Lech Wałęsa wird 80:Danzig feiert den Helden der Freiheit

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"Ohne Wałęsa wären Polen und Europa... heute nicht der gleiche Ort": Der frühere Gewerkschaftsführer und Staatspräsident 2022 bei einer Preisverleihung in Berlin. (Foto: John Macdougall/AFP)

Er führte Millionen Solidarność-Gewerkschafter an und brachte Polens kommunistische Diktatur zu Fall - Wałęsa trug bei zur Befreiung des ganzen Ostblocks. Für Regierung und Staatsspitze kein Grund, ihn zu würdigen.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Zwei Tage lang wird in Danzig gefeiert werden. Der Geburtstag eines Mannes, der Legende wurde, und das Jubiläum der Nobelpreisverleihung an die Legende. Seine Heimatstadt weiß, was sie Lech Wałęsa schuldig ist. An diesem Freitag wird er 80 Jahre alt, und 40 Jahre ist es her, dass dem damaligen Solidarność-Vorsitzenden der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Eingeladen sind andere Friedensnobelpreisträger und Menschenrechtsaktivisten, ehemalige Präsidenten werden zugegen sein, auch der frühere EU-Ratspräsident und gebürtige Danziger Donald Tusk.

"Wir wissen es alle", heißt es auf der Homepage der Stadt Danzig, "ohne Wałęsa wären Polen und Europa, sogar die ganze Welt, heute nicht der gleiche Ort." Wissen das wirklich alle? Dass Wałęsa, der Elektriker, als Streikführer und Anführer von zehn Millionen Solidarność-Mitgliedern die polnische kommunistische Diktatur zu Fall brachte und damit dazu beitrug, den ganzen von der Sowjetunion beherrschten Ostblock einzureißen? Dass Wałęsa 1990 in freien, demokratischen Wahlen zum Präsidenten Polens gewählt wurde?

Polens PiS-Regierung will Wałęsas Verdienste nicht anerkennen

Die heutige polnische Regierung möchte davon zumindest nichts wissen. Nicht zur Feier nach Danzig kommen: Polens Staatspräsident Andrzej Duda, Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński. Die Feier wird im Fernsehen übertragen, aber nicht vom staatlichen Sender TV Polska, sondern vom privaten Sender TVN.

Polen kann sich auf eine gemeinsame Geschichte nicht mehr einigen. Kaum ein Ereignis zeigt das deutlicher als dieser runde Geburtstag. Wałęsa und der sechs Jahre jüngere Kaczyński kennen sich gut, in der Wendezeit um 1989 arbeitete Wałęsa eng mit den Kaczyński-Brüdern Lech und Jarosław zusammen. Auch der heute 66-jährige Tusk und selbst der erst 55 Jahre alte Morawiecki waren als junge Leute selbst in der Solidarność aktiv.

Die Welt blickte 1980 gebannt auf Danzig: Lech Wałęsa (in Schwarz) spricht zu den Streikenden auf der Lenin-Werft. (Foto: Jorma Puusa/Lehtikuva/AFP)

Doch anders als Tusk wollen die PiS-Politiker Wałęsa heute nicht ehren, seine Verdienste nicht anerkennen. Stattdessen wird Wałęsa vom staatlichen Institut für nationale Erinnerung IPN systematisch diffamiert, als Stasi-Spitzel und als jemand, der am runden Tisch 1989 einen schlechten Deal mit den herrschenden Kommunisten eingegangen ist. Unter Druck hatte Wałęsa tatsächlich einst eine Vereinbarung über die Mitarbeit für den Geheimdienst unterschrieben - es gilt allerdings als gesichert, dass er keine verwertbaren Informationen lieferte.

"Es gibt so viele Bemühungen, seinen Mythos zu zerstören", sagt Basil Kerski, er leitet das Europejskie Centrum Solidarności in Gdańsk - Danzig. In dem 2015 eröffneten Gebäude auf dem Gelände der früheren Werft werden die Feierlichkeiten am Freitag und am Samstag stattfinden. Kerski ist selbst in Danzig geboren, das Erinnern an die Streiks in der Lenin-Werft ist für ihn Lebensaufgabe geworden. Eben hat er mit anderen das Buch "Solidarność - Die unvollendete Geschichte der europäischen Freiheit" herausgegeben. Denn gerade jetzt, da Russland versucht, die Ukraine zu vernichten, sehe man, dass dieser Kampf noch nicht zu Ende ist, sagt Kerski. Auch deshalb ist die ukrainische Menschenrechtlerin Oleksandra Matwijtschuk eingeladen, die 2022 den Right Livelihood Award erhielt, den sogenannten alternativen Nobelpreis.

Von 1990 bis 1995 war Wałęsa Staatspräsident Polens. Hier beim Besuch des damaligen aus Polen stammenden Papstes Johannes Paul II. (Foto: PAP/DPA)

Den Ukrainern, sagt Kerski, bedeute Wałęsa viel. Und Wałęsa ist es weiterhin ein Anliegen, für Menschen- und Bürgerrechte einzutreten. Auf dem Maidan in Kiew unterstützte er 2004 die Orange Revolution gegen die russische Einflussnahme. Im Juni war Wałęsa Donald Tusks Aufruf zur Kundgebung gegen die PiS-Regierung gefolgt. Am 15. Oktober wird in Polen gewählt, die PiS kämpft um ihre Macht. Dabei geht es auch um die Geschichte des Landes und darum, dass die PiS-Regierung ihre Sicht der Dinge als einzig gültige durchsetzen will.

Basil Kerski bekommt das täglich zu spüren. Das Europejskie Centrum Solidarności ist eine staatliche Einrichtung, doch das Geld reicht hinten und vorne nicht aus. Das Zentrum zeigt nicht nur eine Dauerausstellung über die Solidarność, es ist vor allem ein Ort für Diskussionen und Veranstaltungen, Demokratie fördern, Zivilgesellschaft stärken, so lauten die Anliegen.

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Weil Kerski keine von der PiS-Regierung entsandten Co-Direktoren akzeptieren wollte, wurde sein Budget vor Jahren auf ein Minimum gekürzt. Die Regierung richtet in Danzig ein weiteres Solidarność-Museum ein. Und streitet mit Kerski vor Gericht um das zentrale Ausstellungstück im Europäischen Zentrum: Die große Spanplattentafel, auf der die Streikenden ihre Forderungen aufschrieben. Der Kulturminister möchte die Tafel ins Schifffahrtsmuseum bringen lassen - weil sie dort früher aufbewahrt wurde.

Auch für ihn und für die gesamte Kulturwelt seien die Wahlen am 15. Oktober entscheidend, sagt Kerski. "Danach kann ich entweder einpacken - oder es wird zumindest sehr, sehr kompliziert." Im Senat hat die Opposition die Mehrheit. Der Senat unterstützt Kerski nicht nur im Kampf um die Solidarność-Tafel. Er hat auch einen Beschluss zur Ehrung Wałęsas gefasst - und will am Freitag feiern.

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