. Es wird mit mehr als drei Wahlgängen gerechnet.
  • Mehrere Kandidaten sind im Rennen, keiner gilt als Favorit. Chancen werden dem früheren Premier Romano Prodi eingeräumt.

Von Oliver Meiler, Rom

Italien taucht ab in einen Wahlreigen ohne feste Gewissheiten. 1009 Parlamentarier und Vertreter aus den Regionen, sogenannte große Wähler, sind geladen, dem Land nach dem Rücktritt des betagten und populären Giorgio Napolitano einen neuen Präsidenten zu geben - möglichst schnell und möglichst ohne Zerreißprobe.

Doch nichts ist unwahrscheinlicher als das. Italienische Präsidentschaftswahlen sind hohe Zeiten des barocken Ränkespiels, diese 13. in der republikanischen Geschichte ganz besonders. Die Wahl beginnt an diesem Nachmittag in der Aula des römischen Abgeordnetenhauses mit einem ersten Urnengang und könnte mehrere Tage dauern. Fix ist nur der Termin für den Auftakt, 15 Uhr.

Seit Wochen zirkulieren mehr oder weniger ernst gemeinte Namen

In den ersten drei Wahlgängen ist eine Zweidrittelmehrheit von 673 Stimmen notwendig, um einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Für einen solch breiten Konsens ist das Wahlgremium aber wohl zu heterogen, zumal sich kein Name mit Macht aufdrängt. Deshalb rät Ministerpräsident Matteo Renzi den Seinen vom linken Partito Democratico, in den ersten drei Wahlgängen eine "scheda bianca" in die Urne zu legen, einen leeren Zettel also, um aussichtsreiche Kandidaten für später zu schonen.

Die größte Partei Italiens verfügt nur über ein Reservoir von 460 Stimmen. Ab dem vierten Wahlgang, der für Samstagmorgen geplant ist, braucht es dann nur noch eine einfache Mehrheit. Und 505 Stimmen sollten sich trotz Rivalitäten finden lassen.

Nur, wer soll es sein? Und wie? Ein altgedienter Politiker oder ein Technokrat, ein Interventionist oder ein kontemplativer Landesvater? Präsident kann in Italien jeder Bürger mit intaktem Leumund ab 50 Jahren werden, theoretisch jedenfalls. In der Praxis ist es so, dass die Schar recht überschaubar ist.

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Seit Wochen zirkulieren mehr oder weniger ernsthaft gemeinte Namen in Fülle. Genannt werden ideologisch klar verortbare Politiker, parteilose hohe Beamte, Figuren aus der Zivilgesellschaft wie etwa der Dirigent Riccardo Muti und Stararchitekt Renzo Piano, viele Männer und sehr wenige Frauen, etwa die Sozialdemokratin Anna Finocchiaro. Etliche Namen dienen allein der Verwirrung oder der Ablenkung. Mehr als Mutmaßungen sind daher nicht möglich.

Selbst Renzi, der am meisten Stimmen bewegt und auch am meisten weiß, kann sich seiner Sache bis zuletzt nicht sicher sein. Noch immer ist nämlich unklar, ob er sich mit Silvio Berlusconi, seinem Alliierten für die Reformen, auch auf einen Namen geeinigt hat. Oder ob Renzi am Ende dann doch ganz auf die Unterstützung seiner politischen Familie vertrauen muss. Und die ist bekanntlich im Aufruhr, weil er mit Berlusconi paktiert.

Die bösen Geister aus früheren Tagen

Die Zeitung Corriere della Sera leitet aus ihren Analysen und einigen vermeintlich sicheren Parametern eine Kurzliste von drei möglichen Namen ab, auch die ohne Gewähr: Giuliano Amato, 76, Sozialist, Ex-Premier und Verfassungsrechtler; Sergio Mattarella, 73, Christdemokrat, Verfassungsrichter und Ex-Minister; Pier Carlo Padoan, 65, parteilos, Wirtschaftsminister. Gegen jeden dieser Namen gibt es von der einen oder anderen Seite Einwände.

Chancen werden auch Romano Prodi eingeräumt, dem früheren Premier und EU-Kommissionspräsidenten. Er hätte das internationale Renommee, das man sich im Ausland in diesen Krisenzeiten von einem italienischen Präsidenten gemeinhin wünscht. Berlusconis Wahl wäre Prodi natürlich nicht: Die beiden begegneten sich lange als Antagonisten auf der politischen Bühne.

Gespalten ist man ob der Personalie auch im linken Lager, wie das Debakel bei der Präsidentenwahl vor zwei Jahren zeigte: Damals wurde Prodi das Opfer von 101 sogenannten Heckenschützen des Partito Democratico und verpasste die Wahl. In der Verzweiflung musste man dann Napolitano beknien, noch einige Jahre dranzuhängen. Und nun?

Seit Tagen wiederholt Renzi, Italien werde am Samstag einen neuen Präsidenten erhalten. Ganz sicher. Es hört sich an wie in einem Mantra, als versuchte er, die bösen Geister aus früheren Wahlen zu bannen, das Gespenst eines langwierigen, zermürbenden Reigens.

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