Spanien:Sie können es wohl nicht mehr

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Für Podemos ist die Zeit der Feiern vorbei: Pablo Iglesias und Irene Montero (Mitte), heute Noch-Ministerin für Gleichstellung, nach dem Wahlerfolg 2016. (Foto: Gerard Julien/AFP)

Die linke Podemos fing 2011 als Protestbewegung an, dann prägte sie die spanische Politik ein Jahrzehnt lang mit - doch jetzt nähert sie sich der Bedeutungslosigkeit. Derselbe Mann, der für ihren Aufstieg stand, steht nun für den Niedergang.

Von Patrick Illinger, Madrid

Die große Hoffnung begann an der Puerta del Sol, Madrids zentralem Platz. Nach einer Kundgebung am 15. Mai 2011 entschlossen sich Hunderte, zumeist jüngere Menschen, dort, mitten in der spanischen Hauptstadt, auch gleich ihre Zelte aufzuschlagen. Buchstäblich. Wochenlang campierten in Madrid und in mehr als 50 weiteren Städten "die Empörten", wie sich die Demonstranten nannten.

Noch bevor "Occupy Wall Street" in New York weltweite Aufmerksamkeit erlangte, forderte Spaniens Jugend damals teilhabende Demokratie, wetterte gegen das Establishment der großen Volksparteien und das Diktat der Banken. Die Finanzkrise und die in Spanien spektakulär geplatzte Immobilienblase hatten dem Land eine dramatische Jugendarbeitslosigkeit beschert. Inmitten der Protestcamps formierten sich Kollektive und Arbeitsgruppen. Aus der Verzweiflung wurde Hoffnung - und 2014 die Partei Podemos.

"Wir können es", sagte der Name. Er strahlte ähnliche Hoffnung aus wie Barack Obamas "Yes, we can". International bekannt wurde Podemos auch dank seiner unkonventionellen, medial begabten Führungsfigur: Pablo Iglesias, dem Mann mit Bärtchen und Zopf. Mit weiteren linken Gruppierungen zu Unidas Podemos erweitert, wurde Podemos eine prägende politische Kraft in Spanien.

2019 folgt der vorläufige Höhepunkt: Podemos regiert mit

2015 zog sie mit 20,7 Prozent als drittstärkste Partei ins Parlament ein. Das tradierte System der zwei großen Volksparteien schien durchbrochen zu sein. 2019 wurde Podemos Koalitionspartner der traditionellen Sozialistenpartei PSOE von Pedro Sánchez und Iglesias einer der vier Vizeministerpräsidenten. Beeindruckend waren auch die Erfolge in Regionalwahlen. Im Baskenland erreichte die Partei zeitweise fast 30 Prozent Stimmenanteil.

Von alldem ist heute nichts mehr viel übrig. Knapp zehn Jahre nach der Gründung ist Podemos eher ein hoffnungsloser Fall als ein Hoffnungsträger. "Die Partei ist in der Selbstauflösung, auch wenn sich das noch einige Zeit hinziehen könnte", sagt der Madrider Politologe Fernando Vallespín.

Was ist geschehen? Als Problem erwies sich ausgerechnet der Mann, der Podemos zum Erfolg geführt hatte: Pablo Iglesias. Reihenweise entzweite er sich im Laufe seiner politischen Karriere mit Mitstreitern, teils engen Freunden. Die Bindungen zu anderen links-alternativen Bewegungen wie En Comú in Barcelona oder Compromís in Valencia gingen in die Brüche. Aus der partizipativen Demokratie wurde eine personifizierte Partei: Iglesias' Partei.

Heute erreichen die Linken nicht mal mehr Minimalziele

2021 trat er überraschend als Generalsekretär zurück, verzichtete auf sein Ministeramt, kandidierte für das Regionalparlament von Madrid, scheiterte jedoch und zog sich ganz zurück. Unter der neuen Podemos-Generalsekretärin Ione Belarra, derzeit Ministerin für Sozialrechte und bekennende Ökofeministin, folgte ein Debakel bei den Regionalwahlen im Mai dieses Jahres. Podemos flog aus nahezu allen Parlamenten der Autonomieregionen. Nicht einmal ihr Minimalziel erreichten die Linken: den Wiedereinzug in den Stadtrat von Madrid, wo alles begonnen hatte.

Der Anfang: Aus den Demonstrationen auf der Madrider Puerta del Sol 2011 geht die Bewegung Podemos hervor. (Foto: Pedro Armestre/AFP)

"Der Bereich links von der PSOE ist abgesoffen", schrieb die Zeitung El País. Bei den Nationalwahlen am 23. Juli trat Podemos erst gar nicht mehr als eigenständige Partei an. Sumar nennt sich das neue Linksbündnis, ein Geflecht aus mehr als zwei Dutzend Splitterparteien, das mit 31 Abgeordneten in den Kongress einzog. Fünf von ihnen sind noch Podemos-Leute.

Vor allem zwei Namen stehen seit Iglesias' Rückzug für Podemos: der Belarras, und der Irene Monteros, der Noch-Ministerin für Gleichstellung. Die eine ist Iglesias' Nachfolgerin, die andere seine Partnerin. Montero hat große Verdienste daran, dass im einstigen Land des Machísmo inzwischen Frauenrechte hochgehalten werden und männliche Gewalt angeprangert wird. Doch passierte ihr ein fataler Fehler: Ein Gesetz, das vermeintlich harmlose Akte sexueller Gewalt stärker bestrafen sollte ("Nur ja heißt ja"), enthielt einen handwerklichen Mangel: Das Höchststrafmaß für Vergewaltigung sank.

In der Folge kamen einige Hundert Langzeit-Häftlinge vorzeitig frei. Doch statt den Fehler geräuschlos zu beseitigen oder zumindest zuzugeben, verteidigte Montero das missglückte Gesetz, leugnete die Mängel und beschuldigte die Justiz. Für Konservative war es ein gefundenes Fressen: Die Linke schickt Vergewaltiger zurück auf die Straße - das wurde zum Dauerargument im Wahlkampf.

"Die Rechten freuen sich", wenn es Reibereien im Linksbündnis gibt

Heftige Wogen erzeugt auch Ione Belarra, die aktuelle Podemos-Chefin. Nach den Hamas-Terrortaten vom 7. Oktober forderte sie, die diplomatischen Beziehungen zu Israel zu kappen und Netanjahu vor dem Gerichtshof für Menschenrechte anzuklagen. Dass Ministerpräsident Sánchez derartige Ausfälle in seinem Kabinett ignoriert statt sanktioniert, lässt sich als Zeichen dafür deuten, dass Belarras Tage als Ministerin gezählt sind. Montero war bereits vor den Wahlen im Juli von der Kandidatenliste des Linksbündnisses Sumar gestrichen worden.

Dessen neues Gesicht heißt Yolanda Díaz. Der charismatischen Politikerin, derzeit Arbeitsministerin im Kabinett Sánchez und Gründerin von Sumar, haben es Spaniens Linke zu verdanken, dass sie mit 31 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten sind. "Doch das fragile Bündnis steht und fällt mit ihrer Person", sagt der Politologe Vallespín. Und die in Sumar eingegliederten Podemos-Vertreterinnen kämpfen gegen ihren Bedeutungsverlust. Man fordert auch in der künftigen Regierung Ministerämter, am besten für beide, Belarra und Montero. Yolanda Díaz' Aufgabe, die Podemos-Vorstöße zu bändigen, verglich El País mit einem Stierkampf.

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Als Ada Colau, die ehemalige Bürgermeisterin Barcelonas, in dieser Woche Podemos davor warnte, die derzeit laufende Regierungsbildung des Sozialisten Sánchez zu gefährden, reagierte plötzlich ein Mann aus dem Off: Pablo Iglesias. Über soziale Medien verbreitete er einen verbalen Wutanfall. Die Sumar-Anführerin Yolanda Díaz forderte er zudem auf, sich zu erinnern, "wer sie zur Ministerin gemacht hat".

"Die Rechten freuen sich, wenn sichtbar wird, dass es innerhalb von Sumar Reibereien gibt", sagt Fernando Vallespín. Für viele ist das Getöse aus dem Podemos-Lager eher das Signal eines politischen Finales. Ein Finale Furioso, wie es in der Musik heißt.

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