Pakistan: Offensive gegen Taliban:"Mutter aller Schlachten"

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Der Kampf gegen die Taliban wird nicht mehr nur in Afghanistan ausgefochten. Seit Monaten wehrt sich Pakistan gegen die Gotteskrieger - und rechnet nun mit einem verlustreichen Kampf in den Grenzgebieten.

Tobias Matern

Kampfflugzeuge bombardieren Stellungen der Taliban, Bodentruppen rücken vor. Am Wochenende hat die pakistanische Armee ihre seit Tagen angekündigte Offensive gegen die Extremisten in Süd-Wasiristan begonnen. Nach dem Kampf um das Swat-Tal ist es der zweite Krieg in diesem Jahr, den Pakistan ertragen muss. Mehr als 100 000 Menschen sind auf der Flucht.

(Foto: Foto: AP)

Nach Angaben des Militärs starben bei der ersten Angriffswelle 60 Extremisten. Verifizieren lassen sich solche Angaben nicht, unabhängige Berichterstatter haben keinen Zugang zu dem Gebiet. Der Einsatz werde mindestens sechs bis acht Wochen dauern, heißt es vonseiten des Militärs. Beobachter rechnen mit einem deutlich längeren Krieg. Ende ungewiss.

Dem Land stehe der intensivste interne Kampf aller Zeiten bevor, sagt der pakistanische Politik-Analyst Azmat Abbas. Selbst in der seriösen Zeitung Dawn ist von der "Mutter aller Schlachten" die Rede. Das unwegsame, bergige Süd-Wasiristan an der Grenze zu Afghanistan hat sich seit Jahren zum zentralen Rückzugsgebiet der Terroristen entwickelt. 10.000 bis 12.000 Extremisten sollen sich in der Region aufhalten, der pakistanische Staat übt auf dieses sogenannte Stammesgebiet keinerlei Einfluss aus.

Die Strategie bestand darin, den Sicherheitsapparat zu unterwandern

Taliban-Kämpfer aus Pakistan und Afghanistan tummeln sich hier, auch Al-Qaida-Aktivisten aus dem Ausland. Sie schließen lockere Bündnisse miteinander, wollen in Pakistan ein islamisches Kalifat mit strenger Auslegung der Scharia errichten und die Nato-Truppen aus Afghanistan vertreiben. Den Terroristen spielt in die Hände, dass die Hunderte Kilometer lange Grenze zum Nachbarn unkontrollierbar ist. In vielen Teilen lässt sich schwer ausmachen, wo Pakistan aufhört und Afghanistan anfängt. Daher kann der Westen in Afghanistan nur stabilere Verhältnisse mit Hilfe Islamabads erreichen.

Der Atomstaat Pakistan schien sich nach jahrelangem Aufruhr - zumindest in Ansätzen - zu beruhigen, als die Amerikaner im August mit einer unbemannten Drohne den pakistanischen Taliban-Chef Baitullah Mehsud töteten. Die Extremisten wirkten ein paar Wochen lang kopflos, die permanenten Selbstmordanschläge auf den pakistanischen Basaren und in Moscheen gingen zurück.

Doch dann rückte Hakimullah Mehsud an die Spitze der Taliban. Er setzt auf eine perfide Strategie: den Sicherheitsapparat zu unterwandern. Vergangene Woche gelangten als Soldaten verkleidete Taliban-Kämpfer auf das Gelände des Armeehauptquartiers, sie nahmen Geiseln, hielten das Land in Atem. Die Botschaft war eindeutig: Wenn selbst das meistbewachte Gebäude des Landes nicht sicher ist, können sich die Pakistaner nirgendwo mehr sicher fühlen.

Die Angst hat sich tief in die Seelen der Menschen dieses streng muslimischen Landes gefressen. Lange Zeit sympathisierten viele Bewohner zumindest stillschweigend mit den Taliban. Sie sahen in ihnen vehemente Verteidiger des Islam, den der Westen ihrer Meinung nach zu unterwandern versucht. Durch die Koalition der pakistanischen Führung mit den Amerikanern im Anti-Terror-Kampf sind der Staat selbst und damit vor allem seine Menschen zu Zielscheiben der Extremisten geworden. Die Stimmung hat sich gegen die Taliban gedreht. Allein in den vergangenen zwei Wochen starben bei Selbstmordattacken und Besetzungen von Sicherheitsorganen mehr als 170 Menschen: ein Land im permanenten Ausnahmezustand.

Pakistan erlebt zudem eine schleichende Talibanisierung. Aber das Land reagiert darauf nicht mit einer Protestbewegung. Im Gegenteil - die Menschen greifen vielmehr "immer häufiger zur Schere der Selbstzensur", sagt Gregor Enste, der für die Böll-Stiftung in Pakistan arbeitet. Selbsternannte Tugendwächter sorgen dafür, dass etwa in Parks Frauen und Männer nicht mehr öffentlich Händchen halten dürfen. Oder sie bringen die Leitung eines Colleges dazu, den Studentinnen angeblich unzüchtige Kleidung wie Jeans zu verbieten.

Die verheerende Sicherheitslage hat zwar dazu geführt, dass die Mehrzahl der Menschen offenbar hinter der Offensive in Wasiristan steht, wie Politik-Analyst Abbas sagt. Aber Beobachter rechnen mit einem langen, zähen Kampf, der sich nicht mehr nur auf das Grenzgebiet zu Afghanistan beschränken lässt. Selbst tief im Herzland Pakistans, im Süden des Punjab, bereiten die Extremisten inzwischen ihre Attacken vor. "Ganz Pakistan sieht sich einer von al-Qaida inspirierten Herausforderung ausgesetzt", sagt Imtiaz Gul vom Zentrum für Sicherheitsstudien in Islamabad.

© SZ vom 19.10.2009/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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