Portugal:Neues Parlament oder nur neuer Ministerpräsident?

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Sein Stabschef wurde schon festgenommen, seine eigene Rolle bei dem Korruptionsskandal ist noch unklar: António Costa, Ministerpräsident von Portugal, hatte am Dienstag überraschend seinen Rücktritt eingereicht (Foto: Ana Brigida/dpa)

Nach dem überraschenden Rücktritt von Premier Costa fragt sich das Land, wie es weitergehen soll. Noch ist das Ausmaß der Korruptionsvorwürfe, die Costa das Amt gekostet haben, nicht absehbar.

Von Patrick Illinger, Madrid

Am Tag nach dem überraschenden Rücktritt des portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa hat die Debatte über die politische Zukunft des Landes begonnen. Es liegt nun an Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa zu entscheiden, ob es zu Neuwahlen kommt oder ob er das derzeitige Parlament über einen Nachfolger Costas abstimmen lässt.

An diesem Mittwoch hat Marcelo Rebelo de Sousa begonnen, die Spitzen der acht im Parlament vertretenen Parteien zu Gesprächen zu empfangen. Am Donnerstag wird er mit dem Staatsrat über die Frage der Neuwahlen beraten. Der Staatsrat ist ein Beratungsgremium des Präsidenten, das es in anderen Ländern so nicht gibt. Dessen Mitglieder muss der Präsident in wichtigen, überparteilichen Fragen konsultieren.

Der Staatspräsident muss entscheiden, ob und wann Neuwahlen stattfinden

Einer der Mitglieder des Staatsrats, Marques Mendes, hat in den Medien angedeutet, dass der Präsident Wahlen ansetzen könnte, gleichzeitig aber Costas Sozialisten-Partei PS etwas Zeit lassen wird, sich bis zum Wahltermin zu organisieren. Er nannte ein mögliches Datum Ende Februar oder im März.

Wofür der Anführer der größten Oppositionspartei, PSD-Chef Luís Montenegro, plädiert, ist klar: Die Regierung sei "von innen zusammengebrochen" sagte er in der Zeitung Expresso. Die einzige Lösung bestehe nun in einem Urnengang. "Wir sind vorbereitet", versicherte er.

Costa, der sich seit 2022 auf eine absolute Parlamentsmehrheit stützen konnte, wird das Amt vorerst kommissarisch weiterführen. Der Präsident der PS, Carlos César, hat erklärt, dass die Partei auf beide Szenarien vorbereitet sei.

Ein möglicher Nachfolger für Costa stünde bereit

Auf Seiten der Sozialisten gilt Pedro Nunos Santos als möglicher Nachfolger Costas. Er war bis Januar dieses Jahres Minister für Infrastruktur und Wohnungsbau und würde für eine eher linksgerichtete Politik stehen. Möglich ist auch, dass ein Kandidat der Mitte aufgestellt wird, der die als wenig sozialistisch angesehene Politik Costas fortsetzen soll. In jedem Fall rechnen Beobachter damit, dass Portugals Sozialisten einige Zeit brauchen werden, um die von António Costa seit 2015 geschmiedete Führungsriege neu zu formieren. Ihren bislang für März angesetzten Parteikongress werden die Sozialisten höchstwahrscheinlich vorziehen.

Mehr noch als die Rücksicht auf parteiinterne Bedürfnisse könnten die in diesen Tagen erst noch abzuschließenden Verhandlungen des Staatshaushaltes gegen eine vorschnelle Parlamentsauflösung sprechen. Portugal hat dringende Probleme, die sich durch eine Phase parlamentarischen Vakuums nur verschlimmern würden. Dazu zählt die Rettung des staatlichen Gesundheitssystems: Es wurde in den vergangenen Jahren derart zusammengespart, dass es in jüngerer Zeit zu akuten Notständen in der medizinischen Versorgung kam. Reformen braucht es auch bei der Lage der Lehrerinnen und Lehrer des Landes, ebenso beim Wohnungsbau. Umstritten ist in Portugal auch die Privatisierung der Fluglinie TAP, die der scheidende Ministerpräsident Costa bisher vorangetrieben hat.

Auftrieb für die extreme Rechte

Einig sind sich die Vertreter der meisten Parteien in der Befürchtung, dass es bei Neuwahlen zu einer Stärkung der extrem rechten Partei Chega kommen könnte. Diese hat in den vergangenen Jahren - wie ähnliche Gruppierungen in anderen EU-Ländern - mit populistischen Positionen Stimmen am rechten Rand gewinnen können. Derzeit ist Chega als drittstärkste Partei mit elf der 230 Sitze im Parlament vertreten.

Unterdessen werden erste Details der Vorwürfe der Justizbehörden bekannt, die am Dienstagnachmittag den überraschenden Sturz der Regierung ausgelöst hatten. Der wegen Fluchtgefahr festgenommene Stabschef Costas, Vítor Escária, könnte eine zentrale Rolle bei der illegalen Vergabe von industriellen Großaufträgen gespielt haben, vermuten mehrere Medien. Womöglich hat der ebenfalls verhaftete Unternehmer Diogo Lacerda Machado - Costas Freund und Trauzeuge - den Stabschef mit Schmiergeld dazu bewegt, Projekte zu fördern. Dabei geht es unter anderem um ein 3,5 Milliarden Euro teures Rechenzentrum. Dessen Umweltprüfung sei beispielsweise übergangen worden, berichtet die Zeitung Observador.

Der eine Verhaftete war Costas Freund und Trauzeuge

Ein weiteres Projekt in Sines, das im Fadenkreuz der Ermittler steht, ist der Bau einer riesigen Wasserstoff-Produktionsanlage, der allerdings vor der Realisierung gescheitert war. Auch geht es um die Vergabe von Lizenzen zur Erkundung von Lithium-Vorkommen in Portugal. Bereits 2020 hatte eine Investigativ-Journalistin unter anderem herausgefunden, dass eine Lithium-Konzession an ein Unternehmen vergeben wurde, das erst drei Tage zuvor gegründet worden war. Lithium-Bergbau wird von Umweltschützern äußerst kritisch gesehen.

Costas Stabschef Vítor Escária war bereits 2016 in einen Vorfall verwickelt, bei dem es um Reisen und Eintrittskarten für die Fußball-Europameisterschaft 2016 ging. Damals gelang es ihm, mit einer Geldbuße davonzukommen. An diesem Mittwoch sollten Escária, Machado und weitere Angeklagte, unter ihnen der Bürgermeister von Sines, dem Haftrichter vorgeführt werden.

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Unklar ist noch, ob Costa Mitwisser war oder gar eine aktive Rolle bei den Machenschaften gespielt hat. Mehrere Politiker verlangen von der Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe zu präzisieren, um den Verdacht der Justiz-Willkür zu vermeiden. Mit der Affäre dürfte Costas politische Karriere jedoch beendet sein, auch auf der internationalen Bühne: Costa galt in Brüssel als chancenreicher Nachfolger des Belgiers Charles Michel für das Amt des EU-Ratspräsidenten. Im Juni 2024 werden die Spitzenämter neu vergeben, die Ratspräsidentschaft könnte an die Sozialdemokraten gehen. Traditionell wird das Amt mit einem ehemaligen Regierungschef besetzt. Costa wäre ein idealer Kandidat gewesen, aber die Verwicklung in einen Bestechungsskandal wäre damit wohl kaum vereinbar.

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