Paris:Nelken und Alltag gegen den Terror

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Die erste Nacht nach den blutigen Anschlägen: Wie gehen die Pariser mit dem Terror um?

Von Oliver Klasen, Paris

Wie beklemmend, wie bedrückend, wie - im schrecklichen Sinne des Wortes - zerrissen die Lage der Menschen in Paris ist, kann man auch daran erkennen, dass es diesmal keinen Satz gibt, hinter dem sich alle vereinen. "Je suis Charlie", ich bin Charlie, hieß dieser Satz im Januar, als die Redaktionsmitglieder der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo starben, hingerichtet von einem Terrorkommando. Eine ganze Nation stellte sich damals den Attentätern entgegen, auf der Place de la République versammelten sich Hunderttausende zu einem Protestmarsch gegen die Barbarei, aufgerufen dazu hatte die Spitze des Staates selbst.

Dieses Mal ist alles komplizierter. Auf Zetteln, die an den Orten der Attentate abgelegt sind, heißt es "Je Suis Paris", manchmal auch "Je suis la France", im Internet findet man #jesuisbataclan oder #prayforparis. Vor allem der letzte, etwas amerikanisch klingende Hashtag will nicht so richtig passen in einem Land, das immer stolz war auf seinen Laizismus, also in letzter Konsequenz auch darauf, dass man selbst in Zeiten der größten Katastrophe nicht auf eine übermenschliche Macht angewiesen ist.

Wer am Tag nach den Attentaten durch die Straßen im zehnten und elften Arrondissement geht, wo mehrere Schauplätze des Terrors lagen, der spürt trotzdem, dass der Geist von "Je suis Charlie" teilweise noch vorhanden ist. Große öffentliche Kundgebungen haben die Behörden bis einschließlich Donnerstag dieser Woche untersagt. Was machen also die Bürger von Paris? Sie halten kleine Kundgebungen ab.

Sie stehen schweigend da, viele bringen Blumen und Kerzen

An jeder einzelnen Bar, an der Stunden zuvor die Attentäter mit ihren Kalaschnikows in die Menge feuerten, um so viele Menschen wie möglich zu töten, steht am Samstag eine Traube aus Menschen zum Gedenken. Anfangs sind es oft nur ein paar Dutzend Passanten, aber es werden immer mehr. Sie stehen schweigend da, viele bringen Blumen und Kerzen.

An der Kreuzung von Rue Alibert und Rue Bichat sehen sie am frühen Nachmittag, wie die Stadtreinigung mit Hochdruckreinigern das Blut vom Trottoir wäscht. Vor der Bar "Casa Nostra" reichen Nachbarn einem bulligen Mann in Motoradjacke einen Becher Kaffee. Er hat seinen Bruder verloren, lehnt an einen Verkehrspoller und zittert am ganzen Körper. In der Rue Charonne vor der Bar "La Belle Equipe" hat irgendjemand in ein Einschusslöcher eine rote Rose gesteckt. Manche, die davor stehen, schweigen still, manche weinen, manche diskutieren aber auch darüber, wie Frankreich jetzt reagieren muss.

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"Wir dürfen jetzt nicht einknicken und uns den Terroristen ergeben", sagt zum Beispiel die 31-jährige Nathalie Lemeunier, die mit ihrem Hund gekommen ist und einige Minuten vor der Bar stehenbleibt. Keine Angst haben, nicht zurückweichen vor dem Terror, die demokratischen, französischen Werte hochhalten, diese Gedanken finden sich in den Aussagen fast aller Passanten, die man am Samstag fragt. Und doch mischen sich diesmal Zweifel in die Entschlossenheit. Im Januar war es eine bestimmte Gruppe - Journalisten - die angegriffen wurde und mit der sich die Bürger solidarisieren konnten.

Jetzt trifft es potenziell jeden. Was ist, wenn noch mal ein großer Anschlag passiert? Und was ist, wenn Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls recht haben mit dem Satz, den beide in ihren Ansprachen verwendet haben: "Frankreich ist im Krieg". Die Nachrichten, die am Sonntagvormittag kommen, denen zufolge ein Team von Terroristen wohl noch auf der Flucht ist, werden diese Zweifel noch verstärken.

Michel Jaworsky, der von seinem Rennrad abgestiegen ist und am Samstagabend gemeinsam mit etwa 200 bis 300 anderen Passanten auf der Place de la République ist, drückt es so aus: "Wir müssen mit Härte gegen die Terroristen vorgehen, aber wir dürfen auch nicht so reagieren, dass wir in eine Psychose verfallen".

Zumindest das scheint am ersten Tag nach der Katastrophe einigermaßen zu gelingen. Zwar haben einige Laden- und Restaurantbetreiber im zehnten und elften Arrondissement Zettel an die Tür gehängt, dass sie wegen der "Ereignisse vom Freitag" geschlossen haben. Aber längst nicht alle Cafés und Bars haben geschlossen. In einigen sitzen auch abends ein paar Gäste bei Kaffee, Bier oder Wein. Sie feiern nicht, aber sie leben.

In einem Friseur fegen die Angestellten Haarreste zur Seite. An einer Straßenecke nahe des Canal du Martin kann man Teppichböden und PVC-Beläge kaufen. Zwei Kunden sind im Laden und lassen sich von der Verkäuferin beraten. Wenn auch Alltag eine Waffe gegen den Terror sein kann, dann setzen die Franzosen diese Waffe jetzt ein.

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