Politik:Wir Barbaren

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US-Präsident Trump hat selbst den Händedruck schon als symbolische Waffe eingesetzt. Hier Anfanfg des Monats mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinisto (Foto: AFP)

Hetzer, die sich gegenseitig Hetze vorwerfen. Politiker die einander keinen Respekt zeigen. Wir brauchen eine globale Kultur der Höflichkeit - denn nur mit ihr lassen sich Gräben überwinden.

Kolumne von Karl-Markus Gauß

Auf einmal hat es Andrea Costa gereicht. Wer das ist? Der Bürgermeister von Luzzara, einer Kleinstadt in der Emilia-Romagna, der in seiner Kommune ein Boshaftigkeitsverbot erlassen hat. Die Sprache der Öffentlichkeit und der sozialen Medien, so der angewiderte Mann, habe sich in den letzten Jahren dermaßen barbarisiert, dass selbst jene, die das beklagen, sich der Verrohung oft nicht mehr zu entziehen wissen. Bürgermeister Costa zeigte dabei nicht denunziatorisch auf andere, sondern irritiert auf sich selbst, und grübelte darüber, was mit ihm geschehen sei, dass ausgerechnet er unlängst einen politischen Gegner zum gefährlichen Idioten stempelte. Freilich, eine Verordnung, die der Gehässigkeit im kommunalen Raum sprachpolizeilich beikommen möchte - klingt das nicht schon gefährlich so, als träume hier jemand von seiner kleinen Republik der Tugend?

Doch Andrea Costa schwebt kein Zwangssystem des Guten, sondern ein kultureller Feldzug vor. Als Sanktion von Reden im Gemeinderat, die ordinär, von Kommentaren im Internet, die denunziatorisch gerieten, empfiehlt er, dass der sprachliche Wüterich ins nahe Padua geschickt werde, um dort in Giottos Kapelle das Wunder der Schönheit zu erfahren und dabei zur ruhigen Betrachtung der Dinge zurückzufinden. Gegen rassistisch imprägnierte Tiraden sieht er die Lektüre von Büchern wie "Ist das ein Mensch?" von Primo Levi vor. Das hat, finde ich, der ich ansonsten nicht viel davon halte, dass Bücher strafweise gelesen werden sollen, durchaus etwas für sich.

Die Freude an der verächtlichen Rede prägt den Streit im digitalen Raum, aber was wir dort als Gefahr erkannt haben, ist in die analoge Welt herübergeschwappt. Dass es überfällig ist, die öffentliche Rede zu zivilisieren, ist so klar, dass es längst in zahllosen öffentlichen Reden verlangt wird. Im Internet wiederum pflegen Hetzer neuerdings Hetzer empört der Hetze zu bezichtigen, was noch nicht bedeutet, dass sie damit einen Prozess der Selbstreinigung anstoßen wollten. Mittlerweile gibt es ein ziemliches Gedränge von Saubermännern, die selbst sprachlichen Schmutz verbreiten, und von rhetorischen Hooligans, die gekränkt beklagen, dass sie böswillig nur immer missverstanden und in ein falsches Licht gerückt werden. Wie ja heute überhaupt immer mehr Leute versessen darauf sind, einen dauerhaften Status der Gekränktheit zu erlangen, weil dieser es ihnen erlaubt zu toben, wann immer und gegen wen immer es ihnen beliebt.

Selbst ein Händedruck kann gefechtstauglich gemacht werden

Der Philosoph Thomas Macho hat in einer Studie über die Höflichkeit geschrieben, dass diese zu einer Art von universeller Kompetenz werden müsse, damit globales Engagement - sei es in der Politik, in Handel und Ökonomie oder im Tourismus - überhaupt gewährleistet und gesichert werden könne. Das ist leicht zu begreifen: Die Kulturen auf der einen gemeinsamen Erde haben sich über die Epochen verschieden entfaltet und überall andere Eigenheiten, Obsessionen, Traditionen ausgeprägt; und da die Menschen von da wie dort nie mehr für sich alleine und in fröhlicher oder stumpfsinniger Abgeschiedenheit voneinander existieren werden, muss es Formen geben, in denen ihre Kommunikation gelingen kann. Deswegen bieten international agierende Konzerne ihren Managern und spezialisierten Fachkräften ja Lehrgänge in interkultureller Kommunikation an, damit der deutsche Ingenieur, wenn er in der japanischen Tochter- oder Schwesterfirma arbeitet, nicht unbeabsichtigt seine japanischen Kollegen vor den Kopf stößt oder, notabene, kränkt; und vice versa, denn auch wer nach Deutschland kommt, muss von manchem, was ihn fremd anmutet, erst lernen, dass es den meisten Deutschen nicht nur vertraut, sondern geradezu lieb ist und daher von ihm zwar nicht zwangsweise nachgeahmt, aber immerhin respektiert werden sollte.

Wer je in Japan war, der weiß, dass dort das bei uns übliche Händeschütteln wenig beliebt ist, es stattdessen für Begrüßung und Verabschiedung einen ungemein fein differenzierten Code von Verbeugungen gibt. Unvergessen wird daher bleiben, wie Donald Trump den japanischen Ministerpräsidenten Shinzō Abe beim Besuch im Weißen Haus zu einem über zwanzig Sekunden währenden Wettkampf nötigte, wer die Hand des anderen fester drücken könne, was Abe mit einer Miene über sich ergehen ließ, in der sich zuerst ungläubiges Staunen, dann geradezu Fassungslosigkeit abzeichnete. Inzwischen haben wir uns an das Bild aus dem Weißen Haus gewöhnt: Trump, seinem Besucher schräg gegenüber sitzend, ergreift dessen Hand, um den Gast mit festem Griff bald heranzuziehen, bald fortzudrücken und nach schmerzenden Momenten der Pein und Peinlichkeit mit der linken Pranke begütigend die gequetschte Hand zu tätscheln. So wird aus dem Händeschütteln eine infantile Bekundung von Kraft und Macht, während es einst doch symbolisiert hat, dass zwei Menschen sich als gleichrangig anerkennen und gegenseitig ihrer friedlichen Absichten versichern.

Selbst eine so simpel anmutende Sache wie das Händeschütteln kann also gefechtstauglich gemacht werden, nicht nur wenn sich muslimische Eiferer weigern, Frauen die Hand zu reichen, sondern auch wenn westliche Geiferer ihre Stärke im festen Drücken demonstrieren möchten. Und erst die Wörter! Keines, das nicht missbraucht, in seiner Bedeutung ins Gegenteil verkehrt werden könnte. Im Krieg um die Wörter geht es oft gerade um die hehrsten Begriffe. Wo immer neuerdings der Abbau sozialer Errungenschaften betrieben wird, ist es zuvor "die Gerechtigkeit", der es an den sprachlichen Kragen geht. Das ist schlimm, aber schlimmer wäre es, bestimmte Gesten und Wörter aufzugeben, weil andere sie sich für ihre rüden Zwecke angeeignet haben. Der wackere italienische Bürgermeister Andrea Costa kann die Welt nicht retten, aber wir müssen wissen, dass seine Gemeinde Luzzara überall ist.

© SZ vom 18.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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