Ostsee:Neuer Schaden tief am Grund

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Die Marine Estlands untersucht im Finnischen Meerbusen die Kabel für die Kommunikationsverbindung mit Finnland. (Foto: Estnische Marine/REUTERS)

Auch ein Datenkabel zwischen Schweden und Estland ist beschädigt. Ob das zusammenhängt mit der Sabotage an Gas- und Kommunikationsleitungen zwischen Finnland und Estland, wird noch untersucht.

Von Alex Rühle, Stockholm

Nachdem vergangene Woche eine Gas-Pipeline und ein Kommunikationskabel zwischen Finnland und Estland beschädigt worden waren, schrieb das Svenska Dagbladet (SD ) , dass ein ähnlicher Vorfall für Schweden katastrophale Folgen hätte: Finnland kann den Ausfall der Pipeline - die Reparaturen werden mehrere Monate dauern - durch zwei Flüssigerdgas-Terminals ausgleichen. Das schwedische Hauptgasnetz, das zentrale Industriebetriebe entlang der Westküste versorgt, "hängt dagegen vollständig ab von einer einzigen Unterwasserpipeline aus Dänemark", so SD. Und weiter: "Bei einer Zerstörung geht das Gas in wenigen Stunden zur Neige, da im schwedischen Hauptnetz kein Speicher vorhanden ist."

Umso beunruhigender war dann auf den ersten Blick auch die Nachricht am Dienstag, dass anscheinend gleichzeitig mit der Sabotage an der finnisch-estnischen Verbindung auch ein Kabel zwischen Schweden und Estland beschädigt worden ist. Allerdings handelt es sich um ein Datenkabel und nicht um eine Pipeline. Außerdem, so der schwedische Verteidigungsminister Pål Jonson auf einer Pressekonferenz, sei der Schaden so gering, dass das Kabel weiterhin verwendet werden kann. Dennoch nehme man den Vorfall "sehr ernst". Carl-Oskar Bohlin, der Minister für Zivilschutz, ergänzte, man könne bislang "nicht abschätzen, was die Beschädigung verursacht hat". Anscheinend wurde, gerade weil das Kabel weiter Daten transportieren konnte, der Schaden erst mit einigen Tagen Verzögerung bemerkt.

Weder Gewissheit, dass es Sabotage war, noch, dass es keine war

Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur sagte, man müsse nun prüfen, ob der Vorfall "mit der Störung der estnisch-finnischen Verbindung zusammenhängt". Anscheinend wurde das Kabel in estnischen Hoheitsgewässern beschädigt. Pevkur betonte, es gebe bislang "keinen Grund, den Ausfall des estnisch-schwedischen Kabels mit anderen Kabeln in Verbindung zu bringen". Es habe bei diesem Kabel in der Vergangenheit bereits "ähnliche kleinere Ausfälle" gegeben.

Das Leck in der sogenannten Balticconnector-Pipeline, die am Grund des Finnischen Meerbusens verläuft, ereignete sich in der Nacht zum 8. Oktober. Nach einem plötzlichen Druckabfall wurden auf finnischer wie estnischer Seite die Ventile geschlossen. Zunächst wurde eine Detonation vermutet, mittlerweile geht man eher davon aus, dass die Pipeline mithilfe eines Ankers oder mit anderem schweren Gerät demoliert wurde. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte daraufhin geschrieben, wenn sich herausstelle, "dass es sich um einen Angriff auf kritische Nato-Infrastrukturen handelt, wird die Nato geschlossen und entschlossen darauf reagieren".

Nehmen den Vorfall "sehr ernst": Schwedens Minister für Zivilschutz und für Verteidigung, Carl-Oskar Bohlin und Pål Jonson, mit Marine-Chefin Ewa Skoog Haslum. (Foto: Adam Ihse/IMAGO/TT)

Am vergangenen Freitag trafen sich die Leiter der Verteidigungskooperation Jef, Joint Expeditionary Force, auf der schwedischen Insel Gotland, um die Sicherheitslage in Nordeuropa zu besprechen. Auch dort drehten sich die meisten Gespräche um die Frage, wie man besonders wichtige Kabel und Leitungen unter Wasser besser gemeinsam schützen könne. Am Rande dieses Treffens sagte die estnische Premierministerin Kaja Kallas, man könne immer noch nicht mit letzter Gewissheit sagen, "dass es Sabotage war, aber auch nicht, dass es keine war".

Ebenfalls am Freitag sagte der russische Präsident Wladimir Putin auf einer Pressekonferenz, alle Gerüchte, Russland habe irgendwas mit dem Schaden zu tun, seien "Blödsinn". Er fügte hinzu, nie zuvor überhaupt von der Existenz der Balticconnector-Pipeline gehört zu haben. Die ganze Diskussion solle nur von der Nord-Stream-Sabotage ablenken, für den Putin und der russische Geheimdienst den Westen verantwortlich machen.

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Spätestens seit der Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline im vergangenen Herbst herrscht bei allen Ostsee-Anrainern erhöhte Wachsamkeit. In Skandinavien hatten aber schon vor dem Nord-Stream-Anschlag andere seltsame Vorfälle für großes Aufsehen gesorgt. So wurden im November 2021 vor den nordnorwegischen Vesterålen-Inseln viereinhalb Kilometer Kabel samt massiver Verankerung aus dem Meeresboden gerissen und mehrere Seemeilen weit mitgeschleppt. Das norwegische Institute of Marine Research hat in der Gegend ein 60 Kilometer langes Netzwerk verlegt, das unter anderem dazu genutzt wird, russische U-Boot-Bewegungen vor der norwegischen Küste genauer verfolgen zu können.

Russische Trawler mit seltsamen Bewegungsmustern

Im Januar 2022 wurde dann ein Kabel, das von Spitzbergen aufs norwegische Festland führte, durchtrennt. Positionsdaten zeigten danach, dass ein russisches Schiff, das als Fischtrawler deklariert ist, vor der Kappung des Kabels 130 Mal über der betreffenden Stelle auf und ab gefahren war. Auch bezüglich des anderen Unfalls konnte im Nachhinein bewiesen werden, dass russische Trawler sich in seltsamen Fahrmustern im Umkreis der Unfallstelle bewegt hatten.

Am Dienstag gab die zentrale Kriminalpolizei Finnlands bekannt, dass sie gegen mehrere große Schiffe ermittelt, die sich zum Zeitpunkt der Beschädigung in der Nähe des Balticconnectors aufgehalten haben sollen.

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