Kanzler über Ukraine-Krieg:Waffen für den Frieden, wie geht das zusammen?

Lesezeit: 2 min

Die Regierung prüfe "immer wieder sehr genau, was in der gegenwärtigen Situation geboten und was verantwortlich ist": Olaf Scholz am Dienstag vor der Gemeinschaft Sant'Egidio in Berlin. (Foto: Bernd von Jutrczenka/DPA)

Olaf Scholz spricht beim Kongress der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio über die Ukraine. Ein schwieriges Unterfangen. Der Kanzler warnt vor "Scheinlösungen" - doch das Publikum bleibt skeptisch.

Von Daniel Brössler, Berlin

Olaf Scholz muss ahnen, dass das jetzt nicht leicht wird. Er ist von der christlichen Gemeinschaft Sant'Egidio gebeten worden, über den Frieden zu sprechen. Von der Decke im große Konferenzraum am Pariser Platz in Berlin hängen stilisierte weiße Tauben. Die Gemeinschaft mit Ursprung in Rom hat sich versammelt in der deutschen Hauptstadt zu einem dreitägigen Treffen unter dem Motto "Den Frieden wagen". Niemand in Europa, beginnt Scholz zunächst, sehne sich "so sehr nach Frieden wie die Ukrainerinnen und Ukrainer". Jeden Tag verteidigten sie "ihre Freiheit, ihre Heimat, ihr Leben gegen die imperialen, historisch verblendeten Machtfantasien des Herrschers im Kreml".

Der Kanzler verweist auf den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij und er warnt vor "Scheinlösungen, die Frieden lediglich im Namen tragen". Frieden ohne Freiheit heiße Unterdrückung. "Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat", ruft er.

Ein Pater fragt, warum man nur in den Kategorien "Angriff und Verteidigung" denke

Der Applaus, der Scholz dafür erntet, ist schütter. Im Publikum sitzen Würdenträger und Gläubige verschiedener Religionen, die mehrheitlich vereint zu sein scheinen in ihrer Skepsis gegenüber dem bewaffneten Widerstand der Ukrainer. Scholz bekommt das auch zu spüren, als er darauf verweist, dass ein "gerechter Frieden die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, die territoriale Integrität und Unabhängigkeit der Ukraine" achten müsse. "Deshalb unterstützen wir die Ukrainerinnen und Ukrainer bei der Verteidigung ihrer Heimat. Wir tun das auch, indem wir Waffen liefern", sagt Scholz. Diese Entscheidung sei der Bundesregierung nicht leichtgefallen. Weil sie um die Wirkung der gelieferten Waffen wisse, stimme sie sich eng ab und prüfe "immer wieder sehr genau, was in der gegenwärtigen Situation geboten und was verantwortlich ist".

Das ändere aber, betont der Bundeskanzler, der nach seinem Joggingunfall erstmals ohne Augenklappe öffentlich auftritt, nichts an seiner Grundüberzeugung: "Das Recht muss die Gewalt überwinden, nicht umgekehrt. Alles andere hieße, das Recht des Stärkeren anzuerkennen." Daraus folge: "Wir werden die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen - so lange wie nötig. Auch diesmal bleibt der Applaus dünn.

In der anschließenden Fragerunde bringt ein Pater aus Assisi das Unbehagen der Versammelten zum Ausdruck. Warum denn immer nur in Kategorien von "Angriff und Verteidigung" gedacht werde, will er vom Kanzler wissen. "Ist nicht die Stunde des Waffenstillstandes gekommen?", fragt er.

Scholz scheint zu fürchten, dass Putins Rechtfertigung verfangen hat

Es ist keine Situation, wie der Kanzler sie gelegentlich auf Marktplätzen erlebt, wenn er wegen der Waffenlieferungen für die überfallene Ukraine attackiert und gar als "Kriegstreiber" beschimpft wird. Die Stimmung ist höflich, aber kühl. Es entsteht der Eindruck, die Gläubigen fühlten sich in ihrer Friedenssehnsucht durch den vom Westen mit Waffen unterstützten militärischen Widerstand der Ukraine gestört.

Scholz scheint überdies zu fürchten, dass russische Ablenkungsmanöver, was die Kriegsgründe angeht, bei einigen im Raum verfangen haben könnten. Er erinnert an die Entspannungspolitik der 70er- und 80er-Jahre und an die Kooperation von Nato und Russland. Immer habe Einigkeit bestanden, dass Grenzen unverletzlich seien. Diese Einigkeit habe Wladimir Putin aufgekündigt.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

"Wer sich für Geschichte interessiert und in europäischen Geschichtsbüchern lang genug rum liest, wird für jedes Land Gründe finden, warum die heutigen Grenzen nicht die richtigen sind. Und wenn das von irgendjemanden zum Kriegsthema gemacht wird, dann ist auch wirklich Krieg", sagt er. Putin glaube, dass die Ukraine und Belarus Teil seines Territoriums seien. "Die Ukraine ist nun das Opfer eines direkten militärischen Angriffs und verteidigt sich natürlich zu Recht", betont Scholz noch einmal. Einer im Saal klatscht daraufhin. Laut, aber recht einsam.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in der Ukraine
:Bleibt bei uns

Es ist meist eine Stunde, die an der Front über Leben und Tod entscheidet. Wer zu spät versorgt wird, hat wenig Chancen. Ein Besuch bei Sanitäterinnen und Ärzten im Ukraine-Krieg, wo die Todeszahlen so viel höher sind als in anderen Kriegen.

Von Tomas Avenarius und Georg Mascolo

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: