Vor der Wahl im Herbst:"Aus Liebe zu Polen"

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Der stellvertretende polnische Ministerpräsident Jarosław Kaczyński (r.) bei der Abstimmung, ob gemeinsam mit der Wahl auch ein Referendum abgehalten werden soll. (Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Deutschlands Nachbar steckt im Wahlkampf - und sowohl die Regierung in Warschau als auch die Opposition arbeiten vor allem am Aufbau von Feindbildern.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Zwischen Hüpfburgen auf sogenannten Familien-Picknicks und Truppenverlegungen an die Grenze zum östlichen Nachbarn Belarus hat in diesen Tagen in Polen der offizielle Wahlkampf begonnen. Am 8. August hatte Präsident Andrzej Duda endlich den Termin für die Wahl zum neuen Sejm bekannt gegeben: Sonntag, 15. Oktober. Das war auch der Startschuss für die Kampagnen. Noch ist es heiß, noch sind Schulferien. Aber täglich mehr verlagert sich der Wahlkampf aus den Fernsehnachrichten und den Zeitungskommentaren in die U-Bahnhöfe und Kleinstadtparks.

Wer einen Platz im Sejm möchte, läuft nun durch die Straßen und sammelt Unterschriften, um kandidieren zu können. Die PiS setzt noch bis zum Schulanfang im September ihre Familien-Picknicks fort, wo sie vor allem in kleineren Orten für ihr Kindergeld wirbt. Das Kindergeld soll vom 1. Januar an von monatlich 500 auf 800 Złoty, etwa 180 Euro, erhöht werden. Offiziell handelt es sich um eine "Informationskampagne des Familienministeriums" - und wird deshalb von Steuergeld bezahlt, obwohl es doch recht auffällig einfach eine Werbung der PiS für sich selbst ist.

In allen Umfragen liegt die regierende PiS-Partei derzeit knapp vorne

Die Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, will nach acht Jahren weiter regieren. In Umfragen aller Institute liegt sie mit 32 bis 35 Prozent der Stimmen vorn. Immer dichter gefolgt von der Koalicja Obywatelska, der Bürgerkoalition, mit um die 30 Prozent. Es ist das Lager von Donald Tusk, des früheren Ministerpräsidenten Polens und Ratsvorsitzenden der EU. Alle anderen Parteien liegen derzeit wieder unter zehn Prozent, und erneut wird es auf einen Zweikampf dieser Lager hinauslaufen.

Ihr Wahlprogramm hat die rechtsnationale Regierungspartei auf vier Fragen heruntergebrochen, auf die Wahlberechtigte ebenfalls am 15. Oktober in einem Referendum antworten sollen. Am Montag begann die PiS ihre Kampagne für das Referendum, sie trägt den sinnigen Titel "Viermal Nein".

Es geht um Migration, Renten, Sicherheit und Staatseigentum. Die EU-Staaten hatten sich in Brüssel gerade auf einen neuen Asylkompromiss geeinigt, da brachte der stellvertretende Ministerpräsident und PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński die Idee eines Referendums auf. Die Bürger sollen nun über die Frage abstimmen: "Unterstützen Sie die Aufnahme Tausender illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika im Rahmen des von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsumsiedlungsmechanismus?"

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"Die Deutschen wollen Tusk in Polen einsetzen, damit er ihnen unser gemeinsames Eigentum verkauft."

Doch die PiS erweiterte das Referendum um drei weitere Fragen. So wird gefragt, ob die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre unterstützt wird und die Beseitigung des Stahlzauns an der Grenze zu Belarus.

Ausgangspunkt der aktuellen PiS-Kampagne aber ist die erste Frage im Referendum: "Unterstützen Sie den Verkauf staatlicher Vermögenswerte an ausländische Unternehmen, der dazu führt, dass polnische Frauen und Männer die Kontrolle über strategische Sektoren der Wirtschaft verlieren?"

Was der PiS-Vorsitzende damit meint, erklärt er in einem Wahlkampf-Video. Schon im zweiten Satz kommt er auf Deutschland zu sprechen, kurz darauf auf Donald Tusk. Es gehe bei der Wahl um die Polen und Polinnen, sagt Kaczyński. Ausländische Politiker, "auch deutsche", hätten dabei nichts mitzureden. "Die Deutschen wollen Tusk in Polen einsetzen, damit er ihnen unser gemeinsames Eigentum verkauft." Bei einer Militärparade am Tag der polnischen Armee am 15. August hatte Kaczyński Tusk als "Personifizierung des Bösen" bezeichnet.

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Am Sitz des Mineralölkonzerns Orlen warnten polnische Minister am Montag vor einem Ausverkauf des Staates unter einer Regierung Tusk. Das Argument: Tusk habe bereits früher als Ministerpräsident zahlreiche Betriebe privatisiert und ungünstige Verträge über Rohstofflieferungen mit Russland abgeschlossen - ein seit langer Zeit stets wiederholter Vorwurf. Tatsächlich hatte Polen bis zum Krieg in der Ukraine auch unter der PiS-Regierung etwa Kohle und Öl aus Russland bezogen.

Der börsennotierte Konzern PKN Orlen hingegen konnte sein Unternehmen 2020 unter der PiS um den staatlichen Energiekonzern PGNiG erweitern. Das Tusk-Lager tourt nun mit einer Kampagne, die "Allee der Millionäre" heißt, durchs Land. Sie soll zeigen, wer sich unter der PiS alles durch Posten und Beteiligungen bereichert hat.

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Das Referendum nennt die Opposition eine "Schande", die Fragen seien "grenzenlos dumm, tendenziös, ideologisiert und europafeindlich", sagte eine Linken-Abgeordnete im Sejm. Auf scharfe Kritik folgten Boykottaufrufe, aber auch viel Spott, Witze über Zusatzfragen zu Eissorten oder über Gegenreferenden haben Konjunktur.

Deutlich wird vor allem: Beide Seiten bauen an ihrem Feindbild. Schon lange wird beklagt, dass es in diesem Wahlkampf sehr wenig um Inhalte wie Gesundheitsversorgung, Inflation, Wohnungsnot gehe. Stattdessen verschärfen sich die persönlichen Angriffe täglich. Dabei gibt es eine Gemeinsamkeit: Beide Seiten setzen im Wahlkampf auf ihre Liebe zum Vaterland - mit zum Verwechseln ähnlichen Slogans. "Aus Liebe zu Polen" heißt es bei der PiS. "Mit Polen in unseren Herzen" bei der Bürgerkoalition.

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