Oettinger geht nach Brüssel:Neue Energie für Europa

Lesezeit: 4 min

CDU-Politiker Günther Oettinger wird EU-Kommissar für Energiefragen. Kommissionspräsident Barroso stellte am Freitag seine neue Mannschaft vor.

In seiner Heimat sagen sie: "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." Günther Oettinger war ja selbst das beste Beispiel für den Werbeslogan. Jetzt aber muss der scheidende baden-württembergische Ministerpräsident dazulernen. Vielleicht braucht er kein Hochdeutsch, aber zumindest sollte er Englisch und Französisch richtig gut lernen, denn Oettingers Arbeitsplatz ist bald nicht mehr im Ländle, sondern in Brüssel. Er wird in der künftigen EU-Kommission das Energieressort erhalten.

Günther Oettinger wird EU-Kommissar für Energiefragen. (Foto: Foto: AP)

Kommissionspräsident José Manuel Barroso stellte am Freitag seine Mannschaft vor. Mit der Entscheidung, Oettinger den Energie-Posten zuzuteilen, kommt Barroso deutschen Wünschen entgegen.

Die Bundesregierung wollte von Beginn an für den CDU-Politiker Oettinger, den Merkel als "ausgewiesenen Wirtschaftsfachmann" bezeichnete, ein wichtiges Wirtschaftsressort sichern. Demnach war Berlin an Wirtschaft und Finanzen oder Energie interessiert. Auch das Industrieressort wurde mit Oettingers Namen in Verbindung gebracht. Diesen Posten bekleidete der bisherige deutsche Vertreter in der Kommission, der SPD-Politiker Günter Verheugen, der aus der Kommission ausscheiden wird.

Die Entscheidung zugunsten Oettingers soll während eines Treffens des CDU-Politikers mit EU-Kommissionspräsident Barroso am Donnerstag gefallen sein. Die offizielle Mitteilung ließ aber bis Freitag auf sich warten.

"Energie ist eines der wichtigsten Ressorts", erklärte der EU-Kommissionschef. Mindestens sechs EU-Staaten hätten sich diese Aufgabe für ihren neuen Kommissar gewünscht.

Als Ministerpräsident von Baden-Württemberg habe Oettinger seine Kompetenz in wirtschaftspolitischen Fragen unter Beweis gestellt, fügte Barroso hinzu. Für sich betrachtet sei das Bundesland "die achtgrößte Volkswirtschaft Europas".

Oettinger müsse nun den Binnenmarkt für Energie schaffen, sich um die Sicherheit und Effizienz der Energieversorgung kümmern und dazu beitragen, dass die energieintensiven Industrien weniger auf Kohlenstoff zur Deckung des Energiebedarfs angewiesen seien. Barroso bekräftigte, er habe das Energie-Ressort nicht an Deutschland vergeben: "Ich gebe keine Ressorts an Staaten, ich gebe sie an Personen, an Europäer. Aber ich bin sehr glücklich, wenn die Vergabe eines Ressorts in einem Staat begrüßt wird, denn das zeigt, dass auch Prioritäten und Empfindsamkeiten der Staaten berücksichtigt wurden."

Nicht erfreut über die Berufung Oettingers zeigte sich dagegen die Umweltorganisation Greenpeace. Oettinger sei "eine ganz schlechte Wahl", sagte der Energie-Experte von Greenpeace, Tobias Münchmeyer. Oettinger behindere den Ausbau der Windenergie. Bei der Zukunftstechnologie sei Baden-Württemberg Schlusslicht in Deutschland. Als einer der wenigen Unionspolitiker habe sich Oettinger zudem für den Neubau von Atomkraftwerken ausgesprochen.

Barroso präsentiert weitere Kommissare

Wie Barroso weiter mitteilte, wird der Franzose Michel Barnier das wichtige Ressort EU-Binnenmarkt übernehmen. Deutschland und Frankreich hatten im Vorfeld Ansprüche auf diesen Posten erhoben. Auch die Franzosen drangen schon lange darauf, das Wirtschaftskommissariat in die Hände zu bekommen. Barnier galt auch deswegen als aussichtsreichster Kandidat, weil sich die Briten ebenfalls für ihn ausgesprochen hatten.

Der Spanier Joaquin Almunia, bisher Wirtschafts- und Währungskommissar, übernimmt das Wettbewerbsressort. Neuer Handelskommissar wird der Belgier Karel de Gucht. Der Finne Olli Rehn wird Wirtschafts- und Währungskommissar. Die Posten zählen zu den mächtigsten innerhalb der Kommission. Außerdem wurde ein Kommissarsposten für Klimapolitik geschaffen, den die Dänin Connie Hedegaard übernimmt. Die Kommission gilt als eine Art "Geschäftsführung" der EU. Sie ist die einzige Behörde, die für die EU Gesetze vorschlagen kann.

"Ich will, dass diese Kommission dafür sorgt, dass Europa aus der Wirtschaftskrise herauskommt", sagte Barroso bei der Vorstellung der Neuen. "Diese Kommission wird handeln, sie wird nicht um etwas bitten."

Barroso sagte, er sei "sehr zuversichtlich, dass ich die richtigen Leute mit den richtigen Aufgaben betraut habe". Zu den Forderungen vieler Regierungen nach "wichtigen" Ressorts sagte er: "Ich habe viele Bitten erhalten, aber es war meine Entscheidung."

Der neuen EU-Kommission gehören 13 Konservative, acht Liberale und sechs Sozialdemokraten an. Neun der 27 EU-Staaten haben weibliche Kandidaten für die neue Brüsseler Behörde ernannt. Damit sitzt künftig eine Frau mehr als derzeit in Brüssel.

Barroso wird seine Mannschaft jetzt dem Europäischen Rat, also der Versammlung der Staats- und Regierungschefs, zur Zustimmung präsentieren. Akzeptieren die Regierungschefs Barrosos Mannschaft, dann kommt das Europäische Parlament ins Spiel. Die Abgeordneten befragen jeden einzelnen Kommissar in politischer und fachlicher Hinsicht. Dabei muss Oettinger auch damit rechnen, dass seine frühere Verbindung zum rechtsgerichteten und europaskeptischen "Studienzentrum Weikersheim" zur Sprache kommt. Letztlich stimmt das Parlament über die Kommission ab. Diese Macht nutzte es beim letzten Mal, Italien zum Rückzug seines Kandidaten Rocco Buttiglione zu zwingen.

Verwunderung über Oettingers Nominierung

Merkels Entscheidung, Oettinger zum EU-Kommissar zu machen, löste in Brüssel noch vor wenigen Wochen Verwunderung aus - etwa beim derzeitigen deutschen Kommissar Günter Verheugen. Die Nachricht von Oettingers Wechsel habe seine Kollegen geschockt, soll Verheugen Presseberichten zufolge am Rande eines Treffens mit der Auslandspresse im Foreign Press Center der US-Regierung in Washington gesagt haben. In EU-Kreisen glaubten viele, die Kanzlerin habe Oettinger nicht wegen seiner Kompetenz vorgeschlagen, sagte Verheugen. Unter seinen Kollegen herrsche vielmehr die Meinung, es handele sich um eine "parteiinterne Entsorgungsaktion".

Günther Oettinger
:Der hölzerne Netzwerker

Günther Oettinger musste als ewiger Kronprinz in Baden-Württemberg lange auf seine Chance warten. Dann wurde er Ministerpräsident und jetzt sogar EU-Kommissar für Energiefragen.

Auch Kommissionspräsident Barroso sei "überrascht" über die Personalie Oettinger gewesen, hieß es. Oettinger ist europapolitisch bislang nicht aufgefallen.

"Einen Landesfürsten da hinzuschicken, ist außerordentlich problematisch", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Als baden-württembergischer Ministerpräsident habe sich Oettinger bislang in den Reihen der Bremser der EU-Integration befunden, sagte Trittin.

Oettingers fehlende europapolitische Erfahrung könnte die Anhörungen im Parlament "schwierig" machen, sagte der Fraktionschef der Sozialisten, Martin Schulz. Die Zustimmung der Abgeordneten sei kein "Selbstläufer", sagte auch der Freidemokrat Alexander Graf Lambsdorff.

Öffentlich leistete sich Oettinger Fehltritte

Bundeskanzlerin Merkel betonte immer Oettingers wirtschaftspolitische Kompetenz, die ihm als Energiekommissar geeignet machen.

Vor allem aber in der Öffentlichkeit machte Oettinger bislang keine gute Figur: Da war die Filbinger-Rede, in der Oettinger dem früheren NS-Marinerichter und späteren Ministerpräsidenten bescheinigte, ein Widerstandskämpfer gewesen zu sein. Wegen ihr musste der CDU-Politiker fast zurücktreten. In der Presse tauchten später Bilder von Oettinger auf, die ihn mit einer Brille aus Teesieben auf dem Kopf zeigten - aufgenommen zu später Stunde. Trotz dieser öffentlichen Fehltritte spricht ihm in der CDU-Führung aber kaum jemand wirtschaftspolitische Kompetenz ab.

Für Bundeskanzlerin Merkel soll der Schwabe nicht die erste Wahl gewesen sein. Der Spiegel berichtete, dass auf der Liste der Kanzlerin für den EU-Posten andere Namen weiter oben standen. Oettinger soll eine Art Notlösung gewesen sein.

Merkel habe, bevor sie Oettinger als Kandidaten vorstellte, den bisherigen Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen gefragt. Der aber habe das Amt des Umweltsministers in der neuen schwarz-gelben Regierung vorgezogen. Auch den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch hätte Merkel dem Bericht zufolge lieber nach Brüssel geschickt, doch er habe schon vor Wochen mitgeteilt, er wolle in Wiesbaden bleiben.

© dpa/AP/Reuters/sueddeutsche.de/std - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: