Am Freitagnachmittag um 15:31 Uhr greift Donald Trump zum Telefon. Er wählt die Nummer von Robert Costa von der Washington Post und sagt: "Bob, wir haben es gerade zurückgezogen." Bei dem "es" handelt sich um das American Health Care Act (AHCA), jenes umstrittene Ersatzgesetz für Obamacare, das Trump einen halben Tag vorher per Ultimatum durchsetzen lassen wollte. Nun steht fest, dass die Drohung nichts bewirkt hat: Die eigene Fraktion der Republikaner verweigert Trump die Gefolgschaft, es ist eine krachende Niederlage für den US-Präsidenten.
Trump reagiert auf typische Art. Bevor Paul Ryan, der Anführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, seine Fraktion informieren kann, ist das Desaster bekannt: Reporter Bob Costa verbreitet das Gespräch mit dem Präsidenten live per Twitter. Dass Trumps Vorpreschen respektlos ist, stört nicht: Der 70-Jährige will seine Botschaft loswerden. Schuld seien die Demokraten, die nicht an Mitarbeit interessiert waren. Daher werde er Obamacare "explodieren" lassen - und wenn die Probleme wachsen, werde die Oppositionspartei schon angelaufen kommen.
Trump tritt also die Flucht nach vorn an und versucht, das Scheitern seines ersten Gesetzes abzutun und die Schuld anderen zuzuweisen. Er werde sich nun eben um andere Projekte wie die Steuerreform kümmern. Etwa ein Drittel der US-Wähler hält weiter treu zu Trump, doch die letzten Tage dürften viele verunsichern, die vor allem Trump wählten, um Hillary Clinton zu verhindern.
Dieser 24. März 2017 wird in die Geschichtsbücher eingehen, denn die abgeblasene Abstimmung fügt neben Trump vor allem der Republikanischen Partei schweren Schaden zu. Was der heutige Tag für die wichtigsten Akteure bedeutet und wie es für sie weitergeht.
Donald Trump: Der Dealmaker hat sich verzockt
Egal, wie sehr Fox-News-Experten es drehen wollen: Schuld an dieser Pleite hat Donald Trump. Er hat für das AHCA-Gesetz geworben - öffentlich, auf Twitter und in 120 Gesprächen von konservativen Abgeordneten. Er erhob keine Einwände, als Ryan und die anderen Top-Republikaner dafür plädierten, das Reformgesetz in 18 Tagen durchzupeitschen und es danach binnen einer Woche vom Senat verabschieden zu lassen (bei Obamacare wurde 13 Monate debattiert - eine Zeitspanne, die dem Thema und den Auswirkungen auf die Gesundheit von Millionen Menschen angemessen ist).
Tweets wie jener vom Februar 2016 werden gerade hämisch verbreitet - und dies ist Trumps größtes Problem: Das Image des Dealmakers ist angekratzt. Gewiss: Es ist nicht unmöglich, dass der Milliardär bald besser versteht, wie der Politbetrieb in Washington läuft. Aber Unternehmen, Investoren und Bürger werden sich fragen, ob Trump seine Versprechen (Deregulierung, Steuerreform, Nafta neu verhandeln) einlösen kann. Und auch für die internationale Bühne hilft diese Mischung aus Drohung, Bluff und Stümperei wenig.
Rätselhaft bleibt, wieso Trump sich für ein Gesetz engagierte, das seine Wahlkampf-Versprechen (u. a. niemand soll wegen früheren Leiden abgewiesen werden) nur unzureichend einhielt und weder Hardliner noch Pragmatiker zufriedenstellte. Er verstand nicht, wie vergiftet der Entwurf war: Die Abgeordneten sollten einem Vorschlag zustimmen, der Millionen die Versicherung genommen - und in dieser Form nicht im Senat überlebt hätte. Das Risiko, durch ein "Ja" als grausam zu gelten, ohne die Garantie eines politischen Erfolgs zu haben, wollten vor allem jene Republikaner nicht eingehen, die in Vororten großer Städte wohnen, wo Wahlen noch knapp sind.
An seinem Aktionismus dürfte Trump festhalten und noch mehr versuchen, einen politischen Erfolg einzufahren. Er braucht gute Schlagzeilen, um von den vielen Fragen zu Kontakten einiger seiner Berater nach Russland abzulenken (das FBI ermittelt weiter) und sein angeblich so herausragendes Verhandlungsgeschick zu beweisen.