Paris:Die Party ist passé

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Wieder stark eingeschränkt: typische Bistro-Idylle in Paris. (Foto: Kiran Ridley/Getty Images)

Die seit Wochen steigenden Infektionszahlen haben den Zustand lebensfroher Anarchie in Paris beendet. Nun gilt "höchste Alarmstufe", und der Alltag wird wieder streng reguliert.

Von Nadia Pantel, Paris

Im L'Office am Boulevard de Charonne im Nordosten von Paris haben die Kellner auf dem Tresen ein kleines Radio eingeschaltet. Es ist kurz vor Mittag und sie erwarten die neuen Corona-Verordnungen der Regierung wie ein Urteil. Müssen sie schließen oder dürfen sie offen bleiben? "Wir müssen mit dem Virus leben und uns vor ihm schützen", sagt die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo im Radio. In Maßnahmen übersetzt heißt das: Von Dienstag an schließen alle Bars der Stadt, Restaurants dürfen offen bleiben. Im L'Office wissen sie noch nicht, in welche Kategorie sie fallen werden. Draußen auf der Markise steht Bar, aber eine Küche haben sie auch. Doch selbst wenn sie weiter Gäste empfangen können, werden sie sich an neue Regeln gewöhnen müssen.

Das bedeutet: Nur noch sechs Personen pro Tisch zulassen, einen Meter Abstand zwischen den Tischen einhalten, Namen und Telefonnummer der Gäste notieren, um eine Rückverfolgung der Infektionsketten zu ermöglichen. Mit diesen neuen Regeln endet eine Zeit, in der es zunächst so wirkte, als sei das Coronavirus aus der Stadt verschwunden und in der anschließend eine Zwischenphase begann, in der auf den Bürgersteigen alle Maske trugen, auf den Terrassen der Bars und Restaurants jedoch Stuhl an Stuhl stand wie eh und je.

Improvisierte Abende zwischen Paletten

Nach Ende der strengen zwölfwöchigen Ausgangssperre im Frühjahr war Paris für ein paar Wochen in einen Zustand lebensfroher Anarchie gewechselt. Gaststätten durften Parkplätze als zusätzliche Terrassen nutzen, es gab improvisierte Abende zwischen Holzpaletten statt der gewohnten Eleganz. Die seit Wochen steigenden Infektionszahlen haben diese Improvisationsübungen nun beendet. "Ist die Party vorbei?" blendete der Infosender BFM weiß auf rot ein, nachdem die neuesten Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung verkündet worden waren.

Die Zahlen künden ein Ende der Party schon lange an. Seit Sonntagabend ist Paris gemeinsam mit Marseille auf die "allerhöchste Alarmstufe" gewechselt. Doch auch im Rest Frankreichs, jenseits dieser zwei größten Städte des Landes, hat sich das Virus seit Ende des Sommers wieder rasant ausgebreitet. Am Sonntagabend teilte das Gesundheitsministerium mit, dass innerhalb von 24 Stunden mehr als 12 000 neue Corona-Fälle registriert wurden. 8,2 Prozent der Corona-Tests fallen positiv aus. Landesweit werden 1340 Infektionscluster beobachtet, davon befinden sich 265 in Alten- und Pflegeheimen. Innerhalb einer Woche wurden 4264 Menschen wegen einer Covid-19 Erkrankung in Krankenhäuser eingewiesen, 893 kamen auf Intensivstationen.

Wie ernst die Regierung die Zahlen nimmt und wie sie darauf zu reagieren gedenkt, ist dabei nicht immer leicht zu entschlüsseln. Präsident Emmanuel Macron hat im Vergleich zum Frühjahr seine Kommunikationsstrategie deutlich geändert. Operierte er im März noch mit martialischer Rhetorik und sprach davon, dass Frankreich sich "im Krieg" gegen das Virus befinde, setzt er jetzt eher auf Durchhalteparolen, die Mut machen sollen. "Wir werden das gemeinsam durchstehen. Haben Sie Vertrauen", twitterte er zu Beginn des Monats. Alarmierende Worte oder Aufrufe vermeidet Macron.

So entsteht immer wieder der Eindruck eines Schlingerkurses: Harte Maßnahmen werden durchgesetzt wie eine Maskenpflicht auf der Straße ebenso wie in Büroräumen - aber an Vor-Corona-Traditionen wie der Tour de France wird festgehalten. Ebenfalls widersprüchlich wirkte der Umgang der Regierung mit den Verantwortlichen in Städten und Regionen. Ende September kam es zu einem offenen Konflikt zwischen der Regierung und den Bürgermeisterinnen von Paris, Anne Hidalgo, und Marseille, Michèle Rubirola. Die Regierung hatte verordnet, dass die Bars in Paris um 22 Uhr schließen müssen, in Marseille sollten Restaurants wie Bars vollständig den Betrieb einstellen. Sowohl Hidalgo als auch Rubirola beklagten, dass diese Entscheidungen vorher nicht mit ihnen abgestimmt worden seien.

Der neue Premierminister Jean Castex, seit Ende Juni im Amt, hatte versprochen, den Regionen im Kampf gegen die Pandemie mehr Verantwortung zuzugestehen. Über die geforderte Schließung der Bars war man im Marseiller Rathaus jedoch erst eine halbe Stunde vor Bekanntgabe der neuen Beschränkung informiert worden.

Am Montag bedankte sich die Pariser Bürgermeisterin Hidalgo zwar explizit beim Premierminister für die "partnerschaftliche Zusammenarbeit", doch in Marseille haben sie im Rathaus noch keinen Frieden mit den Entscheidern in Paris gemacht. "Ich freue mich darüber, dass von heute an die Restaurants in Marseille wieder öffnen können. Aber es ist bedauerlich, dass diese Entscheidung gefällt wurde, um woanders die Restaurants nicht schließen zu müssen", twitterte am Montag die grüne Bürgermeisterin Rubirola. Dadurch, dass die Regierung Marseille und Paris als höchste Risikozonen eingestuft hat, gelten nun auch in beiden Städten dieselben Regeln. Da in Paris die Restaurants nicht schließen müssen, dürfen sie nun auch in Marseille wieder aufmachen.

Zu den neuen Maßnahmen gehört auch die Einschränkung der Präsenzveranstaltungen an den Universitäten. 40 Prozent der Infektionscluster betreffen Schulen und Hochschulen. In den Hörsälen sollen daher nur noch die Hälfte der Plätze besetzt werden. Für Kinos und Theater wurden keine neuen Auflagen beschlossen, sie können geöffnet bleiben. Schwimmbäder hingegen dürfen nur von Schulklassen oder Sportvereinen besucht werden und werden für die Öffentlichkeit geschlossen.

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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