Die elektronische Patientenakte, die von Januar 2021 an für jeden Patienten in Deutschland zur Verfügung stehen soll, wird zunächst eine entscheidende technische Einschränkung haben. Anders als geplant wird es für Patienten am Anfang nicht möglich sein auszuwählen, welche ihrer persönlichen Informationen ein Arzt, Apotheker oder Therapeut einsehen darf und welche nicht.
So wird etwa ein Physiotherapeut, der Einblick in die elektronischen Daten des Orthopäden braucht, auf diese Weise zum Beispiel auch über einen Schwangerschaftsabbruch seiner Patientin informiert. Oder ein Apotheker erfährt automatisch auch von der Psychotherapie seines Kunden. Aus Sicht der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, ist dies ein echtes Problem für die Akzeptanz der elektronischen Akte in der Bevölkerung und unter den Ärzten.
Wenn Patienten in Zukunft ihre elektronische Akte nutzen und zum Beispiel vermeiden wollen, dass ihr Zahnarzt die Informationen vom Urologen lesen kann, haben sie zwei Möglichkeiten: Entweder, sie verbieten dem Urologen, ihr Untersuchungsergebnis in die Akte zu schicken - dann kann später aber niemand diese Unterlagen nutzen, auch nicht das Krankenhaus oder der Hausarzt. Oder sie verbieten dem Zahnarzt den Zugriff auf die Akte.
Gesundheits-Apps:Sorgfalt vor Schnelligkeit
Gesundheitsminister Spahn will die Digitalisierung der Medizin möglichst rasch voranbringen und tendiert zur Ungeduld. Doch es sollten hier die gleichen hohen Standards gelten wie im Analogen.
Über frühere Behandlungen erfährt er dann aber auch nichts. Übrig bliebe nur noch ein Bereich in der elektronischen Akte, in dem Patienten zum Beispiel Artikel aus der Apothekenumschau speichern oder Daten aus einer Gesundheitsapp unterbringen können. Doch mit solchen Informationen können Ärzte im Zweifel nicht viel anfangen.
Seit knapp 15 Jahren geplant
Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik), die für die Entwicklung der Akte verantwortlich ist, erklärte auf Nachfrage, eine "differenzierte Rechtevergabe soll in Folgestufen umgesetzt werden". Wann genau Patienten die elektronische Akte wirklich individuell einstellen können und nicht jedem Arzt, der die Akte nutzen soll, auch gleich ihren HIV-Test oder ihr Depressionstagebuch präsentieren müssen, sollen nun die Gesellschafter der Gematik entscheiden, heißt es. Seit vergangenem Mittwoch gehört zu diesen Gesellschaftern auch das Bundesgesundheitsministerium. Es ist mit 51 Prozent eingestiegen.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sagten Vertreter der Gematik gegenüber mehreren Abgeordneten, der Grund für die technischen Abstriche sei die kurze Frist gewesen, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ihnen gesetzt hatte. Aufgrund dieses Zeitdrucks habe man sich entschieden, die Patientenakte Anfang 2021 erst einmal einzuführen und dann die Rechte für Patienten nachzuliefern. Die elektronische Patientenakte ist von der Bundesregierung seit knapp 15 Jahren geplant. Spahn hatte sich vorgenommen, sie in seiner Amtszeit endlich einzuführen