Ostern 2016:Wie tot ist Gott?

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Ein Junge stapft durch den Schlamm eines Flüchtlingslagers bei Idomeni. (Foto: AFP)

Der Zentralsatz der christlichen Botschaft lautet: "Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan." Und was wird getan - zum Beispiel in Idomeni? Das ist eine Überlebensfrage für Gott.

Kommentar von Heribert Prantl

Auferstehung 2016: Die Trauernden in Brüssel feiern das nicht. Auferstehung feiern auch nicht die Flüchtlinge, die im Dreck bei Idomeni liegen. Auferstehung feiert aber wieder und wieder der Terror. Die Worte von Licht und Hoffnung - klingen die heuer nicht ein wenig schal? Die Parolen von der Freiheit, die siegen wird - klingen sie nicht ein wenig kläglich? Man hätte es gern anders. Man sähe gern den österlich schmetternden Triumph des Guten.

In der Ostergeschichte geht es um die Auferstehung des Jesus Christus von den Toten, um Hoffnung und Erlösung. Friedrich Nietzsche hat dazu eine Gegengeschichte geschrieben; sie handelt davon, dass Gott ein für allemal tot ist. "Gott ist tot!", ruft der "tolle Mensch", der diese Botschaft verkündet, "Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!" Es ist auch dies keine triumphierende Geschichte, nicht die Ausrufung eines neuen Gottes; und auch nicht die Proklamation des Atheismus. Es ist dies vielmehr die Geschichte eines verzweifelten Menschen, der nach Gott sucht und doch weiß, dass er ihn nicht mehr findet. Die suchende Verzweiflung zeigt sich darin, dass er am helllichten Vormittag eine Laterne anzündet und sie schließlich frustriert auf dem Boden des Marktplatzes zerdeppert; das Licht erlischt. Ein trauriger Lucifer? Bei Nietzsche ist auch die Helle des Tages nur noch Finsternis.

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Wird er als Erneuerer des Glaubens in die Geschichte eingehen - oder scheitert sein Projekt krachend? Darüber gehen die Meinungen im Vatikan auseinander.

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Bei genauem Hinsehen ist Nietzsches Geschichte von der christlichen nicht so weit weg - schon gar nicht vom Markusevangelium, dem ältesten aller vier Evangelien. Alle vier Oster-Evangelien geben dem Zweifel und der Verzweiflung Raum. Beim Evangelisten Markus liest sich das so: Die Frauen, die den Leichnam Jesu salben wollen, finden ein leeres Grab vor und erschrecken; sie haben Angst, sie flüchten. Diese Erzählung endet daher nicht mit der Auferstehungsfreude (die wurde, als tröstlicher sekundärer Schluss, später hinzugefügt), sondern so: "Schrecken und Entsetzen hatte sie erfasst. Und sie sagten niemandem irgendetwas, denn sie fürchteten sich." Das ist nahe bei Nietzsches Verzweiflung - und nah bei der Verzweiflung, die der Terror 2016 auslöst.

Ostern ist ein Anti-Verzweiflungsfest. Aber was vertreibt Verzweiflung? Notfalls das verzweifelte Festhalten an der Hoffnung. Die Christen zumal der frühen Jahrhunderte haben ihre Hoffnung darauf gesetzt, dass Christus wiederkommen und Gericht über die Welt halten wird: Er wird "kommen zu richten die Lebenden und die Toten" heißt es im Glaubensbekenntnis. Indes: Christus ließ und lässt auf sich warten. Der Glaube an das letzte Gericht ist trotzdem nicht erledigt, weil die Empörung über himmelschreiende Ungerechtigkeit nicht erledigt ist und das Verlangen nach Genugtuung für die, die um ihr Leben gebracht werden. Selbst wenn niemand mehr an ein göttliches Weltgericht glauben sollte: Diese Empörung, dieses Verlangen werden nie erledigt sein.

Die Maler vieler Jahrhunderte haben das gewusst und zusammen mit der Auferstehung auch dieses letzte Gericht gemalt - drastisch. Die Bilder erscheinen vielen aufgeklärten Christen als religiöse Altlast; sie sind kontaminiert durch Inquisition und Zwangsbekehrung; sie zeigen oft monströse Straf- und Vergeltungsfantasien, die einst dazu dienten, den Glauben mit aller Gewalt durchzusetzen. Heute muten diese Bilder an wie antiquierte Vorlagen für den modernen religiösen Terror.

Die glühenden Eiferer aller Glaubensrichtungen irren jedoch gewaltig, wenn sie die Gerichtstexte der Heiligen Schriften als Legitimation missbrauchen, sich selbst zu Richtern und Rächern aufzuschwingen. Im Gegenteil, diese Texte sollten der Gewaltspirale Einhalt gebieten: Die göttliche Instanz soll richten, damit keiner auf die Idee kommt, sich selbst das Vergelten anzumaßen. "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet" bekräftigt das Matthäusevangelium. Im selben Evangelium wird erklärt, nach welchen Kriterien das Gericht am Ende der Weltzeit funktioniert: "Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, ihr habt mich gekleidet." Als die Menschen nachfragen, wann sie denn Christus als Fremden aufgenommen hätten, da sagt er den Satz: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."

Das ist der Zentralsatz der christlichen Botschaft. Er ist mehr als ein Appell zu Hilfsbereitschaft; er ist ein Satz, der den Armen Recht gibt; ein Satz gegen das Ausspielen von Sicherheit gegen Humanität; er macht Menschlichkeit zur höchsten Instanz. Man kann den Matthäus-Text so fortschreiben: "Ich lag mit meiner Familie im Dreck vor der Grenze." Die Frage lautet dann: "Und was habt ihr getan?" Diese österliche Frage ist die eigentliche Überlebensfrage für Gott.

Nicht religiös formuliert: Welche Welt hat Zukunft? Das Höllenfeuer, mit dem der himmlische Richter droht, soll diese irdische Frage brennend machen; es soll Feuer unterm Hintern machen, sich zu entscheiden: für eine Welt der Solidarität - oder für eine aus Zäunen und Mauern, in ewiger Angst vor dem fremden Nächsten und dem nächsten Fremden? Der Schriftsteller Max Frisch hat ein Drama geschrieben, das "Die Chinesische Mauer" heißt. Der Kaiser von China verkündet "zur Friedenssicherung" den Bau dieser Mauer. Sie soll, so sagt er, den Zweck erfüllen, "die Zeit aufzuhalten" und "die Zukunft zu verhindern". Merkwürdig, dass dieser Kaiser in Europa heute so viele Kommissare hat. Gewiss: Politiker sollen, auch wenn sie einer C-Partei angehören, Politik nicht mit der Bibel in der Hand machen. Aber interessant ist es schon, dass diejenigen, die am lautesten vom christlichen Abendland reden, am wenigsten davon wissen wollen, dass die Bibel ein Buch für die Solidarität mit den Geringsten ist.

Wer die Bilder von Idomeni sieht und die von Brüssel, der möchte es mit dem tollen Menschen bei Nietzsche halten und sein Osterlicht auf den Boden werfen. Papst Franziskus indes hat sich am Gründonnerstag selbst zu Boden geworfen: Er hat sich niedergekniet vor geflohenen Muslimen und ihnen die Füße gewaschen. Im zornigen Ostern steckt die Kraft der Veränderung; in der Demut noch mehr.

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© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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