Österreich:Erste Festnahme und ein unbeirrter Neukanzler

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Vor der Sitzung des Nationalrats stellen Demonstranten den neuen Kanzler Alexander Schallenberg als Marionette dar. (Foto: Thomas Kronsteiner/Getty Images)

Im Skandal um die ÖVP und Sebastian Kurz gerät eine frühere Meinungsforscherin ins Visier. Der neue Regierungschef Schallenberg steht derweil treu zu seinem Vorgänger.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Eine kleine Sensation hat am Dienstag die Sondersitzung des österreichischen Nationalrats überlagert, die von den Oppositionsparteien durchgesetzt worden war. Eigentlich hatte an diesem Dienstag ein Misstrauensantrag den Kanzler zum Rückzug zwingen sollen, nachdem vergangene Woche die Nachricht von Razzien und einem Ermittlungsverfahren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen Inseratenkorruption und gefälschter Rechnungen unter anderem gegen Kurz, sein Umfeld und die ÖVP das Land gehörig durchgerüttelt hatte. Am Wochenende kamen noch peinliche Chats von Kurz aus seiner Zeit als Außenminister hinzu.

Aber Kurz hatte, weil er sich politisch nicht mehr halten konnte, schon am Samstag seinen Rücktritt verkündet. Am Montag war sein Nachfolger, der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg, vom Bundespräsidenten vereidigt worden - nicht ohne dass sich dieser bei den Bürgern für das Bild, das die ÖVP abgab, quasi entschuldigte: "Lassen Sie mich noch etwas zu dem Sittenbild sagen, das wir gesehen haben", so Alexander Van der Bellen. "Diese Respektlosigkeit will ich nicht achselzuckend übergehen." Er bitte als Bundespräsident dafür um Verzeihung, "welches Bild die Politik hier abgegeben hat".

Am Dienstagmorgen platzte dann eine sprichwörtliche Bombe: Die Zeitung Der Standard meldete, dass Sabine Beinschab, die Meinungsforscherin, die für Kurz und sein Team 2016 und 2017 Umfragen erstellt und über das ÖVP-geführte Finanzministerium mit Scheinrechnungen verrechnet haben soll, vorübergehend festgenommen worden sei. Sie ist eine von insgesamt zehn Beschuldigten in dem Verfahren und soll, so der Vorwurf der WKStA, Meinungsumfragen für die Partei auf Wunsch so frisiert und präsentiert haben, dass sie dem politischen Fortkommen des damaligen Außenministers dienten. Der wurde 2017, nach einer parteiinternen Kampagne gegen den damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, selber Parteichef und dann Kanzler in einer ÖVP/FPÖ-Koalition.

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Die WKStA wollte die Maßnahme gegen die Meinungsforscherin Beinschab nicht bestätigen. Aus Ermittlerkreisen war aber zu hören, dass diese offenbar vor der Hausdurchsuchung am vergangenen Mittwoch versucht haben soll, "Serverdaten in größerem Umfang" zu vernichten. Es bestehe daher Verdunkelungsgefahr. Schon der Kurz-Intimus und Ex-Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, hatte 2019 versucht, seine Handy-Daten zu löschen, sie konnten aber wiederhergestellt werden. Während einer Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel, gegen den wegen Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit einem Spendenangebot des Glücksspielkonzerns Novomatic an die ÖVP ermittelt wird, war Blümels Frau mit Laptop und Kinderwagen spazieren gegangen; das Gerät wurde erst nach mehreren Stunden sichergestellt.

Einen Ausdruck des Durchsuchungsbeschlusses wirft der Kanzler auf den Boden

Und dann ist da noch die sogenannte Schredderaffäre aus dem Mai 2019: Ein Mitarbeiter des Kanzleramts vernichtete kurz vor dem Misstrauensantrag, der die erste Regierung Kurz beendete, fünf Festplatten, die dem Finanzministerium unter Blümel zugerechnet werden. Kurz tat das Schreddern als Einzelaktion eines übermotivierten Mitarbeiters ab.

Nun also sorgte die erste Festnahme im neuen Ermittlungsverfahren für hitzige Debatten - nicht nur im Parlament. Denn Beinschab musste vor der bevorstehenden Hausdurchsuchung gewarnt worden sein, wie auch schon einige ÖVP-Politiker in letzter Zeit. Und so war es in mehr als einer Hinsicht eine merkwürdige Parlamentssitzung: Während die News hitzig besprochen wurde, hielt der neue Kanzler eine Regierungserklärung, in der er, wie schon in einem ersten Statement nach der Vereidigung, seine große Nähe zu Kurz beteuerte. Auch nach dem Termin beim Bundespräsidenten hatte Schallenberg, gelernter Diplomat, ohne Not betont, er halte die Vorwürfe gegen Kurz, gegen den die Justiz wegen Betrugs und Beihilfe zur Bestechlichkeit ermittelt, für "falsch".

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Nun sagte der neue Kanzler, er strecke die Hand zur Zusammenarbeit aus, kritisierte aber umgehend Misstrauensanträge der FPÖ gegen die gesamte Regierung und der SPÖ gegen Finanzminister Blümel. Die SPÖ argumentiert, Blümel sei jetzt "der oberste Vertreter des Systems Kurz in der Regierung. Und sein Ministerium war auch Schauplatz der mutmaßlichen Korruption." Beide Anträge bekamen keine Mehrheit. Dass Schallenberg als frisch vereidigter Kanzler dem Parlament gleich mal ausrichtete, er missbillige dessen Anträge, gilt als ungewöhnlich - und als weiterer Beleg dafür, dass der Neue, der ein enger Mitarbeiter von Kurz gewesen war, sich demonstrativ vor den Ex-Kanzler stellt.

Kurz selbst war am Vorabend mit hundert Prozent der abgegebenen Stimmen zum zweiten Klubobmann neben August Wöginger gewählt worden. Er werde aber, heißt es, vor allem in seiner Funktion als Parteichef der ÖVP aktiv sein und Wöginger die Alltagsarbeit überlassen. Im Parlament wird Kurz erst in den kommenden Tagen erscheinen, wenn das Abgeordnetenmandat, das er in Anspruch nimmt, auch formal an ihn übertragen ist. Die Sondersitzung am Dienstag fand also ohne Kurz statt. Schallenberg machte seinem Vorgänger aber alle Ehre: Während der Plenardebatte hörte er kaum zu und tippte unentwegt in sein Handy. Einen Ausdruck des Durchsuchungsbeschlusses der WKStA, den ihm Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger als Mahnung überreichte, warf er wenige Sekunden später achtlos hinter sich auf den Boden. Er entschuldigte sich später dafür.

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