Ein Patient in Deutschland zahlt nicht selbst für seine Behandlungen, er lässt sie bezahlen. Fast alles, was die Bürger für ihre Genesung brauchen, bekommen sie vom Arzt verschrieben und von der Kasse bezahlt. So funktioniert das solidarische Gesundheitswesen und so sind es die meisten Deutschen gewohnt. Wenn also ein Unternehmen mit Medizin Geld verdienen will, wendet es sich in der Regel gar nicht erst an die Patienten. Pharmafirmen müssen Ärzte und Kassen von ihrer Ware überzeugen.
Dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun ermöglichen will, dass Kassen auch Gesundheitsapps übernehmen, ist in diesem System nur logisch. Spahn fördert damit die Digitalisierung der Medizin und er schafft Raum für Innovationen. Das ist überfällig. Doch zugleich darf man seine Initiative als ein gewaltiges Konjunkturpaket für Start-ups verstehen. Die App vom Arzt ist das, worauf eine ganze Branche sehnsüchtig gewartet hat.
Auch für Spahn selbst hat das Digitalgesetz, das er am Mittwoch vorgestellt hat, ein gewisses politisches Gewicht. Schon bei seiner Amtseinführung stellte er die Digitalisierung der Gesundheit in den Mittelpunkt seiner Reden. Mehrere Gesundheitsminister vor ihm hatten 15 Jahre lang erfolglos versucht, die Arztpraxen, Kliniken und Patienten mit elektronischen Patientenakten auszustatten. Spahn hat sich vorgenommen, in seiner Amtszeit den entscheidenden Schritt zu machen.
Nachdem er gleich zu Beginn eine vollkommen neue Abteilung für "Digitalisierung und Innovation" im Gesundheitsministerium gegründet hatte, engagierte sich Spahn kürzlich auch in der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte. Dieses Gremium aus Vertretern der Krankenkassen, Ärzte und Kliniken war bereits 2005 von der Politik beauftragt worden, alle Praxen mit einem sicheren Netz zu verbinden - und hatte sich darüber zwischenzeitlich bis zur Bewegungslosigkeit verhakt.
Doch wenn Spahn eines hasst, dann ist es Stillstand. Im vergangenen Jahr überraschte er Parlamentarier, Presse und Bürger mit immer neuen Reformvorschlägen für das Gesundheitswesen. Oft ist sein Mittel der Wahl die Zentralisierung. Statt demokratische, aber auch bürokratische Entscheidungsprozeduren einzuhalten, setzt er die Funktionäre des Gesundheitswesens gern mit einem Machtwort direkt unter Druck.
Ähnlich verfährt der Minister jetzt bei der Digitalisierung: Wo Ärzte trödeln, droht er ihnen mit noch deutlicheren Strafen. Die Apps auf Rezept werden in Zukunft nicht die Gesundheitsexperten des Gemeinsamen Bundesausschusses überprüfen, wie es etwa bei Medikamenten üblich ist. Spahn will eine neue, zügigere Zulassung durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte einführen. Diese Behörde ist ihm direkt unterstellt.
Umso wichtiger wird es deshalb werden, die Voraussetzungen, die eine medizinische App erfüllen muss, genau zu definieren und zu kontrollieren. Jedes Mittel, das ein Arzt verschreibt, sollte bereits gründlich erprobt sein - auch dann, wenn es digital ist. Werden die Hürden hier zu niedrig gesetzt, werden Patienten unfreiwillig zu Probanden für die Echtzeit-Tests von Softwareentwicklern. Zudem ist die ärztliche Schweigepflicht ein hohes Gut - ebenso hoch muss die Datensicherheit der Apps sein. So groß Spahns Ungeduld auch sein mag: Auch in der digitalen Medizin geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.