Österreich:Österreichs neuer Bundeskanzler: Der übers Wasser gehen soll

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In seiner Rede setzte der neue Kanzler Christian Kern weniger auf politische Inhalte als auf positives Denken. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Mit ihm wird alles anders, verspricht Christian Kern. Doch die Erwartungen an den neuen Kanzler, den sie schon "Alpen-Obama" nennen, sind übermenschlich hoch.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Lange war er für die Mehrheit der Österreicher ein Phantom gewesen, dabei wusste das Land schon etwa eine ganze Woche lang, dass der neue Bundeskanzler Christian Kern heißen würde. So waren Spannung und Erwartungshaltung bis zuletzt groß. Aber Kern hielt sich bedeckt, selbst am Dienstag, als er sich erstmals eine knappe halbe Stunde der Öffentlichkeit präsentierte, hielt sich der bisherige Bahnmanager immer noch vorsichtig zurück: Er sei ja noch nicht Kanzler, sagte er auf einer Pressekonferenz, auch wenn "eine hohe Wahrscheinlichkeit" bestehe, dass er am Nachmittag angelobt werde.

Das ist geschehen, am Mittwoch präsentierte der Neue an der Regierungsspitze auch die neuen Mitglieder des Kabinetts, und am Donnerstag, endlich, war es nach Tagen des Wartens dann so weit. Nicht nur den Menschen, sondern auch erste Ziele, Visionen, Vorhaben, alles wollte die Nation mit der Regierungserklärung kennenlernen. Wer ist dieser Christian Kern, der dem vor Wochenfrist zurückgetretenen Werner Faymann als Kanzler und in vier Wochen auf einem SPÖ-Parteitag auch als Parteivorsitzender nachfolgen wird? Und wie will er Österreich verändern?

"Wenn wir scheitern, dann aus den richtigen Motiven"

Kern, gelernter Kommunikationswissenschaftler und Top-Manager, präsentierte sich am Morgen im bis auf den letzten Sitz gefüllten Nationalrat mit einem handgeschriebenen, mehrseitigen Manuskript in der Hand, sprach aber, wie meist, frei. Und wie schon bei seiner Pressekonferenz zwei Tage zuvor intonierte er eine überraschend deutliche Kritik an der Art und dem Stil, mit dem seine Vorgänger Politik gemacht haben. Es müsse, frei nach dem deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog, ein Ruck durch Österreich gehen, denn "politischer Inhalt wurde durch taktischen Opportunismus ersetzt, und genau das ist es, womit wir brechen müssen", so Kern. "Die Zukunftsbilder sind verloren gegangen."

Politik werde in der Öffentlichkeit als eine Art Hunderennen wahrgenommen, es gehe nur um kurzfristige Siege. Um zu zeigen, dass - und was - jetzt alles anders werden solle als unter der alten Regierung, der Fantasielosigkeit, Klientelpolitik und Ignoranz vorgeworfen worden waren, setzte Kern in seiner ersten Rede als Kanzler vor allem auf Stimmungen, Ideale, positives Denken.

Viele Abgeordnete wussten offenbar nicht so recht, was sie davon halten sollten, dass ihnen jemand Visionslosigkeit und Zukunftsvergessenheit vorwirft. Aber dem Sog der mit emotionalen Schlüsselwörtern gespickten Rede konnte sich kaum jemand entziehen. Zumindest war es ungewohnt still im notorisch schwatzhaften Nationalrat, als der neue Kanzler solche Töne anschlug: Er verspreche, dass "wir mit jeder Faser unseres Wollens versuchen werden, die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen. Wenn wir scheitern, dann aus den richtigen Motiven". Von heute an laufe "der Countdown um die Herzen der Menschen".

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Sportlich, schlau und früher sogar alleinerziehend

Kern, der offiziell von einer Findungskommission der SPÖ ausgeguckt wurde, de facto aber durch Mehrheitsvotum der Parteiorganisationen in den Bundesländern gekürt wurde, geht mit einer enormen Belastung in den neuen Job, und er weiß das. Die Erwartungen sind hoch, dass der Ex-Bahnchef die Sozialdemokratie rettet und die Koalition aus Rot und Schwarz am Leben erhält.

Nein, er könne nicht über Wasser gehen, hatte er schon bei seinem ersten Auftritt gescherzt. Und doch: Viele hoffnungsfrohe Wähler sehen ihn als "Alpen-Obama" oder als österreichischen Justin Trudeau - schließlich ist es cool, wenn einer mit einem Jobwechsel auf 300 000 Euro Einkommen im Jahr verzichtet, als gut aussehend, belesen, sportlich und schlau gilt, als junger Mann schon mal eine Weile alleinerziehender Vater war und mit seiner Regierungserklärung den Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner gleich zu einer Liebeserklärung verführt: "Ja, ich will", antwortet Mitterlehner unter allgemeinem Gelächter auf die werbenden Worte von Kern. Ja, er wolle an dessen Seite arbeiten, und ja, jeder in diesem Haus müsse jetzt Selbstkritik üben.

Bei aller Freude über so viel positives Denken: Inhaltlich war das Statement von Kern ziemlich unergiebig. Er wisse schon, sagte der 50-Jährige, dass man von ihm erwarte, dass er jetzt alle Politikfelder streife. Aber weil er ein Politiker neuen Stils sein will, der auch gleich dem Koalitionspartner und dem Land einen New Deal vorschlug, verzichtete er auf eine rhetorische Rundtour und beschränkte sich auf das in seinen Augen Wesentliche: Im Land dominiere ein Gefühl des Stillstands, weil Institutionen, Lobbys, Interessengruppen und der Föderalismus österreichischer Prägung sich gegenseitig blockierten.

Kurzatmigkeit, Konkurrenzdenken, Ideenlosigkeit - damit beschrieb er die aktuelle Politik, um dann zu verkünden, dass er "nicht in jedes Mikrofon sprechen", lieber mehr nachdenken, Opportunismus durch Inhalte ersetzen, für Grundsätze und Haltungen und nicht für die jeweils kleinsten Kompromisse kämpfen werde.

Er versprach, sich für Heimat und Patriotismus, aber gegen Hetze und Chauvinismus einzusetzen und zitierte, mit Blick auf die rechtspopulistische FPÖ und deren Parteichef Heinz-Christian Strache, der direkt in Kerns Blickfeld saß und beständig den Kopf schüttelte, den vor zwei Tagen verstorbenen, großen Historiker Fritz Stern. Der habe gesagt, Menschen hätten Ängste. Aber es mache keinen Sinn, sie in ihren Ängsten noch zu bestärken.

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Straches Wutanfall

Kern, wie immer im eleganten Anzug, sprach von einer neuen, positiven Stimmung, die durch das Land gehen solle, von einem neuen Bündnis mit der Zivilgesellschaft, von der Freude am Engagement jenseits der Politik, aber auch in der Politik. Alle Bürger, nicht nur Politiker, sollten die Geschicke des Landes bewegen. Die österreichischen Medien, die Kern erkennbar eine Schonfrist zubilligen, nannten das einen "gelungenen Start". Aber nun müsse der neue Kanzler auch "liefern".

Einen Wutausbruch nach Kerns Rede legte allerdings FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Nationalrat hin. Ein neues Gesicht an der Spitze und ein paar neue Gesichter im Kabinett würden als Neuanfang verkauft, obwohl das Land eine hohe Arbeitslosenrate, eine hohe Steuerbelastung, eine unverantwortliche Willkommenskultur, rechtswidrig ins Land gelassene Flüchtlinge und Milliardenkosten wegen der Geflüchteten ertragen müsse. "Und Sie kommen hierher und jammern, bitte gebt mir noch eine Chance?"

Dem von Kern geforderten neuen Umgangsstil mochte sich Strache auch mit Blick auf die neue, muslimische Staatssekretärin Muna Duzdar nicht beugen: Er beschimpfte die gebürtige Palästinenserin, weil sie "dubiose Kontakte" zu radikalen Gruppen pflege.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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