Offizielles Ende des Irak-Einsatzes:Wie Amerika nach innerem Frieden sucht

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Diktator Saddam Hussein ist bereits seit 2003 gestürzt. Nach tausenden Toten auf beiden Seiten holt US-Präsident Barack Obama die letzten Soldaten aus dem Irak heim. Er hofft, daraus politisches Kapital zu schlagen und bemüht sich redlich, dem Krieg einen Sinn zu geben.

Christian Wernicke, Washington

Der letzte Akt war Formsache, vollzogen hinter hohen Mauern und Stacheldraht. Blasmusik spielt, bevor der Tagesbefehl ertönt: "Holt die Fahnen ein!" Zwei Soldaten in Kampfuniform wickeln langsam das weiße Tuch ein, auf dem in schwarzen Lettern der Name ihrer fast neunjährigen Mission steht: "United States Forces in Iraq". Drüben auf dem Podium legt Verteidigungsminister Leon Panetta zackig die rechte Hand an die Stirn; es ist sein Privileg, offiziell das Ende von Amerikas Militäreinsatz zu verkünden: "Ihr werdet mit großem Stolz gehen - mit bleibendem Stolz", ruft er den Soldaten zu. Und dann: "Wir vergessen nicht die Lehren dieses Krieges."

Auf dem früheren US-Luftwaffenstützpunkt Sather in Bagdad wird das weiße Tuch eingewickelt, auf dem in schwarzen Lettern steht: "United States Forces in Iraq". Der Einsatz ist damit offiziell zu Ende. (Foto: dpa)

Wann genau der letzte US-Soldat irakischen Boden verlassen darf, bleibt an diesem Donnerstagmorgen Panettas Dienstgeheimnis. Die Soldaten munkeln, einer von ihnen dürfe diesen symbolträchtigen Schritt über die Grenze nach Kuwait "wohl noch vor Weihnachten" machen. Überhaupt mag der Herr Minister nicht viele Worte verlieren. Panetta weiß, dass der Versuch finaler Sinngebung für einen Krieg, in dem nach Zählung seines Hauses exakt 4487 Landsleute ihr Leben ließen, nicht hier und heute erfolgen kann. Das geschieht anderswo, und von höherer Instanz.

So etwas ist in Amerika allein Sache des Staatsoberhauptes. Und tatsächlich hat sich Barack Obama redlich bemüht, diesen heiklen Amtsauftrag zu erfüllen. Deshalb war er bereits am Vortag nach North Carolina geflogen, zu den Soldaten der legendären 82. Luftlandedivision in Fort Bragg. In Kampfanzug und mit rotem Barrett standen Hunderte Kriegsheimkehrer hinter dem Präsidenten, und ihr Jubel klang befreit, als Obama ihnen gleich zu Beginn seiner halbstündigen Rede die entscheidenden Worte zurief: "Welcome home!"

"Versprechen eingehalten!"

Gleich viermal hat der Präsident diese Botschaft wiederholt. Denn sie trifft die Gefühlslage einer Nation, die mehr als zehn Jahre nach den Terroranschlägen von 11. September 2001 ihrer Kriege müde geworden ist. In Umfragen bekunden zwei von drei Amerikanern, sie begrüßten den Abzug der letzten 4000 Soldaten aus der Wüste bis spätestens zum Jahresende, und das Weiße Haus versucht, mit Blick auf den heraufziehenden Wahlkampf, daraus Kapital zu schlagen: "Versprechen eingehalten!", prangt es breit auf der präsidialen Internetseite, und dann folgt voller Stolz die Chronologie des Rückzugs aus einem Krieg, den die Hälfte der Nation von Anfang an nicht wirklich kämpfen wollte.

Es ist eine heikle Gratwanderung, die Obama bei seiner Rede im Hangar von Fort Bragg bewältigt. Er muss den 1,5 Millionen Amerikanern seine Reverenz erweisen, die alle irgendwann nach jenem schicksalhaften 19. März 2003 dem Vaterland gedient haben in diesem Wüstenkrieg. "Generation 9/11" nennt der Oberbefehlshaber diese jungen Amerikaner gern. Gleichzeitig aber kann und will Obama nicht verhehlen, dass er selbst von Beginn an gegen diesen Waffengang war - und dass er, der damals junge Senator im Bundesstaat Illinois, es nur wegen dieses Krieges bis zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gebracht hat: Ohne sein berühmtes Diktum von 2002, in dem er vor diesem "dummen Krieg" gewarnt hatte, hätte der politische Neuling sich 2008 niemals gegen Hillary Clinton, seine jetzige Außenministerin, als Präsidentschaftskandidat der Demokraten durchsetzen können.

Deshalb hält Obama eigentlich zwei Reden in Fort Bragg. Der eine Teil erzählt vom Krieg draußen in der Wüste. Da lobt der Präsident all die Entbehrungen und Opfer von "unseren Helden", da erinnert er an Orte, die für Schrecken und Tod stehen: Faludscha, Ramadi, Mosul, Bagdad. Nebenbei leistet Obama hier eine wichtige Geste: Als er die "mehr als 30.000 Amerikaner" erwähnt, die als Verwundete heimkehrten von Iraks Schlachtfeldern, fügt er in einem Nebensatz ein, dass diese Ziffer nur jene erfasse, "deren Wunden man sehen kann". Das ist eine kleine Verbeugung vor den Hunderttausenden, die seither in der Seele an diesem Krieg leiden - oder an ihm verzweifeln. 18 Kriegsheimkehrer nehmen sich daheim täglich das Leben, das sind mit mehr als 6500 Toten beinahe so viele wie alle bisherigen US-Kriegstoten in Afghanistan und Irak zusammen.

Der andere Teil von Obamas Rede erinnert an die Schlachten, welche die Nation an der Heimatfront mit sich selbst ausgefochten hat über diesen Krieg. "Er war eine Quelle großer Kontroversen hier daheim", sagt der frühere Kriegsgegner, "mit Patrioten auf beiden Seiten der Debatte." Dieser zarte Versuch der Versöhnung verhallt. Nur Stunden später attackiert der republikanische Senator John McCain den Präsidenten dafür, dass er 2007 die von George W. Bush befohlene Truppenverstärkung um mehr als 30.000 Mann nicht mitgetragen habe - und bis heute nicht angemessen würdige: "Seit drei Jahren erntet dieser Präsident die Erfolge genau jener Strategie, die er andauernd als Fehlschlag abtut." Tatsächlich gehörte Obama zu jenen Bush-Kritikern, die schon 2007 zum Rückzug bliesen; als Präsident hat er dann 2009 dieselbe Strategie von zusätzlich entsandten US-Bataillonen zur Aufstandsbekämpfung in Afghanistan eigenhändig wiederholt.

Amerika findet keinen inneren Frieden mit seinen Kriegen. "Es ist schwerer, seinen Krieg zu beenden, als ihn zu beginnen", hat Obama in Fort Bragg gewarnt. Auch das ist so eine Lehre aus Irak - aber auch das geht unter, da jetzt der Wahlkampf beginnt. Unter Republikanern gehört es zum guten Ton, den Präsidenten wegen seiner angeblich zu nachgiebigen Haltung im Umgang mit Iran zu attackieren. Die führenden Aspiranten für die Präsidentschaftskandidatur werben beim Parteivolk für sich, indem sie ihre Bereitschaft zum Luftangriff auf Teherans Atomanlagen bekunden.

Auch deshalb mutet Obamas Versuch, die beiden Teile seiner Rede zu einem versöhnlichen Ende zu verknüpfen, arg bemüht an. Der Präsident adelt den Irak-Einsatz der 82. Division, stellt ihn in eine Reihe mit Amerikas Kriegen gegen Faschismus und Kommunismus: "Ihr seid Teil einer ungebrochenen Linie von Helden." Während das Volk daheim um den Wüstenkrieg gestritten habe, habe die Truppe draußen einig gekämpft: "Ihr erinnert uns daran, dass es nichts gibt, was Amerikaner nicht tun können, wenn wir zusammenhalten."

© SZ vom 16.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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