Pazifistin Bertha von Suttner:Kampf gegen Krieg

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Bertha Freifrau von Suttner: Die österreichische Pazifistin und Schriftstellerin regte die Stiftung des Friedensnobelpreises an, mit dem sie selbst 1905 als erste Frau ausgezeichnet wurde. (Foto: dpa)

Alfred Nobel macht sie zur Pazifistin, sie brennt mit dem Sohn ihres Chefs durch, warnt vor dem Weltkrieg, wird weltberühmt - und erntet kaiserlichen Hohn: Das außergewöhnliche Leben der Bertha von Suttner.

Von Oliver Das Gupta

Die folgenreichste Begegnung im Leben Bertha von Suttners geschah 1876 in Paris. Sie arbeitete als Privatsekretärin eines reichen Unternehmers aus Schweden. Der Mann hatte Dynamit erfunden und allerlei andere Substanzen, die die Waffentechnik revolutionieren sollten.

Alfred Nobel aber hasste den Krieg, sprach darüber mit seiner österreichischen Sekretärin - und legte bei Suttner den Hebel um. Sie hatte ihr Lebensthema gefunden: den Kampf gegen Krieg.

Ab 1885, nach einigen Jahren im Kaukasus, versuchte sie in zahllosen Vorträgen, Konferenzen und Schriften den Mächtigen ins Gewissen zu reden. Bis zu ihrem Lebensende am 21. Juni 1914 warb sie für den Frieden, aber auch Frauenrechte und Vegetarismus. Ihr größter publizistischer Erfolg wurde das Buch "Die Waffen nieder!" - eine pazifistische Parole, die die Zeiten überdauern sollte.

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1905 wurde sie als erste Frau mit einer Auszeichnung geehrt, die sie selbst in ihrer 20 Jahre währenden Brieffreundschaft mit ihrem schwedischen Inspirator angeregt hatte: den Friedensnobelpreis.

Ikone der Friedensbewegung

Suttner gilt als Ikone der Friedensbewegung, die inzwischen längst nicht mehr so stark ist, wie etwa während des Vietnam-Krieges oder zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses. Aber Bertha von Suttner ist präsent: 100 Jahre nach ihrem Ableben tragen im deutschsprachigen Raum zahlreiche Straßen und Schulen ihren Namen. In Österreich ziert ihr Konterfei die Zwei-Euro-Münze.

Als Bertha von Suttners Leben begann, deutete nichts auf bleibende Bekanntheit hin. 1843 kam sie in Prag als Komtess Kinsky von Wchinitz und Tettau zur Welt. Kurz zuvor war der Vater, ein 75 Jahre alter General, gestorben. Die bürgerliche Mutter verspielte das Erbe, die Tochter war mittel- und ziellos. Der Traum von der Opernkarriere blieb mangels Talent unerfüllt. Heiraten klappte auch nicht: einmal ertrank ein Verlobter, ein anderes mal ekelte sie sich vor dem Bewerber. Suttner selbst urteilte hart über ihre frühen Jahre. "Die jugendliche Bertha war doch eine rechte Null", schrieb sie als 64-Jährige.

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Bald nach Kriegsbeginn 1914 erstarrte die Westfront. Von der Kanalküste bis zur Schweizer Grenze gruben sich die Deutschen ein, ebenso Franzosen, Briten und deren Verbündete auf der anderen Seite. Was folgte, war ein Novum: Der Einsatz von Giftgas, Panzern und Artillerie tötete Hunderttausende.

Doch die junge Adelige war auch gebildet, selbstbewusst und ohne Scheu. Sie bewarb sich als Gouvernante bei einem Industriellen, dem Baron Karl von Suttner, um dessen Töchter im Suttner'schen Schloss Harmannsdorf bei Wien zu unterrichten. Es wurde der Beginn ihrer Liebe zu Arthur - dem Sohn ihres Arbeitgebers. Als das Paar in flagranti ertappt wurde, musste Bertha Kinsky gehen - und fand den besagten Job bei Alfred Nobel in Paris.

Der Erfinder erklärte ihr damals, dass wirksamere Waffen Krieg unmöglich machen, weil niemand mehr sich traut, den Frieden zu brechen - eine These, die Suttner danach zeitweise ebenfalls vertrat.

Bevor ihre große Zeit als Pazifistin begann, regelte sie ihre privaten Angelegenheiten. Sie kehrte von Paris nach Wien zurück, heiratete heimlich ihren Arthur - und brannte mit ihm durch. Ziel des Paares ist die Fürstin Ekatarina Dadiani von Mingrelien im heutigen Georgien. Dort schrieben sie Zeitungsartikel und Liebesgeschichten, versuchten sich an Übersetzungen, ein erster Roman entstand. Es waren entbehrungsreiche Jahre. 1885 kehrten sie nach Österreich zurück - und wurden akzeptiert. Die Familie von Arthur hatte dem Paar verziehen, das Paar zog nach Schloss Harmannsdorf.

Dort verfasste Bertha von Suttner den Roman, der 1889 mit seinen 37 Auflagen bis 1905 ihren Weltruhm begründet. "Die Waffen nieder!" wurde zum Motto für ihre These, dass angesichts der neuen Tötungs-Instrumente keine Seite mehr wirklich gewinnen kann. "Ein Entscheiden des Zukunftskrieges gibt es nicht: Erschöpfung, Vernichtung auf beiden Seiten." Das Werk hatte eine ähnliche Wirkmächtigkeit auf den Beginn der Friedensbewegung wie einst der Roman "Onkel Toms Hütte" im Kampf gegen die Sklaverei.

Arthur von Suttner teilte die Ansichten seiner Frau, auch er publizierte Schriften und setzte sich gegen den aufkommenden Antisemitismus ein, bis er 1902 starb. Die Ehe trübte eine Affäre Arthurs mit seiner Nichte. Bertha wusste von der Liebschaft, hielt an Arthur fest - und forcierte ihr Engagement. Suttner gründete Friedensgesellschaften, wirbt auf Vortragsreisen für ihre Idee, wird speziell in den USA umjubelt, wo sie auch Präsidenten Theodore Roosevelt trifft. In wenigen Wochen soll sie dort mehr als 600 Reden gehalten haben.

Gegen Fanatismus, Ungerechtigkeit - und Fleischesser

Suttner habe Pazifismus nicht nur als Kampf gegen Aufrüstung verstanden, sondern auch als Kampf gegen religiösen Fanatismus, gegen soziale Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen jeder Art, so beschreibt es die Historikerin Brigitte Hamann in ihrer Suttner-Biographie.

Suttner geißelte aber auch den Fleischgenuss und war damit auch eine Vorreiterin des Vegetarismus. Sie machte sich auch für Gleichberechtigung der Geschlechter stark. "Gleichwertig anerkannt" müssten Frauen künftig sein, schrieb sie in ihrem vorletzten Buch, einem Roman mit autobiographischen Zügen.

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Durch ihr rastloses Publizieren und ihre Vorträge wurde Suttner eine der berühmtesten Frauen ihrer Zeit. Doch in den mächtigen Eliten belächelte man die Österreicherin, die vor einem Krieg warnte. "Friedens-Bertha" nannte man sie abfällig in national-konservativen Kreisen im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn, in Karikaturen wird sie verspottet. In den auf Expansion und Prestige getrimmten Imperien galt das Militär als das Höchste, eine Frau wie Suttner als belächelte Nervensäge.

Auch der flatterhafte deutsche Kaiser Wilhelm II., der gerne über den Krieg schwadronierte und mit seiner aggressiven Außenpolitik das Klima in Europa kontaminiert hatte, höhnte über Suttner. Als um die Jahrhundertwende bei Haager Friedenskonferenz der Vorschlag gemacht wurde, ein internationales Friedensbüro einzurichten, um Streitfragen zwischen Staaten zu klären, mokierte sich der Kaiser schriftlich: "O herrje! Vorstand Frau von Suttner?!"

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Sie warnte immer wieder vor einem "großen Jammer-Zukunftskrieg" zwischen den Großmächten, einem Weltenbrand, der im Sommer 1914 tatsächlich begann. Am 28. Juni tötete ein Attentäter den österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajevo - für die mächtigen Kriegstreiber in Europas Hauptstädten ein passendes Fanal loszuschlagen.

Suttner erlebte das alles nicht mehr. Wenige Tage vor dem Doppelmord von Sarajevo starb sie Alter von 71 Jahren an Magenkrebs in Wien.

Mit Material von dpa.

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