Österreich kommt nicht zur Ruhe, seit ein Liederbuch der rechten Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt einen braunen Schatten aus der Vergangenheit auf die aktuelle Politik geworfen hat. Die mit den Burschenschaften eng verbundene FPÖ ist in Bedrängnis, ihr Koalitionspartner ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz unter Abgrenzungsdruck, und jetzt sind auch noch die Sozialdemokraten mit in den Sumpf gerutscht, weil es den Ermittlungen zufolge ein Genosse war, der das Germania-Buch mit den verhöhnenden Versen zum Holocaust illustriert hat.
Von allen Beteiligten und auch ein paar Unbeteiligten wird nun nach Aufklärung gerufen - doch zugleich wirft ein neuer Fall um den FPÖ-Landesminister Elmar Podgorschek aus Oberösterreich neue Fragen auf.
Österreich:Kurz will umstrittene Burschenschaft auflösen
Der österreichische Kanzler reagiert auf den Skandal um ein Liederbuch voller judenfeindlicher und volksverhetzender Texte der "Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt". FPÖ-Spitzenpolitiker Landbauer muss aber nicht mit Konsequenzen rechnen.
Als Zeichen der Tatkraft kündigte Kanzler Kurz am Mittwoch an, dass die Burschenschaft Germania aufgelöst werden soll. Mit dem zur FPÖ gehörenden Innenminister Herbert Kickl sei man übereingekommen, ein dazu notwendiges Verfahren nach dem Vereinsrecht einzuleiten. Zuvor war die Germania bereits aus dem Österreichischen Pennäler Ring ausgeschlossen worden, dem Zusammenschluss der schlagenden Schülerverbindungen. Der deutschnationale Dachverband erweiterte aus aktuellem Anlass auch seine Satzung um eine Präambel, in der man sich "gegen jede Form des Antisemitismus und Rassismus" stellt und sich "zur demokratischen Republik Österreich" bekennt.
Ob der Fall auch politische Konsequenzen haben wird, ist indes noch offen. Im Zentrum der Affäre steht schließlich der FPÖ-Politiker Udo Landbauer, Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Niederösterreich am vergangenen Wochenende und Vize-Vorsitzender der Germania. Kanzler Kurz stellte sich nun "zu hundert Prozent" hinter seine niederösterreichische Parteifreundin Johanna Mikl-Leitner, die jede Zusammenarbeit mit Landbauer ausschließt. FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache dagegen sieht keinen Grund für einen Rückzug Landbauers, weil dieser die Liederbuchtexte nach eigenen Angaben gar nicht gekannt habe.
FPÖ kündigt Historikerkommission an. Unklar ist, ob sie unabhängig sein wird
Wie sehr diese Vorfälle jedoch auch die FPÖ in ihrer neuen Rolle als Regierungspartei unter Zugzwang setzen, zeigt die Ankündigung Straches, eine "Historikerkommission" einzusetzen, die sich mit der FPÖ, den Burschenschaften und ihrer Vergangenheit auseinandersetzen soll. Details dazu sind noch nicht bekannt, außer dass die Verantwortung dafür beim FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer liegen soll, der sich wohl als Ehrenmitglied der Burschenschaft Marko-Germania zu Pinkafeld dafür qualifiziert hat. Ob diese Kommission ernst zu nehmen ist, wird davon abhängen, ob auch unabhängige Historiker berufen werden. Klar ist nur, dass es vieles aufzuarbeiten gibt.
Zum Beispiel jenen neuen Fall um den FPÖ-Politiker Elmar Podgorschek, der in Oberösterreich seit 2015 als Landesminister für Sicherheit zuständig ist. Er gehört auch einer Burschenschaft namens Germania an. Nach den Recherchen des Mauthausen Komitees Österreich, das sich dem Gedenken der Opfer des gleichnamigen Konzentrationslagers verpflichtet fühlt, gewährte diese Germania zu Ried noch in einer Festschrift im Jahr 2000 dem SS-Sturmbannführer Friedrich Kranebitter, dem Massenmord zur Last gelegt wird, eine Foto-Würdigung.
Podgorschek war demnach in der Vergangenheit auch schon zusammen mit Neonazis in Hitlers Geburtsort Braunau aufgetreten. Sein Ministerium schaltete gerade erst eine halbseitige Anzeige, geschmückt vom Landeswappen, im Linzer Magazin Info-Direkt, das sich gern russlandnah gibt und vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als Blatt mit "neonazistischen Hintergründen" eingestuft wird.
Auf Aufklärung hat von Beginn an die SPÖ gedrungen, auf deren Initiative am Dienstagabend auch der Nationale Sicherheitsrat zusammengetreten war. Hinterher zeigten sich die Sozialdemokraten enttäuscht über "unzureichende Antworten" der Regierung. Doch statt wie erhofft aus den Skandalen Kapital schlagen zu können, muss sich die SPÖ nun erst einmal mit dunklen Flecken im eigenen Lager beschäftigen. Der niederösterreichische Parteigänger, der als Illustrator des Germania-Liederbuchs identifiziert wurde und in St. Pölten ein hoher Magistratsbeamter gewesen sein soll, wurde sofort aus der Partei ausgeschlossen.
Als ob das allein nicht genug wäre, musste sogleich noch ein zweiter Parteifunktionär aus Niederösterreich aus der Partei geworfen werden. Der SPÖ-Gemeinderat war wegen des Verdachts auf Missbrauch in Haft genommen worden. In seinem Haus im Bezirk Amstetten fanden die Ermittler dann einen Fundus an NS-Uniformen, Fahnen und Bildern sowie Faustfeuerwaffen, Handgranaten und Dolche.